Wenn ich von meinen Kriegserlebnissen erzähle, dann nur aus zwei Gründen:
1. Eine Lehrerin, die einige meiner Erlebnisse wußte und ihren Schülern in der Stunde erzählte, sagte mir, daß die Schüler das so interessiert, daß sie immer sagen: "Kannst du uns nicht mehr erzählen?" und so bat sie mich, ich soll doch ein bisserl mehr aufschreiben. So setzte ich mich halt hin und fing zu erzählen an. Es freute mich sehr, als ich hörte, daß Schulkinder für so etwas Interesse haben, denn es ist wirklich von sehr großem Wert, wenn die Kinder wissen, was ihre Vorfahren mitmachen mußten, denn ich bin der Meinung, daß soche Kinder, die für sowas Interesse haben und hören und lesen, bestimmt eine Hochachtung von ihren Vorfahren haben.
2. Als ich noch in meinem Pflichtschulalter war, habe ich die Gespräche, das heißt, die Kriegserlebnisse, die mein Vater mit unserem guten Nachbarn Biringer Lenz sich ausgetauscht hatten, mit größtem Interesse mit angehört. Ich hatte schon damals als kleiner Junge unbeschreiblichen Respekt vor solchen Männern, die im ersten Weltkrieg in Rußland verwundet wurden und so mehr als fünf Jahre ihrer Jugend ihrem Vaterland opferten. Der Biringer Lenz war mehr als sieben Jahre Soldat, hatte die kleine und große Goldene Auszeichnung. Er war meist in Italien und erzählte viel von der Isonzoschlacht. So hörte und staunte ich mit Augen und Ohren, was ich wahrscheinlich mein Leben lang nicht vergessen werde.
Und so bin ich eigentlich mit, man kann fast sagen, leichtsinnigen Gefühlen in den Krieg gezogen. Vielleicht mit dem Hintergedanken, wohl auch meinen Vorbildern einmal was erzählen zu können. Hätte ich aber im geringsten geahnt, was mir bevorstand, hätte ich wahrscheinlich alles mögliche unternommen, um dem Hitlerkrieg zu entkommen. Obwohl es in unserer Familie keine Nazifreunde gab, am allerwenigsten die Mutter, habe ich meinen Waffenrock mit Stolz getragen, Mein 18. Lebensjahr war noch nicht vollendet, als es soweit war.
Es war der 1. Oktober 1941. Nach einer Wallfahrt zum Marienwallfahrtsort Puchheim habe ich mich bei meinem Taufpaten und meiner Taufpatin und beim Ähnl verabschiedet. Der Ähnl war unser hochgeschätzter Großvater, der für uns immer schon etwas besonderes war. Er war damals schon über 80 und hatte einen außergewöhnlich harten Lebenslauf. Er legte mir beim Abschied beide Hände auf die Schulter und sagte mit so einer merkwürdigen Stimme: "Sepp, hab koa Angst, du kimmst wieda hoam, i bet schau für dich!
Ich hab diesen Moment noch in Erinnerung, als wär's erst einige Wochen her. Durch diesen Trost war der Abschied von meinen Eltern und Geschwistern wahrscheinlich viel leichter. Von der Mutter bekam ich noch eine Lehre, wie gefährlich die Weiberleut in der Welt sind und paß gut auf, daß du wieder Heim kommst, weil du den Hof übernehmen mußt. Bruder Franz wäre am liebsten mit eingerückt, denn man glaubte damals, der Krieg sei bald aus. Schwesterchen Resi schlief noch, sie war 5 1/2 Jahre. Man hat gesagt, lassen wir sie doch schlafen, sie würde es ja doch noch nicht verstehen.
Bei den Nachbarn nahm ich schon ein bißchen militärische Haltung ein, denn der Biringer Lenz war ein echter Nazi. Er war Gemeinderat mit noch einigen politischen Funktionen, aber er war ein grundehrlicher, sehr hilfsbereiter, christlicher Nachbar. Er war wirklich ein Ehrenmann und hat nie Vorteile für sich verwendet. Eine Schulkollegin, die Marianne, die ich 6 Jahre nicht gesehen hatte, und am letzten Tag noch zufällig traf, redete mir sehr gut zu, die mich in Gedanken die ganzen Jahre hindurch nicht los lies.
Es war der 1. Oktober 1941. Um 6 Uhr früh mußte ich mit meinem Koffer in Frankenburg beim Autobus sein. Da es an Pünktlichkeit nicht fehlte, gings reibungslos in den Krieg. Zwischen Seibrigen und Frankenburg ist ein Berg namens Stoanhübel, dort stellte ich meinen Koffer, den mir die Mutter besonders schwer gemacht hatte, weil sie wahrscheinlich der Meinung war, sie müßte mir für einige Wochen die Verpflegung mitgeben, nochmals ab. Ich drehte mich nochmals um und schaute zurück in mein Heimatdörflein Seibrigen mit den Gedanken, ob ich Seibrigen wohl nochmals sehen werde. Dann ein Blick zum Himmel mit den Gedanken: wie du willst, lieber Gott! Und dann dachte ich an den Abschied von Schwester Rosi, sie sagte zu mir beim Abschied: "Sepp, brauchst koa Angst ham, für Soldaten ist der Himmel offen!"
Als wir uns beim Autobus mehrere einrückende Altersgenossen trafen, war wohl der Abschiedsschmerz einigermaßen überwunden. Einander tröstend, auch mit Blödeln und Leichtsinn, ging es in die Alpenjägerkaserne nach Wels. Dort gab es den ersten Schreck über die preußischen Töne, Stehereien, Hin- und Herrangierereien. Ich wurde zu einem Trupp, der nach Linz Wegscheid ging, eingeteilt. Wir mußten mit unseren Koffern zum Bahnhof Wels marschieren, in den Zug steigen. Kurz vor Mitternacht kamen wir am Bahnhof in Linz an. So, jetzt aussteigen und zu Fuß 9 km nach Wegscheid marschieren. Ja, was ist mit unseren Koffern, müssen wird die selber tragen ? Ihr könnt sie ja wegwerfen, wenn sie euch zu schwer sind! So hörte man die ganze Strecke fluchen: "Wenn ich doch den verfluchten Koffer nicht zu tragen hätte!" Das war wirklich eine unmenschliche Qual. Als wir in Wegscheid nach Mitternacht ankamen und wieder in Reih und Glied antreten mußten, waren wir froh, daß wir die Koffer nicht weggeworfen hatten, denn wir wollten sie gleich benützen, uns draufzusetzen. Unser Knochengerüst war durch den nächtlichen 9 km Marsch mit dem Koffer ausgemergelt zum Zusammenbrechen. Da kamen gleich die zweiten preußischen Töne: "Was ist da los?" Ihr könnt nicht einmal stehen, ihr wollt Soldaten werden ? Na, wir werden Euch noch mehr als das Stehen lernen!" Endlich ging es dann in die Baracken. Ein Ausbildner, der schon in der Pritsche lag, schrie gleich: "Sofort ausziehen und hinein ins Bett und dann Ruhe. Der letzte macht das Licht aus und muß gleich eine Strafrunde um die Baracke machen!" So suchte sich jeder eine Pritsche, stellte den Koffer schnell unter oder neben die Pritsche und hinein gings's in die Brettergerüste, wo nur ein leerer Strohsack und eine Decke lagen. Der Letzte machte wie befohlen das Licht aus und haute sich auch auf die Pritsche . Eine kurze Zeit später ging das Licht wieder an. Es war der Ausbildner, der schon in der Pritsche lag, als wir gekommen waren, und der auf uns gewartet hatte. Er ging von Pritsche zu Pritsche, hob die Decke auf und schaute, ob sich nicht einer samt dem Gewand in die Pritsche gelegt hatte. Tatsächlich lagen wohl die meisten mitsamt dem Gewand in der Pritsche, und schon ging der Zirkus los. Sie alle mußten einige Strafrunden um die Baracke laufen. Am nächsten Tag mußten wir mit den leeren Strohsäcken zu einem nahe gelegenen Bauernhaus gehen und die Säcke mit Stroh füllen. Da ging es ein bißchen gemütlicher zu. Ich habe mir meinen Strohsack richtig ausgestopft, denn ich wußte noch von meiner Mutter, wie man das macht. Er wurde zwar ziemlich schwer, aber ich hatte für drei Wochen ein gutes Bett. Es dauerte ein paar Tage, bis wir alle Uniformen und Trainingsanzüge empfangen hatten und wir in der Abteilung in Battrien, Züge und Gruppen eingeteilt waren. Dann ging der militärische Fußdienst los, der mir eigentlich Spaß machte. Ich bin während der Grundausbildung um drei Kilogramm schwerer geworden. Wir waren da noch fünf Frankenburger in der Abteilung.
Schon in der zweiten Woche fragte der Spieß, ob jemand Musiker ist, ob jemand ein Instrument besitzt. Ja, und da hab ich gleich an meinen Vater gedacht, er hat ja viel erzählt, was er mit der Zither erlebt hat, die er im Krieg mit hatte und so hob ich zum erstenmal meine Hand hoch. Mein Gedanke war, daß ich mir vielleicht auch schöne Stunden machen kann.
Der Spieß, ein sehr netter Kerl und kein Beißer, befahl mir, die Zither gleich bringen zu lassen und mein Bruder Franz brachte mir eine neue Zither, die mir meine Familie gekauft hatte. (Ich tat mich aber sehr hart damit, weil ich sie nicht gewohnt war.) So war für mich der meiste Fußdienst vorbei. Der Spieß hatte eine Jazzgruppe zusammengestellt und wir waren 1 Akkordeon, eine Gitarre und meine Zither. So waren die Ausbildungswochen kurz und schön.
In der dritten Woche fragte der Spieß, wer einen Führerschein hat. Da hob ich zum zweitenmal schnell die Hand mit dem Hintergedanken: Mensch, da kannst du etwas lernen, was du dein Lebtag brauchen kannst. Den Führerschein Klasse 4 hatte ich schon, Motorkenntnisse hatte ich durch einen Feuerwehr-Motorführerkurs auch und bei unserer Dreschmaschine war ich die letzten drei Wochen vorm Einrücken Maschinist, wo ich den Dieselmotor kennenlernte. So waren für mich die Chancen sehr groß, ein echter Wehrmachtskraftfahrer zu werden, der ich dann auch wurde. Die Erlebnisse in der Wehrmachtsfahrschule wären ein eigener Roman.
Ende der zweiten Woche dachte ich, jetzt muß ich doch einmal heimschreiben! Es kam auch schnell eine Antwort, wo sie alle die Freude ausdrückten, weil es mir so gut ging, (denn das Essen war bei der Luftwaffe immer gut). Der Vater schrieb, er meinte, ich sei schon in Rußland, weil ich so lang nichts hören ließ. Rosi schrieb, Resi hat geweint wie sie aufgestanden ist, weil sie auch pfiatdigott sagen wollte. Dieses erste Schreiben habe ich heute noch.
Nun, was die Schreibfaulheit betrifft ist daran die schlechte Rechtschreibung und bestimmt auch die schlechte Schrift schuld, daß ich so wenig schrieb. Gedanken über Rechtschreibung machte ich mir erst, als ich Briefe und Karten, die ich von Mädchen und Freundinnen erhielt, beantworten mußte.
Die Zeit der Ausbildung und der Wehrmachtsfahrschule waren für mich eigentlich harmlos, und so war in Kürze die Weihnachtszeit da. Ich bekam nach der Grundausbildung einen Sonntagnachmittag Urlaub, der mein erster und letzter Urlaub war. Wir haben in Wegscheid, Linz, noch etwas Weihnachten und Abschied gefeiert, und um den 15. Dezember 1941 wurden wir in einen Urlauberzug verladen, der nach Frankreich ging. Unser Marschbefehl lautete: Frankreich - Paris- Versailles Fort de la Puc. Die Freude in uns war groß, weil es nach Westen und nicht nach Osten ging!
Wir mußten uns beim Flak-Regiment 37, 9. Flak-Division melden. Wir waren sieben oder acht Kameraden, die wir in Linz die Ausbildung miteinander gemacht hatten. Es handelte sich um eine Eliteeinheit, die schon den Ehrentitel Regiment Hermann Göring hatte, weil sie bereits den Polenfeldzug, den Frankreichfeldzug und einen Einsatz in Griechenland hinter sich hatte.
Bei der Anmeldung meldete ich frech, daß wir als Kraftfahrer ausgebildet sind. Ich sagte aber nicht, daß wir auch die Ausbildung für die 8,8 Flakkanone und die 2 cm Vierling hatten. So kamen wir alle zu den Kraftfahrern. Reichl Hermann aus Lungötz, Katzsdorf, und ich kamen noch dazu in die Stabsbattrie und beide bekamen wir sofort einen Wagen, Hermann den vom Truppenarzt. Hermann meinte, ich sei ein Frechdachs, er hätte sich diese Meldung nicht zu machen getraut.
Ich bekam einen Telefonbautruppwagen, der mit sieben Mann und einem Bautruppführer besetzt war. In Rußland haben mich um diesen LKW alle beneidet, weil er luftgekühlt war und die Warmluft ins Führerhaus ging. Blieben wir in Sand, Schlamm oder Schnee stecken, hatte ich immer acht Mann zum Anschieben zur Verfügung.
Fort de la Püc war eine unterirdische Festung, in der wir uns bis 3. März aufhielten. Von 2. auf 3. März hatten in der Nacht die Engländer Paris bombardiert. Es gab einige tausend Tote, 14 Seinebrücken wurden zerstört. In den Renaultwerken standen für vier Divisionen die Militärfahrzeuge fahrbereit, die dann alle kaputt waren. Es sah fürchterlich aus. Die Franzosen begrüßten uns freundlich als wir mit unseren Geschützen kamen. Wir mußten mit unserem Geschütz auf das Dach vom Hotel Glingan Kurt.
Nochmals zurück nach Versailles. Als wir in Versailles ankamen, bin ich wahrscheinlich durch meine freche Haltung aufgefallen und der Spieß fragte mich, ob ich nicht bei ihm Putzer werden möchte. Er war ein Schwabe, ein sehr netter Bursche, schon ein älterer Herr, so um die 40 Jahre. Na, das habe ich vielleicht schnell angenommen. Ein paar Tage später fragte ich noch ein zweiter Wachtmeister, auch ein alter Herr, ob ich auch bei ihm Putzer machen möchte. Auch das nahm ich sofort an, weil ich ja genug Zeit hatte. (In den unterirdischen Gängen habe ich mehr Säcke mit Keksen gefunden).
Wenn ich bei den beiden Herren die Zimmer machte, schaute ich hin und wieder zum Fenster hinaus und sah so gemütlich zu, wie der Unteroffizier Grauer meine Kameraden im Dreck herumrobben ließ. Er hat sie alle richtig schikaniert und als er mich erblickte, wie ich da so fröhlich zusah, befahl er mir, hinauszukommen und mitzumachen. Mein Hinweis, daß ich Putzer beim Spieß bin, half nichts. Ich mußte mitmachen. Da ich es aber nicht so exakt machte, wie er es wollte, weil ich mir heimlich dachte, du kannst mich ....., wurde er noch wütender. Ich aber machte mir nichts draus. Am Abend, als alle gegessen hatten und hundemüde beim Uniformputzen waren, kam ein Kamerad aus einem anderen Raum und sagte mir, ich muß zum Unteroffizier Grauer kommen. Frech wie eh und je ging ich hin und war schon auf etwas gefaßt. Als ich vor seine Zimmertür kam, sah ich zwei bis zum oberen Rand verdreckte Stiefel stehen und dachte mir, die werdens wohl sein, die ich putzen muß.
Ich klopfte an, trat ein und meldete militärisch: "Kanonier Mairinger zur Stelle!" Seine Frage: "Haben Sie die beiden Stiefel vor der Tür gesehen?" bejahte ich, und ich wurde aufgefordert, sie sauber zu machen. Da es für uns keine Widerrede gab, führte ich den Befehl aus, verwischte den Dreck gleichmäßig und stellte die Stiefel wieder hin. Es dauerte nicht lange, als ich wieder zum Unteroffizier Grauer gerufen wurde. Auf alles gefaßt, ging ich wieder hin. Der Befehl lautete diesmal nur: hinliegen und Liegestütze. Der Herr Unteroffizier saß im Trainingsanzug bei seinem Schreibtisch und schrieb und schrieb und schrieb. Als ich mit den Liegestützen aufhörte, kam er her, trat mir mit seinem Fuß ins Kreuz und schrie: "Los, weitermachen, Sie Schwein"!
Wie lange ich diesen Spuk durchgehalten hab, weiß ich nicht mehr. Als ich wirklich nicht mehr konnte, schrie er: "Haun sie ab, Sie Schwein"! So bin ich in meinen Schlafraum getaumelt. Alles lag schon im Bett. Am Morgen beim Aufstehen merkte ich, daß meine Arme so arg angeschwollen waren, daß ich sie nicht mehr abbiegen und daher nicht alleine essen konnte. Reichl Hermann gab mir das Essen ein und dann drängten mich alle Kameraden, ich soll sofort auf die Ambulanz gehen und das dem Arzt melden. Ich wollte das nicht tun, weil wir schon wußten, daß es schon bald nach Rußland an die Front geht. Dort werde ich bestimmt Gelegenheit haben, mich zu rächen, dachte ich. Meine Kameraden gaben aber nicht nach und so ging ich halt zur Ambulanz.
Als mich der Sanitäter sah, sagte er gleich zu mir: "Was hast denn Du ausgefressen?". Ich habs ihm kurz erklärt, er hat die Lage gleich erkannt und rief den Arzt an, der gleich kam. Der Sanitäter berichtete dem Arzt, der nur so staunte und zu mir sagte: "Sie sind doch Putzer beim Hauptwachmeister?" Das wohl, aber wir haben bei der Deutschen Wehrmacht gelernt, jeden Befehl auszuführen, antwortete ich. Der Arzt rief den Abteilungskommandeur Major Geiduß an, der auch schnell hier war. Der Arzt erzählte die ganze Geschichte, der Major redete garnichts und schickte den Sanitäter zum Unteroffizier Grauer mit dem Befehl, er habe sofort im Dienstanzug in der Ambulanz zu erscheinen. Es dauerte eine Weile, wahrscheinlich hat er die Stiefel schnell ein bißchen gewaschen, weil sie noch ganz naß waren, als er eintrat und meldete: "Unteroffizier Grauer zur Stelle!"
Major sagte zu ihm: "Sie haben sich an Stelle eines Wachtmeisters zu einem Schweinehund gemacht. Wir brauchen gesunde Soldaten und keine Krüppel." Er nahm sein Taschenmesser aus dem Hosensack und schnitt Unteroffizier Grauer an Ort und Stelle die Schulterstücke, wo auch die Wachtmeisteranwärterlitzen schon drauf waren, herunter und sagte: "So, degradiert zum Kanonier. Vier Wochen verschärft, en Arrest, anschließend Strafkompanie. Nehmen Sie die Strafe an?" Das zögernde Ja konnte man fast nicht mehr verstehen. Grauer wurde sofort abgeführt. Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört. Groß war der Jubel bei allen Kameraden, daß dieser Tyrann endlich weg war, und sie waren mir sehr dankbar, daß ich auf ihr Drängen doch noch zur Ambulanz gegangen war.
Kurze Zeit später wurde unser Spieß, bei dem ich Putzer war, abgelöst und durch einen Jüngeren ersetzt. Na, der war erst ein richtiger Spinner. Er hat selbst mit der ganzen Batterie exerziert und uns derart schikaniert, daß wir alle sagten: "Hoffentlich geht's bald an die Front, da werden wir ihn schon einmal vor den Lauf bekommen!" Das hat sich jeder von uns geschworen. Er hat während des Exerzierens sogar einmal gesagt: "Jetzt geht's bald nach Rußland an die Front. Ich gehe hinter euch her, wehe dem, der einen Schritt zurück macht. Dem verpasse ich mit meiner Pistole eine Kugel." Gleich schrie einer von uns: "Auch unsere Schießprügeln sind nicht mit Knödeln geladen!"
Von diesem Moment an war er ein bißchen gedämpft. Als wir dann, es war noch anfangs März, in die Transportzüge verladen wurden, die Richtung Osten gingen, sprang er vom fahrenden Zug und brach sich beide Füße. Später erfuhren wir, daß er nach seiner Genesung in Norwegen als Kurier eingesetzt wurde. Er hat wohl deutlich erkannt, daß jeder von uns ihm eine Kugel verpaßt hätte.
Noch ein kurzes Geschichterl, das ich in Versailles erleben durfte. Bei einem Scharfschießen wurden den drei besten Schützen ein dreitägiger Sonderurlaub in Paris versprochen. Ich wurde Zweiter und durfte im Lunapark drei unvergeßlich Tage verbringen.
Noch ein Erlebnis kann ich nie vergessen. Als wir von Linz nach Versailles kamen, dachte ich gleich an die Erzählungen von Alfred, dem Franzosen, der in meinem Elternhaus als Kriegsgefangener arbeitete, über seine Tante in Paris.
Sofort schrieb ich heim um die Anschrift dieser Tante. Sehr bald hatte ich die Adresse, Alfred schickte mir sogar ein Foto von ihm mit. Da ich etwas skeptisch war, wie mich diese Leute wohl aufnehmen werden, wenn auf einmal ein deutscher Soldat vor der Tür steht, nahm ich meinen Kameraden Gay Josef aus Augsburg mit. So fuhren wir bei der nächsten Gelegenheit mit dem Zug die 51 Kilometer nach Paris. Weil man sich mit der U-Bahn sehr leicht zurechtfindet, waren wir schnell dort. Als wir an der Tür klingelten, ging diese rasch auf. Die Frau erschrak heftig, als sie zwei deutsche Soldaten in Uniform sah. Als ich um Alfred Boudard fragte, sagte sie gleich sehr ängstlich: "Nix Alfred Boudard, Alfred Boudard Brieschaniere in Germania."
Dann zog ich gleich das Schreiben von Alfred mit dem Foto von ihm aus meiner Feldblusentasche und sagte: "Alfred nix Brischionere in Germany, Alfred Brischionere in Austria." Ich gab ihr das Schreiben mit dem Foto von Alfred und von unserem Haus und gab ihr zu verstehen, daß das mein Elternhaus ist, Alfred bei meinen Eltern arbeitet und er da gut aufgehoben ist. Als sie von Alfreds Schreiben ein paar Zeilen gelesen hatte, fiel sie mir um den Hals, küßte mich sehr stürmisch und lud uns sofort ein, mit ihr in die Wohnung mitzukommen. Da ich mit Alfred einige Monate gelebt hatte, konnte ich etwas Französisch und konnte ihr daher erklären, sie soll einen langen Brief schreiben. Sie könne alles hineinschreiben, ich würde diesen Brief mit meiner Feldpost nach Hause schicken.
Während die Frau den Brief schrieb, holte ihr Mann eine Ente aus dem Keller, die er in Wein gedünstet hat. Auf einer Weinflasche war die Jahreszahl 1914 zu lesen, worauf sie uns hingewiesen hat. Dieses Festessen werde ich auch nie vergessen. Sie lud uns ein, öfter zu kommen, aber ich mußte ihr erklären, daß wir bald nach Rußland abgesetzt werden. Ich konnte aber noch einigemal hinfahren. Die Feldpost kam in nur vier bis fünf Tagen wieder Retour und bei der ersten Retourpost schrieb mir die Rosi, daß der Alfred bankhoch gesprungen ist vor lauter Freude und die Tante unter anderem auch geschrieben hat, daß ich ganz rot geworden bin, als sie mich geküßt hat. Das war wohl ein Beweis meines Junggesellenlebens, das ich wohl meiner strengen Mutter zu verdanken hatte.
Nun ging der Militärtransport, der aus einigen langen Zügen bestand, Richtung Norden über Belgien, Holland bis Kassel in Norddeutschland. Dort wurde alles, was zur 9. Flakdivision gehörte, Geschütze, Zugmaschinen und alle Fahrzeuge, ausgeladen. Es waren an die 4.000 Mann, und es wurden alle Schulen, Scheunen und Säle belegt. Es gab dort einige Tage Aufenthalt. Dann ging es per eigener Achse weiter durch die ganze Tschechoslowakei. In Polen wurden wir wieder verladen (Saudilestan in Polen, Werkzeugwagen).
In Polen haben unsere übermütigen Landszer ein freilaufendes Schwein gestohlen, sofort im Zug geschlachtet, und im Werkzeugwagen in den Werkzeugkisten versteckt. Einige km. weiter hielt die Feldpolizei den Zug an, sie haben aber nichts gefunden. Es ging per Bahn wieder weiter bis Stalino, in der Ukraine. Dort wurden wir von den russischen Bombern gleich empfangen. Sie konnten aber nicht viele Bomben runterlassen, denn unsere 2 cm Vierlinggeschütze waren einsatzbereit auf den Waggons verladen. Die gaben ihnen gleich richtig Feuer untern Arsch. Wir aber sahen, jetzt geht's los, das war vorerst einmal die Feuertaufe.
Unseren ersten Verwundeten hatten wir schon in Paris. Den Mittermeier Ferdl erwischte auf dem Dach ein Bombensplitter.
In Stalino mußten wir gleich unsere Stellungen beziehen. Wir waren am Flughafen als Fliegerabwehr mit den 8,8 cm Geschützen eingeteilt. Dort merkte ich erst, wie wichtig es ist, einer so starken, schlagkräftigen Division anzugehören, denn die 8,8 Kanone war von den Russen wegen ihrer Reichweite von 10 km, der hohen Treffsicherheit und der wahnsinnigen Durchschlagskraft sehr gefürchtet. Überall wo die Russen uns erspähten, drehten sie ab, ob Flugzeug, Panzer oder Infanterie. (Es war schon der April, man konnte schon in Zelten schlafen. Es war einige Wochen ziemlich ruhig.) Am 3. Mai mußten wir Barwenkowo einnehmen, da haben unsere Geschütze die ersten 14 T 34 Panzer erledigt. Es war ein 70-Tonnen Fahrzeug, Stalintanker genannt, dabei. Da haben wir wieder gesehen, was die 8,8 Flakkanone leistet. Unser erster Toter war ein Funker, der durch eine Eierhandgranate umkam.
Es ging weiter nach Charkow. Dort war eine gewaltige Kesselschlacht. Es war gerade zu den Pfingstfeiertagen. Dort haben wir in drei Tagen nahe 300.000 Russen gefangengenommen. Eine Unmenge Kriegsmaterial, ein Stapel mit lauter 10-Schuß-Karabinern, ungefähr 20 m lang und zwei Meter hoch gestapelt, man kann garnicht schätzen, wieviel Stück das waren, wurde erbeutet. Da habe ich mir gedacht, wir hätten keine Überlebenschance gehabt, wenn von jeder dieser Waffen 50 oder 60 Kugeln geflogen gekommen wären.
Wir wußten (momentan) nicht, wohin mit den gefangenen Russen. Ich habe in der Ortschaft ein Haus mit einem großen Gartenzaun gesehen und hab einen Schub mit ungefähr 200 Russen da hineingelassen und diese bewacht.
Da kamen russische Frauen mit Sonnenblumenkörnern in Körberln und baten mich, es den Gefangenen geben zu dürfen. Ich habe es ihnen erlaubt, einige haben die Körbchen einfach über den Zaun geworfen. Da habe ich mich so richtig entsetzt, wie die Russen sich über die Sonnenblumenkörner gestürzt und gerauft haben. Es waren dort auch viele Mongolen dabei, die mit den Schlitzaugen schiach zum Anschauen waren. Da hab ich mir gedacht, na, wenn wir denen in die Hände fallen würden, die würden uns fressen mit Haut und Haar. Als die Russen alle abtransportiert waren, gab es für uns sechs Tage Ruhepause in einem Obstgarten.
Da waren Teile der 1. Gebirgsdivision, der 3. Geb.Div, der 4. Geb.Div, der 100. Geb.Div. und der 297 Inf.Div da. Dort hat ein General eine Ansprache gehalten. Er sagte unter anderem, der Endsieg wäre nahe, aber wir Gebirgsjäger wollen noch Berge sehen. Da wußten wir dann, die 1. und 4. Geb.Div. schwenken ab nach rechts in den Kaukasus und mit uns geht es weiter in Richtung Kalatsch und Wolga, vielleicht bis zum Ural.
An Stalingrad hatte da noch niemand gedacht.
Es ging dann in richtigen Marschkolonnen weiter in Richtung Isium. Dort haben sich schwere Kämpfe abgespielt, bei denen wir nicht dabei waren. Die Stadt brannte lichterloh, sie war ein Trümmerhaufen, die Drähte der Straßenbahn und der Stromleitung hingen herab. Nach der Stadt, in einem Vorort, war auf der Straße ein riesiger Bombentrichter. Dort begegnete mir eine Frau mit einem Pony, den Wagen mit Säcken beladen. Weil sie meinetwegen auf die andere Seite auswich und zu nahe an den Bombentrichter herankam, fiel der Wagen um und die Säcke fielen alle in den Trichter. Da ich wußte, daß sie meinetwegen das Unglück hatte, blieb ich stehen, stieg aus meinem Auto und half ihr, den Wagen aufzustellen, die Säcke aus dem Trichter herauszuholen und wieder auf den Ponywagen zu legen.
Da fing die Frau auf einmal an, mit mir Deutsch zu sprechen. Sie bedankte sich bei mir für die Hilfe und ich unterhielt mich einige Zeit mit ihr. Sie sagte unter anderem, sie wäre erfreut über die Deutschen, aber wir müßten wieder zurück, weil die Russen wieder kommen. Momentan wußte ich nicht, was ich mit dieser Frau anfangen sollte und ob ich sie verhaften soll, weil sie bestimmt mehr wissen mußte. Sie hätte bestimmt auch mehr gewußt, weil sie aber von ihrem Mann, der in der Roten Armee war, schon lange keine Nachricht mehr hatte und auch etwas von ihren Kindern erwähnte, ließ ich sie weiterfahren. Hätte ich sie mitgenommen und zum Verhör gebracht, wer weiß, was unsere Nazispinner mit ihr angefangen hätten. Die Kinder wären dann sicher elternlos gewesen.
Mit den Gedanken, ich bin neugierig, ob diese Frau recht hat, fuhr ich dann weiter. Schon nach acht Monaten konnte man erkennen, daß sie recht hatte. Der Vormarsch ging weiter Richtung Slawiansk, man konnte fast meinen, der Krieg sei bald aus, da wir sehr wenig Widerstand hatten. Die Russen, die wir in Charkow und nachher gefangen haben, waren in einem miserablen Zustand. Es waren viele alte und gebrechliche Männer und man mußte wirklich meinen, die Russen sind am Ende. Sie besaßen sehr viel amerikanisches Kriegsmaterial, Flugzeuge B 2-Bomber, Lastwägen, Konserven.
Es kam von zuhause ein Gesuch um einen Sonderurlaub, von der Gemeinde bestätigt, da der Hagel den Großteil der Dächer eingeschlagen hatte. Weil die Offensive Richtung Stalingrad schon im Gang war, wurde das Gesuch abgelehnt.
In der Nähe von Slowiansk war ein Wald in Sicht, da hatten sich die Russen verschanzt und es kam heftiges Artilleriefeuer auf uns zu. Wir vermuteten einen Gegenstoß, der aber nicht kam. Da wir die 4. Rumänische Infanteriedivision zur Verfügung hatten, mußte diese den Wald stürmen. Sie bekamen von uns Artillerieunterstützung, einige Bomber waren auch zu sehen. So liefen die Rumänen im Sturmangriff dem Wald entgegen.
Was nun passiert ist, ist grausam. Einige 100 Meter vorm Wald waren total vermint. Man hörte nurmehr krachen und schreien. Die Rumänen sind hier in ein ganz brutales Minenfeld geraten. Sehr viele waren tot, bei sehr vielen waren Hand oder Fuß weggerissen. Da ich in Stalino einen Sanitätskurs gemacht hatte und aushilfsweise auch mit dem Sanka fahren mußte, half ich, die Fußverwundeten aus dem Feld zu holen. Das war sehr gefährlich, es hat auch noch sehr viele Helfer erwischt. Wir mußten die verwundeten Rumänen in den Wald tragen. Wir setzten sie einfach zu den Bäumen hin. Dann fingen rumänische Ärzte zu amputieren an. Was ich da ansehen mußte, bringe ich mein Leben lang nicht aus den Augen. Sie schnitten die Haut rundherum auf, schoben sie etwas hoch und sägten den Knochen mit einer Knochensäge einfach ab und hefteten die Haut wieder darüber. Dann setzte man sie wieder zu einem Baum. Man hörte dort keinen schreien, sie krächzten nur vor Schmerzen. Es waren an die 100 verwundete Rumänen. Ein rumänischer Offizier verlangte mein Soldbuch, später wurde mir eine rumänische Medaille geschickt.
Im Donezgebiet spielten sich dann noch schwere Kämpfe ab, es waren dort in der Nähe Ortschaften mit deutschen Namen: Herzenberg und Wiesendorf. Der Vormarsch kam dort einige Tage zum Stillstand. Am 28. Juni ging die Offensive Richtung Kalatsch und Stalingrad los. Im Raum Steponowka, Mankowa, Orlow, Artenow, Osinowskoi, Petrowa, wollten uns die Russen mit ihren schweren T 34 Panzern wieder zurückjagen.
Aber als sie unsere 8,8 Kanonen verspürten und die meisten Panzer brannten, drehten sie um. Einer von ihnen wollte es nicht glauben. Ein Volltreffer von uns riß ihm den Turm weg. Der Panzer fuhr weiter und schoß mit schwerem MG. Daraufhin schossen ihm unsere 8,8 Kanonen eine Laufkette ab. Dann fuhr er immer im Kreis herum und schoß noch immer weiter. Dann haben ihm unsere Burschen eine Durchschweißgranate in die Ölwanne versetzt. Das Biest fing dann zu brennen und heftig zu rauchen an, aber noch immer kamen MG oder Pistolenschüsse aus dem brennenden Wrack. Erst als man sie mit Handgranaten erledigte, sah man, daß ein Kommissar dabei war. Da merkte man, daß diese vereidigt sind, zu siegen oder zu sterben. Die Kommissarnadel mit dem vergoldeten Sowjetstern habe ich ihm abgenommen und auf mein Brieftascherl gesteckt. Das und auch die russische MP wären für mich schöne Souvenirs gewesen.
Den Stern und die Kommissarstiefel, die aus einem so weichen Leder waren, daß man sie wie Handschuhe zusammendrehen konnte. Die wollte ich mir mitnehmen, wenn ich einmal nach Hause auf Urlaub fahren würde.
Der Vormarsch ging weiter Richtung großen Donbogen. Im Raum Ljubinow - Jelkin mußten wir eine Fahrzeugkolonne aneinanderhängen, sämtliche Sumpfmatten auslegen und einen 18er ZKW vorspannen. So gings durch ein Sumpfgebiet und den Fluß Zimla. Der Vormarsch ging wieder einige Tage zügig weiter. Die Infanterie kam garnicht mehr nach. In einem unwegsamen Gelände hatten wir auf einmal heftigen Widerstand. Innerhalb von ein paar Stunden waren wir eingekesselt. Es war ein kleiner Kessel, so ca. drei bis vier Kilometer mit ungefähr 300 Mann im Durchschnitt. Wir forderten sofort von außen Hilfe an, aber bevor für uns Hilfe kam, kam ein russisches Bombergeschwader, so um die 20 Stück JL 2. Sie kreisten einmal über uns und suchten sich das richtige Ziel, denn die meisten unserer Zugmaschinen mit 8.8 Kanonen standen noch ungetarnt im Freien. Die Geschütze waren noch nicht in Stellung. Das wird wohl unsere letzte Ölung sein, dachten wir wohl alle. Als dann die erste JL2 ihr Ziel anflog, sahen wir zwei deutsche Jagdflugzeuge ME 109 gerade noch zum richtigen Moment anfliegen. Der erste nahm gleich die 1. JL2 ins Korn, die gleich in der Luft expoldierte. Der zweite ME 109-Jäger nahm den anderen Bomber ins Korn, der ebenfalls sofort in der Luft explodierte. Die zwei Jäger kehrten kehrten sofort um, wiederholten das für uns herrliche Schauspiel mehrmals und so fielen in fünf bis zehn Minuten 11 JL2 vor unseren Augen brennend herunter. Die meisten explodierten beim Aufschlag.
Die beiden ME 109 - Jäger kamen nach einer Weile zurück. Im Tiefflug wackelten sie über uns hinweg. Es kann sich wohl niemand vorstellen, wie unsere Stahlhelme oder Feldmützen als Begrüßung und Dank für das für uns lebensrettende Schauspiel in die Luft flogen.
Drei Tage waren wir wieder eingekesselt, bis wir uns dann selbst freikämpften. Wir hatten einige Tote und viele Verwundete. Der Spieß hat noch im Kessel Waffenappell angeordnet und ich Frechdachs hab mir gedacht, ich habe etwas wichtigeres zu tun und bin mit meinem Wagen zum Werkstattwagen gefahren, um die Batterie zu warten. Der stand den Bach entlang unter den Stauden einige 100 Meter weiter unten. Ich mußte an der Stelle, wo sich gerade der Appell abspielte, vorbei. Der Spieß holte mich aus dem Wagen, schrie mich an: "Der Waffenappell gilt auch für Sie, Herr Gefreiter!" denn er hatte mich am 1. Mai zum Gefreiten befördert. Sie melden sich morgen um 1/2 9 Uhr zum Rapport.
Jawohl, Herr Hauptwachtmeister! Ich fuhr, nachdem ich ihm erklärt hatte, daß mein Karabiner in Ordnung ist, aber die Batterie Wartung nötig hat, seelenruhig zum Werkstattwagen. Am anderen Tag um Punkt 1/2 9 Uhr meldete ich mich mit "Gefreiter Mairinger zur Stelle!"
Oberleutnant Meyer sprach bloß das Urteil: "Ich bestrafe den Gefreiten Mairinger wegen unerlaubtem Fernbleiben vom Waffenappell zu 3 Tagen Arrest. Nehmen Sie die Strafe an?"
"Jawohl, Herr Oberleutnant!"
Der Schirmmeister, Oberwachtmeister Lintner, sagte mir gleich, ich solle mir nichts draus machen, weil sie mich hier sowieso nicht einsperren können, da wir doch so wenig Kraftfahrer hatten und außerdem würde es vom Regiment aus nicht bewilligt werden.
Da der Spieß merkte, daß ich mich über das Urteil nur freute, wurde er zornig und schickte mich strafweise kartoffelstehlen. Dem Spieß brachte ich nur ein Schüsserl voll, mindestens 20 mal soviel behielt ich für mich, für den Schirmmeister und meine Kameraden. Als ich aber auch da aufflog, mußte ich für den Spieß und den Leutnant strafweise Splittergräben graben, bis der Schirmmeister dreinfuhr. Er machte ihnen klar, daß es nur der Mairinger ist, den man losschicken kann, wenn es brenzlig ist.
Wir näherten uns dem großen Donbogen. Ich mußte bei einem Spähtrupp mitgehen, denn die Infantrie war wieder weit zurückgeblieben. Als wir uns im Morgengrauen in einem Getreidefeld dahinpirschten, sahen wir, daß wir einen russischen Spähtrupp überquerten. Als wir sie anriefen "Stoi pan ruki werch" waren sie so erschrocken, daß sie sich gleich kampflos ergaben. Sie gingen gleich mit und erklärten uns, daß einige hundert Russen einen großen Angriff machen werden. Wir wollten die sieben Russen den Kroaten übergeben, da von uns niemand Zeit hatte, sie zurückzubringen. Der kroatische Leutnant sagte: "Ich habe auch nicht Zeit, legt sie um, dann seid ihr sie los." Wir taten das nicht, weil sie sich kampflos ergeben hatten.
"Gebt sie her", sagte der Leutnant. Er befahl den Russen, sich hinzustellen. Ich vermute, die Russen haben das Gespräch einigermaßen mitgekriegt, denn sie gingen hin, als würde für sie die Erlösung kommen. Als die ersten Schüsse fielen und die ersten Russen umfielen, sind die beiden jüngsten zu mir hergesprungen. Bitte, bitte, nicht schießen, bitte, bitte nicht schießen! Ich habe mir die beiden gut angesehen. Sascha konnte ein bißchen Deutsch. Er erklärte mir, Petro ist ein Chauffeur und er ein kleiner Infantrist. Er habe nie auf Deutsche geschossen. Ich ging dann mit den beiden zum Schirmmeister, der gleich sagte: "Dann nehmen wir sie halt mit!"
Sascha mußte dem Truppenarzt helfen, Petro wurde wieder Chauffeur, er mußte einen russischen Beutewagen fahren. Was haben die beiden als Dankbarkeit doch alles für uns getan. Wenns beim Essen haperte, die beiden hatten schnell was herbeigeschafft.
Nach Stellungswechsel haben sie mir schnell wieder einen Splittergraben gegraben. Beim Störungsuchen am Telephonkabel gingen sie meist freiwillig mit. Sascha hatte auch bald eine russische Ziehharmonika. Er spielte oft und Petro tanzte. Die beiden waren sehr glücklich, bei uns sein zu können. Sascha sagte oft zu mir: "Josef, gib mir Karabiner und Uniform. Ich mit dir schießen!". Das tat ich aber doch nicht.
Kurz vor Kalatsch, im Raum Tschir, bekam ich auf einmal Bauchschmerzen. Der Arzt sagte, das sei eine Blinddarmreizung und schickte mich ins Feldlazarett Berelasovsky. Da lag ich schon auf einer Holzpritsche zum Operieren, da stellen die Sanis 38 Grad Fieber fest. Mit Fieber können wir nicht operieren, warten wir bis morgen. Den anderen Tag war ich fieber- und schmerzfrei. Einen Tag und eine Nacht mußte ich noch zur Beobachtung bleiben. Dort habe ich den Franz Scheibl aus Frankenburg Reitenberg,- einen Schulkameraden - und Müller in Rampft, Schildorn, getroffen. Dann hieß es, zurück zur Truppe. Ich ging aus der Lazarettbaracke heraus, blieb auf dem Rollfeld ein wenig stehen und überlegte, was ich jetzt tun werde. Ich hätte jetzt Gelegenheit gehabt, ein bisserl umherzuschwanzen, denn es könnte mir ja niemand vorschreiben, daß ich meine Truppe sofort wiederfinden mußte. Und wie es eben sein will, kommt ein Wagen der 227iger Sturmgeschützenabteilung daher, der hinten war, um Post zu holen. Den Wagen und auch den Fahrer kannte ich gut, denn sie lagen oft neben uns. Der nahm mich gleich mit und so war ich am selben Abend wieder bei meiner Truppe. Sie war schon wieder ganz wo anders. Sascha sagte zu mir, du nix krank, etwas kommen, nix gut. Ruski fiel Tankis Kalatsch. Er hatte ein Gespräch mitangehört, dem er entnahm, daß in Kalatsch eine große Panzeransammlung ist. Schon am nächsten Tag hatten wird die Bescherung. Der Russe kam mit über 400 Panzern an. Es wurde eine reine Panzerschlacht. Da unsere Flakbatterien schon am Vortag durch Luftaufklärer informiert waren, war das ein richtiges Fresserl für uns. Die 1., 2. und 3. Battrie hatten je 4 Stück 8,8 Kanonen. Die 4., 5. und 6. Battrie hatten die 2 cm Vierling und 2 cm Geschütze. Durch ein vorheriges Artilleriefeuer sind bei uns einige Geschütze ausgefallen. Auch einige Tote und Verwundete gab es. Als dann die Panzer kamen, ließen wir sie sehr nahe heran, bis bei uns Feuer frei war. Dann brannten aber im Nu einige Panzer. Ich meine, in einer schwachen halben Stunde waren mehr als die Hälfte erledigt. Die anderen drehten wieder ab. Da wurde uns klar, daß der Russe doch nicht am Ende ist.
In der Nähe von Kalatsch hatte eine bespannte Einheit ihre Fahrzeuge mit Pferden in einem Obstgarten abgestellt und außer dem Obstgarten einige russische Paniwagen. Das war der Fehler, denn die deutschen Bomber vermuteten lauter Russen. So bombardierten sie den Obstgarten. Als einer von denen eine Leuchtkugel hochschoß, war es schon zu spät. Im Obstgarten ging es schon drunter und drüber. Die Trümmer von unseren Pferden und den Paniwagen flogen in der Luft herum. Die Fleischfetzen von den Pferden hingen auf den Bäumen. Einer von den 3 He 111 landete, entschuldigte sich und sagte ihnen, sie hätten selbst Schuld. 1. wegen der russischen Paniwägen, 2. wegen der späten E.S. Erkennungskugel. Er nahm die Schwerverwundeten gleich mit. Das war kurz vor der Don Höhenstraße, Werchne Akadov.
Ein sehr interessantes Erlebnis war es mit den Do-Geräten (Stukka zu Fuß). Es war ein weitgezogener Hügel, sehr kalksandig. Da ging die Front mehrmals hin und her. Einmal waren die Russen oben, dann wieder unsere Panzer. Unsere Panzer wagten es nicht, über diesen Hügel durchzubrechen, da die Russen eine Flakbattrie mit den 8,8 Kanonen, die gleiche wie unsere, hatten.
Einige von unseren Panzern hatten schon Treffer abgekriegt. Es war die 16. Panzerdivision, der wir unterstellt waren als Vorausabteilung. Zur Panzergegenabwehr kamen dann die Do-Geräte von hinten nach vorn. Die Männer zogen diese kleinen Dinger bei uns vorbei. Wir lachten nur über diese Blechröhren, die wie auf ein Pflugrad aufgebunden waren. Sie gingen einige 100 Meter vor uns in Stellung, in einem Seitenabstand von ca. 30 m ungefähr 12 Geräte. Wir warteten gespannt ab, was da jetzt kommt und gingen ganz in die Nähe heran, um die Dinge kennenzulernen. Der Kommandeur stand mit seinem Sprechrohr etwa 20 m hinter der Linie und schrie "Alles fertig, 12 Schritte zurücktreten, volle Deckung!". Na, was hat denn der im Sinn, dachten wir. Nach einer Weile schrie er "Feuer frei!". Die Staubwolke, welche diese Raketengeschoße hinten hinaus in die Luft geblasen hat, war mehr als haushoch. Wir standen momentan in einer Staubwolke, sind zu unseren Fahrzeugen gerannt, drehten die Fenster zu und warteten diesen Zauber ab. Als dieser Lärm vorbei war, die Sandwolke sich verzogen hatte, hieß es "los jetzt, vorwärts, marsch". Unsere Panzer voraus, wir hinterher. Als wir diesen Hügel kampflos hinter uns hatten, sahen wir ein Leichenmeer. Die Do-Geräte haben dort wahrscheinlich zum erstenmals Pressluftsprenggranaten eingesetzt. Die Wirkung war brutal, bei jedem Einschlag war im Umkreis von 50 m jedes Lebewesen kaputt.
Die Leichen standen im Schützengraben, lehnten am Ufer mit dem Gewehr im Anschlag. Blut kam aus dem Mund und der Nase. Von der Weiberflak, die die gleichen 8,8 Geschütze hatten wie wir, waren alle tot. Es lagen so viele Leichen, daß man nicht mehr ausweichen konnte. Wir mußten einfach darüberfahren. In der nächsten Nacht haben die Russenflugzeuge Flugblätter abgeworfen. Wenn wir noch einmals solche Sprenggranaten verwenden, kommen sie sofort mit dem Gas. Dann haben wir die Stukka zu Fuß nie wieder gesehen. Das alles war schon in der Kalmückensteppe.
Die Stalinorgel, 12 Raketen, waren auf LKWs aufgebaut und haben nach der Schußabgabe sofort die Stellung gewechselt, wobei jeweils 3 Fahrzeuge gemeinsam angriffen.
Unvergeßlich bleibt mir auch die Donüberfuhr. Dort haben unsere Pioniere vom 2. Pionierbattailon in einer knappen Stunde über den 200 m breiten Don eine Pontonbrücke geschlagen. Dies unter ständigem Flugzeugbordwaffenbeschuß. In jedem 2. Ponton war ein Pionier, der die Löcher wieder zustoppelte, die die Flieger geschossen hatten.
Nachdem unsere 2 cm Vierlingsgeschütze den Brückenkopf bildeten und den russischen Jagdflugzeugen so richtig Feuer unter den Arsch gaben, konnten wir die Brücke einigermaßen risikolos überqueren. Es war nicht leicht, unsere schweren 8,8 Kanonen mit den 18 Tonnen schweren Zugmaschinen über die im Fluß frei im Wasser schwimmende und umherwackelnde Pontonbrücke zu lotsen. Eine schwere Aufgabe stand uns bevor, denn der Flughafen Pitomnik war unser Ziel. Die Verteidigung dieses Flughafens war sehr zäh, es dauerte einige Tage, den Flughafen von den Russen zu säubern und sie sind einigemal wieder durchgebrochen. Es war nun schon August. Im September stießen wir bis an die Vororte von Stalingrad vor. Da wir keinen Widerstand hatten und keine Russen verspürten, mußten wir zurück, um uns zur Einnahme der Stadt Stalingrad vorzubereiten. Als wir uns am nächsten Morgen wieder den Vororten näherten, kam eine saftige Begrüßung.
Die Russen hatten sich in den Häusern und Mulden verschanzt. Sie ließen uns sehr nahe ran. Einige russiche Panzer waren verkehrt in die Holzhütten hineingefahren. Als ihnen unsere Panzer nahekamen, flogen ohne irgend eine Warnung die Bretter weg. Es waren schwere Panzerkämpfe, bis unsere 8,8 Geschütze in Stellung waren. Infanterie, Pak, Pioniere, alles nur mögliche wurde dann dort eingesetzt, um die Stadt zu erobern.
Da es vorerst sehr hart zu werden schien, plante die Führung, die Stadt einzukesseln. Das große Bombardieren der Stadt Stalingrad begann, ein Geschwader nach dem anderen kam. Die Stadt brannte 2 Monate in einer riesigen Rauchwolke, je nach Wind waren wir oder die Russen in schwarzen Rauch gehüllt.
Ein Teil deutscher Verbände mußte südlich der Stadt bis an die Wolga vordringen und wir mußten im Norden der Stadt vordringen. Es war der 21. September, 1/2 2 Uhr nachmittags, als wir die Wolga erblickten. Der Keil, den wir da nördlich von Stalingrad hineingetrieben haben, war ungefähr 90 km tief. Unser Befehl war, den Russen den Rückzug nach Norden abzuschneiden, was wir auch prompt und zäh ausführten. Anfangs gab es schwere Kämpfe, Ende September ließen sie nach. Bei einem der Kämpfe, wo unsere 8,8 Kanonen bis auf eine, die des Geschützführers Wachtmeister Gemünden ausfielen und auch er nurmehr alleine am Geschütz war, ließ er die Panzer bis 8 m vor das Geschütz herankommen. Er bediente nun das Geschütz alleine. Nachdem er den Verschluß herausnahm und durchs Rohr zielte, mit seinen Füßen die Höhenund Seitensteuerung betätigte, schoß er innerhalb von ca. einer Viertelstunde 24 T34 mit 27 Schuß ab. Er wurde zum Leutnant befördert und mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. 4 Wochen Sonderurlaub und eine Reise durch Italien mit seiner Frau und der Familie gab es außerdem. Als er wieder zurückkam, waren wir schon eingekesselt und er mußte einfliegen. Auch ich hätte anfangs November in Urlaub fahren können, hatte den Urlaubsschein schon empfangen und wollte mich beim Schreibstubenwagen, der noch hinten in der Nähe von Kalatsch lag, abmelden.
Da kam mir der Oberleutnant und Battriechef entgegen. Er wollte mich gerade über Funk benachrichtigen und mich ersuchen, einen anderen Kraftfahrer zuerst fahren zu lassen, von dem ein Telegramm seiner Angehörigen über einen Todesfall in der Familie gekommen ist. Weil es zu wenig Kraftfahrer gab, konnte er uns nicht beide weglassen. Er meinte ich könne dann fahren, wenn dieser Fahrer zurückkommt und ich wäre dann zu Weihnachten zu Hause. Wäre eigentlich schön, dachte ich, die letzten Weihnachten habe ich ohnehin in Frankreich verbracht, und so willigte ich ein.
Dieser Kraftfahrer, ich kann mich an seinen Namen nicht mehr erinnern, flog sofort weg und ich fuhr wieder zurück an die Wolga in die Prozenstellung. Es ging gleich wieder los. Störungssuche, was ja immer etwas wie ein Himmelfahrtskommando war. Wenn keiner mehr gefahren ist, aber der junge Spund, der Mairinger, ist gefahren. Der Schirmmeister, Oberwachtmeister Lintner, sagte einmal bei der Befehlsausgabe vor allen Leuten: " Bin neugierig, wann ich für Mairinger und seinen Wagen eine Vermißtenanzeige machen muß".
Als wir am 21. November eingekesselt wurden, wurde dieser Kraftfahrer sofort wieder telegraphisch einberufen. Er kam aber bei uns nicht mehr an, er wurde außerhalb des Kessels abgefangen und an eine andere Einheit zugeteilt. Es dauerte ungefähr 14 Tage, dann kam die Nachricht, er sei im Raum Ischier gefallen. Ich dachte nun an mein kleines Rosenkränzlein und an den Himmelbrief, den ich von der Wirtin in der Spöck bekommen habe. Sie sagte mir beim Abschied, wer den Himmelbrief mithat, dem passiert nichts.
Der Spieß sagte bei der Befehlsausgabe, wir sind 330.000 Mann im Kessel. Es braucht niemand eine Angst haben. Wir verfügen über genügend Waffen und können uns jeder Zeit selbst befreien.
Nun nochmals zurück zum 21. September. Als wir die Wolga erreicht hatten, schoß eines unser 8,8 Geschütze auf der Wolga ein russisches Kanonenbot ab. Daher kam aus dem Führerhauptquartier als Belohnung eine Kiste Sekt, eine große Menge Zigaretten, Schokolade und Bonbons.
Dieser Frontabschnitt hieß Nordriegelstellung. Unser Troß und die Küche waren ca. 80 bis 90 Kilometer weiter hintern im Raum Kalatsch (Peskowatka).Der Küchenwagen kam in der Woche nur ein oder höchstens zweimal mit Verpflegung. Man mußte nun schon sparsam umgehen. Es waren nun die beiden Russen Sascha und Petro oft unsere Rettung. Sie haben einigemal volle Mehlsäcke dahergebracht. Wo sie diese herhatten, wußten wir nicht.
Es kam dann der Funkspruch von General Manstein, von der Division Manstein: "Kameraden, harret aus, Manstein haut euch raus"! Auch die Division Hood machte einen Versuch, uns freizukämpfen, nachdem die Division Manstein gescheitert war. Die Russen waren bereits darauf vorbereitet, daß von Außen Hilfe angerückt kam.
Am Heiligen Abend hatte unsere Küche einen Volltreffer. Es waren fünf Tote, wir hatten nicht einmal Kaffee.
Nun kam Leutnant Gemünden von seinem Sonderurlaub und der Reise durch Italien zurück. Er wurde eingeflogen und machte sofort einen Vorposten. Er schlich sich nachts mit einem Funkgerät vor in die HKL, kroch in einen ausgebrannten russischen Panzer und leitete für unsere 8,8 Geschütze das Feuer, die jetzt für indirekten Beschuß auf Nord-Stalingrad, Traktorenwerk Tschersinsky, eingesetzt waren.
Kurz vor Weihnachten kam der Befehl vom Führerhauptquartier: "Alles einigeln, vorbereiten auf Winterstellungen, Stellungskrieg"! Ich fuhr mit meinem Wagen und mit den beiden Russen in einen Vorort von Stalingrad, um Bauholz für unsere Bunker zu holen. Es wurden dort unzählige Häuser einfach abgerissen, um Bauholz für den Bunkerbau und denStellungsausbau. Auf dieser Strecke war ein sehr gefährliches Stück, welches von der überschweren Artillerie eingesehen war. Als wir dieses Stück passieren wollten, kam ein russischer Tiefflieger auf uns zu. Wir sprangen schnell aus dem Auto, wollten weglaufen um Deckung zu suchen. Es war aber schon zu spät. Ich kann mich nur mehr an einen fürchterlichen Kracher und Hitze erinnern. Dann war ich wahrscheinlich einige Zeit bewußtlos. Die beiden Russen, die auf der anderen Seite aus dem Wagen gesprungen sind, hatten keinen Schaden erlitten. Sie haben mich aus dem Erdreich gezogen und zum Auto gebracht. Als ich zu mir kam,sah ich, daß ich mit nur ein bißchen Nasenbluten und dem Schrecken davongekommen bin. Ich mußte aber dann doch feststellen, daß ich in den Ohren auch etwas abgekriegt habe und konnte einige Wochen sehr schlecht hören. Aber wir haben sehr viel und sehr schönes Bauholz für unsere Bunker heimgebracht. Es war ein ziemlich neuer Dachstuhl, von dem wir unsere Beute hatten. Als wir einen sehr schönen Bunker fertig hatten, haben die beiden Russen neben dem Bunker in einer ca. 3 Meter hohen Böschung waagrecht ca. 2 m hinein ein Loch gegraben und dann rechts um die Ecke eine kleine Höhle. Da haben dann die beiden splittersicher gehaust. Sie haben mich einigemal eingeladen, mit ihnen in die Höhle zu kommen. Das war oft sehr interessant. Da sprachen sie mit mir über alles und wir sind ehrliche Freunde geworden. Petro erklärte mir einmal, wenn
die Russen nix Tanki (Panzer), Deutsche nix Tanki, Rußki nix Samloti (Flieger), Deutsche nix Samloti, watt dakoi Ruki und so zeigte er mir die geballte Faust und er meinte, wenn wir mit der Faust kämpfen würden, wären wir schon längst in Berlin.
Petro war wahrscheinlich ein zäher Kommunist. Er war ein robuster Mechaniker. Sascha war Büroangestellter, ein sehr zarter und intelligenter Weißrusse und in der Nähe von Stalingrad zu Hause. Wenn er zurück überlaufen würde, würde er sofort erschossen oder zu lebenslanger Zwangsarbeit in Sibierien verurteilt, denn sie sind vereidigt, bis zum Sieg zu kämpfen oder bis zum Tod.
Den 3. Dezember werde ich wohl auch nie vergessen. Ich war mit meinem Wagen hinten beim Troß, der in Dimitriefka lag. Dort hatte ich drei Autos stehen. Die Kraftfahrer waren schon gefallen und ich habe diese Autos schon einige Zeit mitgeschleift. Darunter war ein Ford V8, ein geschlossener Kastenwagen, der für uns sehr wichtige Sachen, Verpflegung für die Darm- und Ruhrkranken und Sanitätsmaterial, geladen hatte. Der Kraftfahrer ist im Raum Kalatsch gefallen, der Sanitätsgefreite Deimling Alois war für den Wagen verantwortlich, er traute sich aber nie damit fahren. Da am Ortsrand ein 2 cm Vierlingsgeschütz in Stellung war, ließen wir den Wagen dort stehen. Nachts um 1/2 11 Uhr hörte man schreien: "Alarm, Alarm!" Ich sprang aus meinem Wagen, in dem ich schlafen wollte. Ich sah einen Posten, der von der Feuerstellung zurückkam. Er sagte ganz verzweifelt: "Von dieser Richtung hört man ein ganz starkes Quietschen und Knistern im gefrorenen Schnee, das müssen sehr viele Russen sein." Wir warteten einen Moment, dann hörte man das schon bis an den Ortsrand. Ich lief schnell zum Ford V8 und startete. Der Motor lief kurz, starb aber sofort wieder ab. Zum zweiten Startversuch war die Batterie schon zu schwach. Ich sprang schnell aus dem Wagen, hob die Motorhaube hoch, nahm die Kurbel, steckte sie ein und wie es der Teufel haben will, fiel der vordere gerade Teil der Kurbel unter den Motorblock in das Schutzgehäuse. Ich mußte auf die Stoßstange steigen und von oben hinuntergreifen. Als ich mit der Hand ganz unten war und mein Hintern ganz oben, fing die Vierlingskanone an zu böllern. Die Schüsse gingen so nahe an meinem Hintern vorbei, daß ich meinte, die Schüsse hätten mir gegolten. Der Start ist mir dann geglückt. Ich fuhr mit dem Wagen zum anderen Ortsende. Da bin ich mit dem Auto auf ein Pferdegespann gestoßen. Da es ziemlich finster war, konnte ich die Pferde und auch den Fahrer schlecht sehen, aber an der Stimme und am Dialekt konnte ich erkennen, daß das ein Innviertler sein mußte. Ich blieb stehen, stieg aus dem Auto und wir duckten uns ein bißchen hinter einem Haus. Ich redete ein wenig mit ihm, er sagte, er sei aus Neuhofen bei Ried im Innkreis. Wir tauschten unsere Adressen aus, ich schrieb ihm meine Adresse schnell im Auto auf. Da er Doblmair hieß, hab ich gesagt, deinen Namen kann ich mir leicht merken, wenn ich unseren Hausnamen doppelt nehme, dann habe ich dich und brauch ihn mir nicht aufschreiben. Jedenfalls gibt der, der zuerst heimkommt, Nachricht.
Am Morgen schauten wir uns die Stelle, aus der die Russen kamen, nochmals an. Der Schnee war mehr rot als weiß durch das viele Blut. Tote lagen stellenweise übereinander, nicht mehr nebeneinander. Die hatten kurz hintereinander in drei Wellen angegriffen, alle drei Wellen wurden niedergemäht. Ich fuhr dann weiter Richtung Karpofka, wo es für unseren Bautrupp wieder viel und gefährliche Arbeit gab. Dort lagen viele Trosse von mehreren Einheiten, die meisten von der 100. Jägerdivision. Einige Tage und Nächte waren dort ziemlich ruhig. Wir mußten weiter Richtung Nordriegelstellung. In einem Dorf wurden wir abgefangen und mußten dort viele Telephonleitungen reparieren. Nach schweren Kämpfen mit der Stalinorgel, es waren jedesmals sehr viele Einschläge und die Stalinorgel hatte auch eine größere Reichweite als unsere Do-Geräte, war immer viel Arbeit. Unser Bautrupp war nun schon auf vier Mann geschrumpft, verwundet und gefallen. In dieser Nacht gab es wieder Alarm. Man hörte von allen Seiten Alarm, Alarm und man konnte nichts sehen und hören.
Dann hörte man aber doch zwischen den Häusern ein Rauschen und ein Schneeknistern. Man konnte überhaupt nicht wissen, was denn da los sei. Auf einmal fing mitten im Ort ein Haus zu brennen an. Der Ort war durch die hohe Flamme hell beleuchtet und man sah, was los war. Es liefen viele Leute in Uniform umher, sie sprangen von einem Eck zum anderen. Weil dort ungarische, rumänische und italienische Einheiten lagen, welche alle eine ziemlich gleiche Uniformfarbe hatten, konnte man schlecht erkennen, ob es Russen, Rumänen, Ungarn oder Italiener waren. Da wurde einfach durcheinandergeschossen, mit Gewehrkolben geschlagen, es war ein grausamer Nahkampf. Es schien so, als würden sich die Russen auf nächtliche Überfälle einüben. Wie schon erwähnt, kam kurz vor Weihnachten der Befehl zum Einigeln. Es waren aber nicht recht viele Tage in den schönen Bunkern und es war auch ziemlich ruhig in der Feuerstellung.
Es kam da ein junger Leutnant zur Frontbewährung zur Aushilfe, einer der meinte, er würde uns etwas lernen. Er kroch nachts im Schnee nach vorne und wollte uns von vorne kontrollieren. Da wir ja aus Erfahrung und auch aus eigenem Interesse sehr wachsam waren, beobachteten wir diese Gestalt längere Zeit. Wir ließen sie sehr nahe herankommen. Wir wußten nicht, wer es ist, wir dachten, es sei ein Überläufer. Als wir "halt Parolle" schrieen, ist er so erschrocken, daß er das Kontrollwort fast nicht herausbrachte. Nun sahen wir, daß es dieser junge Leutnant war. Unser Geschützführer schrie ihn mit lachender Stimme an, ob er da vorne wohl HJ-Buben suche. Ist schon in Ordnung, viel mehr wagte er nicht mehr zu sagen und ging in seinen Bunker. Wir haben dann beschlossen, ihm was zu zeigen. Wir hatten eine Kiste erbeuteter russischer Eierhandgranaten hinten in der Brozenstellung. Die haben wir in der nächsten Nacht in der Nähe der Stellung im Schnee verbuddelt. Als wir sicher waren, daß der junge Leutnant im Bunker war, gab es einen richtigen Granatenhagel auf seinen Bunker. Der Funker, der bei ihm im Bunker war, wußte Bescheid und spielte auch ein bißchen mit. Er jagte dem Leutnant noch mehr Angst ein und schrie: "Können wir denn nicht flüchten, es muß doch jeden Moment die Decke runterfliegen!"
Der Funker sagte uns am nächsten Tag, der Leutnant sei zitternd in einer Ecke gesessen und habe sich nicht mehr gerührt. Der Bunker war am Morgen ganz schwarz. Dem Leutnant hat es bei uns nicht gefallen, der ist bald wieder weg. Wir vermuteten, er hat sich selbst Fieber gemacht, weil er beim Arzt und dann so schnell weg war. Der Batteriechef Oberleutnant Mayer Friedrich sagte zu uns, der hat wohl durch diese Feuertaufe Fleckfieber gekriegt. Er wußte nämlich nicht, daß wir die Missetäter waren.
Es näherte sich Weihnachten und wir waren froh, daß wir die Bunker und Splittergräben fertig hatten und wir hofften, so einigermaßen Weihnachten feiern zu können. Post ist auch wieder einmal gekommen. Für mich war ein Paket von der N.S.V. dabei. Unter anderem war ein Schal, der als Winterbekleidung gedacht war, dabei. Dieser Schal war aus ganz durchsichtigem Stoff, vermutlich aus einem alten Vorhang, gemacht. Das empfand ich als reinen Spott.Ich knüpfte ihn daher auf einen Stock und heftete einen Zettel mit der Aufschrift "Wir danken unserer N.S.V." dazu. Dann steckte ich ihn vor unserem Bunker in den Schnee. Ein Funkwachtmeister sagte mir, ich solle das Fähnchen verschwinden lassen, wenn ich nicht vor das Kriegsgericht kommen möchte.
Die Russen sind wieder an mehreren Stellen durchgebrochen und kamen mit starken Panzerverbänden, mit überschwerer Artillerie, die von jenseits der Wolga herüberfeuerte. Auch J.L.2-Flieger, Bomber, amerikanische B2, Nachtaufklärer, Radar, von uns Nähmaschine genannt. Unsere Arbeit wurde nun recht umfangreich. Kabel legen, Störungen suchen, Verwundete versorgen. Ich hatte einen Sanka mitgeschleust, mit dem bin ich sehr viel gefahren.
So bin ich mit einem Sanitätsoffizier, es könnte auch ein Feldarzt gewesen sein, ins Gespräch gekommen. Er bat mich ganz dringend, zu ihnen zur Luftwaffensanitätsabteilung 115 zu kommen. Er hatte keinen Schirmmeister mehr, da ich aber nur Gefreiter war, würde ich einen solchen Posten nicht einnehmen können. Außerdem würde mich unser Schirmmeister, ObWm Lintner nicht weglassen. Vermutlich waren die beiden Bekannte oder Freunde. Ich erzählte das unserem Schirmmeister, der gleich zu mir sagte: "Wenn Du den Krieg überleben willst, dan bleib der, der Du bist!" Er gab mir aber doch die HDV und sagte, wenn es doch sein sollte, lies das durch, Du müßtest dann zum Ufz befördert werden. Ich hätte das aber nie getan, weil ich bei ihm von Paris weg Putzer war. Ich hab nicht nur seine Klamotten, sondern auch sein Auto immer in Schuß gehabt, das Essen, die Liegeplätze und Schlafgelegenheiten. Das alles besorgte ich für ihn. Er war damals schon um die 40, ein ausgesprochen ruhiger, ehrlicher, gütiger und symphatischer Mann aus Mannheim. Er war Automechanikermeister. Ich habe ihm jedenfalls sehr viel schönes und Gutes zu verdanken. Gott wird ihm das sicher alles vergelten, denn er hat auch wie viele Hunderttausend sein gütiges Leben für sein Vaterland in Stalingrad geopfert.
Wie immer war es vor einem Feiertag ziemlich ruhig. So war es auch einen Tag vor dem Heiligen Abend. Aber in der Nacht zum Heiligen Abend gab es an mehreren Stellen schwere Artilleriefeuer, Stalinorgeln und Bombenhagel. Man wußte nicht, wo unsere Flugzeuge geblieben sind. Die Russen wurden immer frecher, unsere Flakkanonen wurden immer weniger. Mit der Munition mußte schon sehr sparsam umgegangen werden. Einmal haben wir falsche Munition bekommen, die 10,5, welche für die Schiffsflak in Norwegen gehörte. Unsere 8,8 haben die in Norwegen bekommen, es war wahrscheinlich Sabotage. Unsere Küche hatte, wie schon erwähnt, in der Nacht zum Heiligen Abend einen Bombenvolltreffer. 5 Tote, die Küche ist in die Luft geflogen. 3 Leute waren von uns, 2 waren Hilfsrussen, Hiwis genannt. Am Heiligen Abend gab es nicht einmal Kaffee bei uns. Es gab zu dieser Zeit im allgemeinen schon sehr wenig Verpflegung, denn die Flugzeuge brachten viel zu wenig in den Kessel. Viele wurden abgeschossen, bevor sie landen konnten. Es war dann bald soweit, daß sie überhaupt nicht mehr landen konnten und nur mehr Verpflegssäcke abwarfen. Die fielen dann oft den Russen in die Hände. Das Hungern ging in allen Reihen des Kessels richtig los.
In der Zeit vor Weihnachten bis nach Neujahr war man über unsere Luftwaffe sehr enttäuscht. In den Monaten August bis Ende November hatte unsere Luftwaffe die Stadt Stalingrad so heftig bombardiert, daß man glauben mußte, in dieser Stadt könne kein Leben mehr sein. Die Bombengeschwader flogen pausenlos, ein Geschwader löste das andere ab. Die Stadt brannte und rauchte ganz schwarz, als wären lauter Öllager in Brand. Wenn der Ostwind ging, waren wir alle in schwarzen Rauch gehüllt, wenn der Westwind ging, waren es die Russen. Die Steppe, besser gesagt das Steppengras, brannte. Steppenbrände gab es schon im September, es brannte lichterloh, es war ein richtiger Flächenbrand. Das war alles, bevor der Schnee kam.
Um den 8. Jänner wurde die Front etwas ruhiger, da haben die russischen Flugzeuge Unmengen von Flugblättern abgeworfen. Es war ein Ultimatum. In deutscher Schrift stand drauf, wir sollen uns am 9. Jänner um 10.00 Uhr ergeben, an der Spitze ein Mann mit einer weißen Flagge. Wenn keine weiße Flagge vorhanden ist, genügt auch ein weißes Hemd. Die gesamte Armee wurde aufgefordert, sich geschlossen mit Rang und Würden, mit sämtlichen Waffen in der Höhe 102 zu ergeben. Falls wir das Ultimatum ablehnen, werden die Russen am 10. Jänner Punkt 6.00 Uhr den unbarmherzigen und totalen Vernichtungskampf beginnen. Auf diesen Flugblättern stand auch, daß wir Österreicher endlich Schluß machen sollen mit dem Hitlerkrieg. Es sei nur mehr ein sinnloses Hinopfern. Es gab Flugblätter, auf denen die Österreicher separat benannt und aufgefordert wurden, überzulaufen. Da waren Fotos drauf, wo Gefangene mit Gartenwerkzeug in einem Garten umhergehen. Das untere Eck rechts war strichliert zum Abtrennen. Da stand Probuß, auf deutsch Durchlaß. Das sollte man abtrennen, einstecken, mitnehmen und bei der Gefangennahme vorweisen, dann würden wir sofort in gute Lager gebracht, gutes und ausreichendes Essen und eine geregelte Arbeit bekommen.
Es war ein Risiko, solch einen Zettel abzutrennen und mitzunehmen. Man würde bestimmt wegen Feigheit vor dem Feind oder wegen Verrat vors Kriegsgericht kommen. Dieser 8. Jänner war sehr ruhig. Es war aber umso spannender, was unsere Generäle und das Führerhauptquartier entscheiden würden. In der Nacht zum 9. Jänner merkte man schon, was kommen wird. Sämtliche erreichbare Artillerie und Flakkanonen wurden in Richtung Höhe 102 befohlen, am 9. Jänner um 10.00 Uhr bekamen sie alle Feuer frei. Das war wohl der zweite große Fehler, den General Pauluß gemacht hat. Als wir eingekesselt wurden, wollten mehrere Generäle sofort ausbrechen. Eine riesige Menge Militär stand Richtung Woronesch mit Fahrzeugen und Panzern zum Durchbruch bereit.
General Paulus hat den Hitlerbefehl "alles zurück, alte Stellungen einnehmen, den Kessel bis zum letzten Mann, bis zur letzten Patrone halten", befolgt. Am 21. November standen wir Richtung Woronesch bereit zum Druchbruch, eine riesige Menschenmenge, Fahrzeuge mit Geschützen, Panzer, soweit man mit dem Auge sehen konnte. Jeder freute sich, daß wir aus dieser Sackgasse, die 90 km tief war und schon fast zwei Monate dauerte, herauskommen.
Um 1/2 11 Uhr nachts kam dann der Wahnsinnsbefehl vom Führerhauptquartier: "Alles zurück, alte Stellungen wieder einnehmen, den Kessel halten bis zum letzten Mann, bis zur letzen Patrone". Da hat dann alles geflucht, denn es wären vielleicht 20 bis 30 km zum Durchbruch gewesen. Man kann sagen und es waren alle der Meinung, daß wir es bestimmt geschafft hätten. General Paulus hatte aber Angst um seinen Kopf, es hätte uns vielleicht einige hundert Tote gekostet, aber wir wären draußen gewesen. Aber so hat der Wahnsinn 260.000 Mann gekostet.
Bald nach diesem Wahnsinnsbefehl ist General Seidlitz übergelaufen und hat auf russischer Seite eine Armee namens freies Deutschland aufgestellt, die dann gegen Deutschland gekämpft hat. Wir, die wir dabei waren, können uns ein Bild davon machen, wie es wohl am 9. Jänner um 10.00 Uhr auf der anderen Seite der Höhe 102 ausgesehen hat. Wenn da 20 oder 30 schwere Artilleriekanonen und einige 8,8 Flakgeschütze Feuer frei bekommen und die Russen an Stelle eines Parlamentärs mit weißer Fahne einen so brutalen Granatenhagel empfangen mußten, hatten die bestimmmt eine Menge Tote und Verwundete. Dieser 9. Jänner war dann ruhig, man hörte keine Schüsse, keine Panzer und kein Flugzeug. Man war wieder gespannt auf den 10. Jänner, 6.00 Uhr. Wie auf dem Flugblatt angekündigt, auf die Sekunde genau um 6.00 Uhr gings rund un den ganzen Kessel los. Artillerie, Stalinorgel, Panzer, panzerfaustähnliche Raketen, Flugzeuge. Es läßt sich auf dem Papier nicht mehr schildern, was am 10. Jänner, 6.00 Uhr im ganzen Kessel los war. Ich war diese Nacht hinten in Timitriefka, hab in meinem Bautruppwagen ein bißchen geschlafen. Schon in den ersten Minuten schlug eine Panzergranate in ein Holzhaus ein. Gleich einige Meter daneben stand ich mit meinem Wagen und wollte gerade abhauen. Da ich wußte, daß unser Truppenarzt, Unterarzt Dr. Finsterer aus Wien, sich in diesem Haus befand, bin ich schnell aus meinem Wagen gesprungen und in das Haus gelaufen. Da sah ich den Truppenarzt auf einer Bank sitzen. Er hatte am Kopf einen fingergroßen Holzsplitter stecken, den er von dem Panzereinschuß abbekommen hatte. Ich habe den Holzsplitter schnell entfernt und einen Kopfverband angelegt. Dann sind wir beide Richtung Nordriegelstellung abgehaut. Er mit dem Sanka, ich mit dem Bautruppwagen. Es war eine mörderische Fahrt durch den Bombenund Kanonenhagel. Als wir ungefähr um die Mittagszeit in der Nordriegelstellung ankamen, konnten wir uns nurmehr um die schwer Verwundeten kümmern. Die Toten und die Telefonkabel mußten wir zurücklassen. Auch unsere 8,8 Geschütze hatten schwere Ausfälle, die Vierlingsgeschütze sind schon Richtung Stadt abgehauen und gingen weiter hinten in Stellung, um den noch einsatzfähigen 8,8 Geschützen Feuerschutz zum Stellungswechsel zu geben. Um ca. 5 Uhr nachmittags kamen russische Panzer an unserer Feuerstellung vorbei. Dort holten wir Verwundete und ausgefallene Geschütze. Dort, wo noch einige ausgefallene Geschütze in Stellung waren, lagen einige Verwundete in den Splittergräben. Da sahen sie Leutnant Gemünden, der vorher als Vorposten vorne in einem ausgebrannten russischen Panzer saß hinten auf einem russischen Panzer hing und so wieder in unsere Linie gelangte. Als sie ihn sahen, schrieen sie ihn an, er haute sich auch gleich in den Splittergraben. Unser großes Glück war, daß die Panzer in eine andere Richtung einschwenkten. Jetzt konnten wir bei Dunkelheit die Verwundeten und Leutnant Gemünden zu unserem Troß, der auch schon in Richtung Stadt Stellungwechsel machte, bringen. Leutnant Gemünden, der das Feuer der 8,8 Kanonen auf das Traktorenwerk Zschersinski geleitet hat, war über das ganze Gesicht käseweis. Er wurde vom Abteilungskommandeur empfangen, sofort zum Oberleutnant befördert und mit dem Ritterkreuz mit Eichenlaub ausgezeichnet.
Die Kämpfe in der Zeit vom 10. Jänner bis zum 29. Jänner waren so brutal, daß man sie nicht beschreiben kann. Als unsere Geschütze alle kaputt waren, wurden wir alle noch Einsatzfähigen zur Infantriekampfgruppe Ditrich zugeteilt. Nun waren es nur mehr einige MG und einige Karabiner, die uns zur Verteidigung übrig geblieben sind. Ich bekam ein tschechisches MG in die Hand gedrückt. Es war für mich nicht leicht, jetzt als Infantrist auf Russen zu schießen. Ich spüre es heute noch, wie mir zumute war. Mit der Munition mußte man sehr sparen, die Verpflegung wurde nun so knapp, daß Einheiten, die keine Autos und so keine Gelegenheit mehr hatten, Verpflegung zu organisieren, buchstäblich in den Schützengräben verhungerten oder aus Schwäche erfroren. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es hin und wieder Pferdefleisch, da aber nun die Pferde aufgegessen waren, wurde der Hunger immer größer. Es war immer zwischen Minus 30 bis 42 Grad kalt und die Infantrie hatte noch dazu schlechte Winterbekleidung. Wir waren nun schon am Stadtrand von Stalingrad, da kamen unsere I-Gruppenmänner mit zwei 18-er ZKW mit zwei reparierten 8,8 Kanonen an. Es wurden sofort zwei Bedienungsmannschaften zusammengewürfelt.
Da ich aber noch zwei Wägen zu fahren hatte, kam ich Gott sei Dank nicht dazu. Ich hab nun meinen Bautruppwagen und den Ford V8 ziemlich nahe am Stadtrand in einer Schlucht, Zariza-Schlucht genannt, abgestellt. Da wir am 10. Jänner beim Verlassen der dortigen Stellung alles nicht unbedingt Nötige wegwerfen mußten, waren nurmehr leere Kisten hinten oben, die auch immer Sitzgelegenheiten waren. Vom Telefonleitunglegen war keine Rede mehr. Der Truppenarzt hat nun den Sanka selbst bis an die Zarizaschlucht gefahren. Sein Chauffeu Reichl Hermann war mit dem Arztwagen mehrere Wochen weit hinten in einer Armeewerkstatt. Ich habe ihn beneidet, als er mir erzählte, wie schön er dort gelebt hat. Er war privat bei Russen einquartiert und hat gewartet bis das Ersatzteil kommt. Ich mußte hauptsächlich Verwundetentransporte machen. Mit dem Arzt bin ich in eine Feuerstellung gefahren, um einen Verwundeten zu holen.
Als wir in der Feuerstellung ankamen, sah ich den Verwundeten schon im Schnee liegen. Ich drehte den Wagen gleich um, ging hin und hob mit beiden Händen dem Verletzten den Kopf etwas hoch. Während ich wartete, bis der Arzt kam, sah ich in einer Entfernung von etwa 200 bis 300 Metern einen schwarzen Punkt. Ich denke, es dürfte der Turm eines russichen Panzers gewesen sein. Im selben Moment machte es einen Blitzer, das Geschoß flog dem Verwundeten durch den Kopf, mir durch die Hände und Füße, weiter hinter uns in den Schnee. Es ist nicht explodiert. Den Toten hauten wir schnell in den Wagen und dann nichts wie weg. Mit dem Arzt, Dr. Finsterer, war es einigermaßen schön zu fahren. Er war ein sehr schneidiger junger Arzt, Sohn des Professors Finsterer aus Wien. Das war eine Ausnahme bei den Wienern. Einmal kam ein Anruf von der Feuerstellung in den Arztbunker, es sei ein Kranker zu holen. Der Arzt fragte, was er denn habe. Der Geschützführer antwortete, er wisse es nicht, es ist so ein komischer Wiener. Dann fragte der Arzt, was denn das Komische an den Wienern sei. Bevor dieser junge Unterarzt zu uns
kam, hatten wir einen alten Oberarzt im Rang eines Oberleutnants.
Er hieß Dr. Wimmer und war den ganzen Vormarsch bei uns Truppenarzt. Bei einem Nachtüberfall der Russen im Donezgebiet schrie er mich an: "Fahr mich weg, fahr mich weg, hier schieß, hier schieß!" Der hat eine Zeit später das EK 2 gekriegt. Der Schirmmeister hat mir dann gesagt, dreimal haben sie dich übers Ohr gehauen. Der erste war der Küchenunteroffizier, der zweite Oberarzt Dr. Wimmer, der dritte der Truppenschreiben, ein Münchner Unteroffizier, alles Zwölfender und keiner ein EK. Der Schirmmeister sagte, diese Sauerei geht vom Regiment aus, da hatte ich nämlich von den Italienern auch etwas nachgeschickt bekommen. Die hatten mich im Raum Pitomuik irregeführt. Sie zeigten mir einen in einer Mulde liegenden Leutnant. Ich dachte, daß muß einer von uns sein, als ich hinkam, sah ich, daß es ein italienischer Leutnant war und ich wollte ihn liegen lassen. Er hat mich wie ein kleines Kind gebeten, ihm zu helfen. So schnappte ich ihn, hob ihn auf und er legte seine Hand über meine Schulter. So humpelten wir zu seinen Kameraden, diesen Feiglingen. Sie baten mich, ich solle sie zum Doktor fahren, weil sie kein Auto hatten. Die vier Italiener, die noch mit einstiegen, standen neben dem Verwundeten mit Bajonett auf im Auto, warum sie das machten, konnte ich von ihnen nicht verstehen.
Bei einer Einsatzfahrt mit Verwundeten zum Feldflughafen Tschier kamen wir unter russischen Panzerbeschuß. Ich hatte das Glück, daß mein Wagen luftgekühlt war, denn die Motorhaube hat es bei einem Treffer vorne links weggerissen. Bis zum 26. Jänner fuhr ich dann ohne Motorhaube. Bei einer Fahrt mit Verwundeten zum Flughafen Gumrak sah ich einen Landser der 100. Division im Schnee sitzen. Er wollte zum Flughafen kriechen, er war schwer verwundet. Weil er aus Erschöpfung nicht mehr weiter konnte, wollte er seinem Leben ein Ende machen. Er hatte gerade eine russische Eierhandgrante abgezogen, die aber nicht losging. Als ich ihn fragte, was er da mache, sagte er: "I kann nimma und des Luada geht a net los!" Ich nahm ihm die Granate aus der Hand, warf sie in den Schnee. Er war ein sehr junger Gebirgsjäger und als ich ihn aufhob, sah ich, daß sein Fuß nurmehr an der Hose hing. Ich setzte ihn vorn zu mir ins Führerhaus. Er war sehr ruhig und hat kaum gejammert. Hinten im Wagen saß einer mit einem Streifschuß an den Fingern, der schrie und schrie. Ich hatte auch einen Steckschuß in meinem linken Unterschenkel. Der Unterarzt gab mir ein Verwundetenanhängsel mit einer Bestätigung, denn es sind viele mit einem blutigen Verband zum Flughafen gekommen und wurden ausgeflogen, obwohl ihnen nichts fehlte. Da das bald aufflog , konnte man nur mit einer Bestätigung vom Arzt ins Flugzeug steigen. Oft waren die, die selbst nicht einsteigen konnten, die armen Teufel, denn es waren Tag und Nacht so viele Verwundete da, daß die Flugzeuge, nachdem sie entladen und zum Verwundetentransport freigegeben wurden, von den noch gehfähigen regelrecht gestürmt wurden. Beim Start hingen sogar am Fahrgestell und am Rumpf Leute, die natürlich bald herunterfielen, weil die Hände sofort abfroren. Man sagte uns, daß 60 % der aufgestiegenen Flugzeuge von den Russen abgeschossen wurden. Dem mitgenommenen Landser half ich in das Flugzeug, gab ihm mein Verwundetenanhängsel und meine Heimatadresse und bat ihn, mir daheim alle zu grüßen. Ich rechnete damit, daß er nach seiner Genesung sicher bei meinen Eltern vorbeischauen wird, zumal er aus Braunau war. Erst als ich 1947 aus der Gefangenschaft heimkam erfuhr ich, daß er nicht ankam und zu 99 % abgeschossen wurde.
Als ich mit meinem Wagen zurückkam, staunte der Arzt und fragte, ob ich kein Flugzeug erwischt habe.
In der Zarizaschlucht standen nun alle unsere Wägen, auch der Ford V8, der noch sehr viel Diätverpflegung geladen hatte. Der Sanitätsgefreite Deimling Lois hatte Gott sei Dank soviel Verständnis und gab uns den Wagen frei. Er sagte selbst, es wäre ein großer Unsinn, wenn die guten Sachen den Russen in die Hände fielen. So hatten wir für einige Tage Reis, Trockenmilch, Kakao, Pudding, Schokolade, Haferflocken, Bonbons usw., das war wohl auch ein Grund, daß ich die ersten 10 Tage in der Gefangenschaft überlebt habe. Wir haben damals nur Schnee und Eis gelutscht, in dreieinhalb Monaten sind 45.000 Mann verhungert und erfroren. Im ersten Gefangenenlager Begetofka hofften wir immer noch, daß uns die Deutschen noch herausholen. Leider ist der gute Lois bis heute vermißt.
Noch ein Bild des Grauens ist mir in Erinnerung. Ich lud am Flughafen Gumrak Verwundete ein. Da stand eine HE 111, die mit Verpflegung, Verbandsmaterial und Munition eingeflogen war. Zum Rückflug wurde sie mit Verwundeten und Kranken beladen. Da standen noch 3 Sanitätstragbahren mit drei Schwerverwundeten.
Die hatten im Flugzeug keinen Platz mehr. Als die Maschine wegrollte, war wahrscheinlich ein Rad eingefroren und blockierte. Die Maschine schwenkte direkt seitlich ein und fuhr genau über die drei Tragbahren mit den drei Schwerverwundeten. Auch ein Leutnant war dabei. Der schrie noch:" Dieser Vogel hätte uns hinausbringen sollen, der hat uns jetzt wo anders hingebracht".
Ein Stück weiter war ein Stapel mit Rindfleisch, lauter ganze Viertel. Es sah aus, als ob es luftgetrocknet gewesen wäre und wurde schwer bewacht, damit niemand etwas nehmen konnte. Einige Stunden später brachen die Russen durch und alles wurde in die Luft gesprengt.
Am Flughafen Tschier sah ich einmal einen Güterzug mit ca. 40 Waggons. Da waren Waggons dabei, bei denen man die Feldpostpakete durch die Fenstergitter liegen sah. Diese Pakete wurden nicht freigegeben und schwer bewacht. Sie wurden alle vernichtet, als die Russen durchbrachen. Im ganzen Kessel war die Tagesration 50 g Brot, eine 800 g Fleischkonserve für 24 Mann. Für die vordersten in der Feuerstellung gab es zusätzlich etwas Schokolade, Bonbons und Zigaretten. Wieviele dort in den Gräben, Löchern und Kellern verhungert sind, weiß niemand. Daß es viele waren, wissen wir Überlebenden.
So um den 20. Jänner herum, schätze ich, war ich mit meinem Wagen wieder in der Zarizaschlucht. Das war ein ziemlich sicherer Platz, ein haushochtiefer Graben, der in den Jahrhunderten so tief ausgeschwemmt worden war. Es standen dort sehr viele Fahrzeuge. Weil es keine Aussicht mehr gab, jemals wieder aus dem Kessel herauszukommen, habe ich in meinen Privatsachen herumgestöbert und habe die Kommissarnadel, die Stiefel und die russische MP im Schnee vergraben.
Als ich gerade meinen Verband wechseln wollte, hörte ich Flieger und Flakschüsse. Ich stieg sofort aus dem Wagen und sah eine amerikanische BE 2, die genau in meine Richtung flog. Ich duckte mich bei meinem Wagen, denn meistens gab es vor den Bomben Bordwaffeneinschläge. Als ich das Flugzeug so beobachtete, sah ich, daß schon 6 oder 7 Bomben heruntergefallen, aber nicht explodiert sind. Ich dachte, das müßten lauter Blindgänger oder Zeitzünder sein. Nur ein paar Sekunden später, als die erste Bombe explodiert war, schlug 1/2 Meter neben mir eine Bombe ein. Da ich jetzt erkannt hatte, daß es lauter Zeitzünder waren, bin ich auf und davon. Ich war vielleicht 20 Meter weg, da flog mein Wagen in Trümmern in der Schlucht herum. Wie mir damals zumute war, fühle ich heute noch. Mein Schutzengel hatte mir wieder das richtige eingegeben. Wir waren nun nurmehr 40 bis 50 Mann. Die meisten Fahrzeuge und Geschütze mußten gesprengt werden. Wir wurden einer Kampfgruppe namens Dietrich zugeteilt. Wir standen jetzt wie Infantristen mit MG, Karabiner und Handgranaten in den Schützengräben. Unsere Flieger sah man nicht mehr, warum sie uns im Stich gelassen hatten, wußten wir nicht. Wir glaubten nicht, daß im August, September und Oktober soviele abgeschossen wurden. Die Artillerie, Flak und Panzer hatten fast keine Munition mehr. Die Landser waren total ausgehungert und abgekämpft. General Paulus gab aber immer noch nicht auf. Es schien nun wirklich so, als würden wir bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone kämpfen müssen. Die Russen wurden immer stärker, und man konnte deutlich erkennen, daß ganz frische sibirische Elitetruppen eingesetzt wurden.
Diese hatten eine extrem gute Winterbekleidung und kamen daher wie die Wölfe. Sie haben gedampft wie Pferde, wenn sie recht gejagt wurden. Die ganze Nacht hörte man die russischen Panzer brummen. Die Geschütze und die Stalinorgeln schossen pausenlos, Tag und Nacht. Wir sprangen von einem Loch ins andere. In der Stadt war es dann noch schlimmer, weil man Angst hatte, verschüttet zu werden. Am 27. Jänner kam vom Führerhauptquartier ein Funkspruch, daß die vier Ritterkreuzträger sofort zum Flughafen Stalingrazgi kommen müssen, die Flugzeuge stehen bereit zum Ausfliegen. Der Gefreite Eugen Klein aus Mutterstadt/Pfalz mußte die Ritterkreuzträger am 28. Jänner zum Flughafen fahren. Am 29. Jänner um ca. 4 Uhr früh kamen der Abteilungskommandeur Major Gaiduß und ein Oberleutnant von der 2. Battrie, auch ein Ritterkreuzträger, wieder bei uns an. Sie erzählten, daß der Gefreite Klein unterwegs aus dem Auto geschossen wurde und so fuhren sie selbst weiter. Als sie am Flughafen ankamen, standen richtig drei HE 111 da. Ein Unteroffizier der 3. Battrie und Oberleutnant Gemünden stiegen sofort ein und dazu Verwundete, was nur Platz hatte und das Flugzeug rollte sofort ab. Major Gaiduß, ein guter Mann, wie er immer war, ließ die Schwerverwundeten, bei denen es ums Leben ging, zuerst einsteigen. So stiegen die beiden in die dritte HE 111 ein und als diese abrollte war wahrscheinlich ein Rad eingefroren und blockierte. Das Flugzeug kam von der Rollbahn ab, fuhr mit einem Rad in einen Schützengraben und es riß ihm die Stützachse ab. Dann sank es zu Boden, rutschte noch ein Stück im eisigen Schnee dahin und blieb stehen. Sie stiegen daher gleich aus und liefen schnell zum Auto, einem Kfz 15, weil sie damit rechnen mußte, daß die Russen den Flughafen jeden Moment überfallen würden. So fuhren sie im Bomben- und Granatenhagel zu uns zurück. Major Gaiduß sagte, am besten war es immer bei den Einschlägen der Stalinorgel, denn die gaben immer einen hellen Feuerstrahl. Das hab ich auch oft gesagt, denn ich bin oft unter dieses Trommelfeuer gekommen. Die moralische Wirkung war brutal, weil es sich aber ziemlich tief in die Erde bohrte, war die Splitterwirkung nicht so gefährlich, und der Feuerstrahl war oft der Ersatz für die Straßenbeleuchtung. Gefährlich war aber, weil 36 Einschläge ganz kurz hintereinander kamen. Auch die Reichweite war größer als bei unseren Do-Geräten. Am 29. Jänner, 6 Uhr früh, waren wir noch 26 Mann von der 9. Flak-Div., Reg.37, Abteilung 1/49, ohne Verpflegung, ohne Verbandsmaterial und ohne Munition. Major Gaiduß sagte: "Was wollen wir denn noch, ergeben wir uns, es wird das Beste sein!" Er gab uns jedem einzelnen die Hand und bedankte sich, daß wir so tapfer waren. Die Augen standen ihm in Tränen. Der Abteilungsschreiber, er war nie an der Front zu sehen, brachte mir meine Beförderung und Auszeichnungen, die ich sofort im Schnee vergrub.
Wir waren dort unter einem Mauerwerk, der Einfahrt zu einem größerem Gebäude. Es war - wie gesagt - nur die Einfahrt und etwas Gewölbe, alles andere war nur mehr ein Trümmerhaufen in der Nähe des berühmten Bahndamms. Wir sahen hin zum Roten Oktober und in der anderen Richtung zum GBU Gefängnis. Die Russen waren drübern Bahndamm und wir herüben. Wer sollte jetzt mit einem weißen Hemd vorangehen? Als wir aus unserem Unterschlupf herauskamen, sahen wir, daß schon eine große Menge ausgekämpfter, ausgehungerter und zum Teil verwundeter oder mit Erfrierungen humpelnder Soldaten zur Gefangennahme bereitstanden.
Es dauerte nicht lange, kamen die ersten Russen über den Bahndamm herüber. Es waren lauter stämmige Burschen, es waren auch sehr viele Frauen in Uniform dabei.Die haben Granatwerfer, MG und kleine Öfen auf kleinen Schlitten dahergezogen. Die Russen, die uns gefangengenommen haben, waren einigermaßen human, muß ich sagen. Sie haben gesehen, welch ausgehungerte Krüppel wir waren. Sie haben wohl ziemlich durchsucht, haben aber nicht geschlagen. Als so ca. eine halbe Stunde vorbei war, hat die russische Stalinorgel nochmals zu schießen begonnen. Wir waren schon froh, daß wir den Krieg hinter uns hatten und wieder einmal aufrecht gehen konnten, vielleicht sogar bald etwas zum Essen bekommen. Statt dessen schlugen nochmals einige Granten direkt unter uns ein. Fünf von uns wurden noch verwundet, auch Russen hat es erwischt. Unseren Funkwachtmeister Schuh hats am Kinn, einen am Ohr, einen am Oberschenkel und mich am linken Oberarm erwischt. Zuerst dachte ich, ein Stein hat mich getroffen. Den Knochen hat es nicht erwischt und so sah ich es erst, als das Blut beim Ärmel unten herauskam.
Ich suchte mir schnell ein Loch, wo ich in Deckung gehen konnte, um mich zu verarzten. Es war Gott sei Dank nur ein Durchschuß, ein Splitter von einer Stalinorgel. Als ich in das erste Loch hinunterkroch, kam mir ein bestialischer Gestank entgegen. Es war ein richtiger Leichengestank, von Leichen, die schon mehrere Tage da unten gelegen sind. Es war ein ziemlich großer, ganz finsterer Keller. Der Sani, der auch noch unten war, sagte mir, es wären an die Hundert Tote und ganz schwer Verwundete, sie hatten nicht einmal Wasser. Er hatte eine geballte Handgranatenladung bereitgelegt und sagte noch zu mir, es ist doch das beste für diese leidenden Kumpels. Ich bin schnell raus und habe zum Glück gleich ein paar Trümmerhaufen weiter wieder einen Kellereingang gesehen. Ich kroch über den Schutthaufen hinein. Es war dasselbe Bild. Tote, Verwundete, halb Verhungerte, Erfrierungen, ein unbeschreibliches Bild. Aber ich konnte mich ausziehen und selbst verbinden. Ich hatte noch ein gutes Verbandspäckchen in meiner Feldbluse, das war für mich die Rettung. So suchte ich gleich wieder meine Kameraden. Es war ein heilloses Durcheinander. Die Russen schrieen immer was und keiner von uns konnte soviel russisch, daß wir wußten, was sie wollten. Das änderte sich erst, als ich meinen Kameraden Willi Koss wieder fand, weil er russisch sprechen konnte. Willi hat auch in einem Loch seine Verbände neu angelegt. Er hatte alle 10 Zehen erfroren, einige Tage vorher wurden ihm zwei Zehen amputiert, er war sozusagen gehunfähig. Er sagte, die Russen wollen, daß wir in Viererreihen antreten. Wenn jemand noch Waffen hat, soll er sie sofort abgeben. Wenn ab jetzt jemand mit einer Waffe erwischt wird, wird er sofort erschossen. Es waren nun ca. 1 1/2 Stunden vergangen, dann schrieen die Russen: "Dawei chatiti", los gehen! So humpelten einige tausend ausgekämpfte, ausgehungerte, halb erfrorene, mit allen möglichen Fetzen eingewickelte, vom Vaterland im Stich gelassene Gefangene stadtauswärts Richtung Westen in die Gefangenschaft. Mein guter Kamerad, Willi Koss, ein Bauer aus Schneidemühle, ehemals Polen, später Ostpreußen, geboren am 13.2.1914, hatte schon drei Militärjahre in Polen und drei Jahre beim deutschen Militär hinter sich. Er war so wie ich seit Versailles Kraftfahrer. Er war ein sehr guter Kamerad, wir beide hatten sehr viel gemeinsam unternommen. Während des Vormarsches war es des öfteren der Fall, daß die Infantrie nicht mehr nachkam und so mußten wir Flakler Spähtrupps, Frontsicherungen mit MG und Karabiner oft selbst machen. Es brauchte bei uns selten einer bestimmt werden, die meisten gingen freiwillig. Da ist der gute Willi drei oder viermal für mich in den Einsatz gegangen. Er sagte zu mir mit einer so zutraulichen Miene, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde: " Sepp, laß mich für dich gehen, denn bei mir ist es egal, wenn ich fallen sollte. Bei uns in Ostpreußen, in Schneidemühle, wird nach Kriegsende nichts übrig bleiben. Das wird alles Niemandsland sein". Ich kann mir das heute noch nicht entziffern, wieso er das damals schon voraussah. Nun, er hatte also frisch amputierte Zehen, humpelte nur auf den Fersen, ohne Schuhe oder Stiefel. Bei 35 bis 40 Grad unter Null, nur mit Fetzen, die wir von den Toten genommen hatten, aus Mänteln und Hemden, die wir in Streifen gerissen hatten, waren die Füße umwickelt. Weil ich aber sofort sah, daß er so nicht weiter kommen wird, nahm ich seine linke Hand, hing sie bei mir um den Hals, mit meiner rechten Hand griff ich über seinen Rücken unter seine rechte Schulter und so gingen wir einige Kilometer. Auf einmal waren wir beide in der Kolonne ziemlich weit hinten, man hörte die Russen sehr oft schreien: "Dawei, Dawei"! Hin und wieder hörte man auch einen Schuß, denn alle ,die nicht mehr weiterkonnten und einfach im Schnee liegenblieben, bekamen einen Genickschuß, wurden etwas zur Seite gezogen und liegen gelassen. Es war für uns beide oft ein Glück, wenn unterwegs öfter eine Durchsuchung war, denn es standen sehr oft Zivilisten und Soldaten oder sogar 12-, 13jährige Buben am Wegrand und fingen bei uns zu plündern an. Da kam die Kolonne von einigen tausend Gefangenen oft für eine Zeit zum Stehen. Da die Russen sahen, daß bei meinem Kameraden die Füße einbandagiert waren und mein Mantel durch den Oberarmdurchschuß zerfetzt und der Ärmel noch voll Blut war, sagten sie meistens "idi, idi, geht, geht" zu uns. So kamen wir in der Kolonne wieder weit nach vorne. Ein junger Lausbub riß mir den Brotbeutel herunter und nahm mir mein Brot, das vielleicht in der Größe von zwei Zündholzschachteln war, aus dem Beutel. Ein älterer, uniformierter Russe sah das, er nahm dem Buben das Brot gleich wieder weg und gab ihm einige saftige Ohrfeigen. Dann gab er mir das Brot wieder zurück. Es gab also auch unter den Russen gute Leute. Wir gingen und gingen bis in die späte Nacht hinein, ohne Essen, ohne etwas zu trinken. Soweit man sehen konnte, gab es kein Haus und kein Dorf, nur ausgebranntes, liegengelassenes Kriegsmaterial und das weite Schneefeld der Kalmückensteppe. Kurz nach dem Stadtrand von Stalingrad stand eine Artilleriekanone, einsatzbereit und mit einer Menge Munition. Ein Offizier, der scheinbar damit umgehen hätte können, schrie unter die Menge der Gefangenen: " Wer kann mit dieser Kanone umgehen, los ran"! Er wurde nicht angehört, sondern eher angespuckt, denn jeder von uns, der bisher überlebte, dachte, daß der Krieg Gott sei Dank vorüber ist und so ein Spinner wollte nochmals anfangen. Es ging immer weiter südwestlich, es war schon ganz finster, als wir in einem Dorf ankamen. Es dürfte so um 22 oder 23 Uhr gewesen sein. Auf die Uhr konnten wir nicht mehr schauen, weil sie uns bei der Gefangennahme alle abgenommen worden sind, es sei denn, man hat die Uhr so gut versteckt wie ich. Wir wurden aber unzählige mal durchfilzt und es wurde immer wieder etwas zum Abnehmen gefunden. Einige hatten das Glück, Brot eintauschen zu können. Ich hatte meine Uhr, es war meine Firmuhr, mit einer Schnur in ein Knopfloch vom Trikothemd gebunden und zwischen meine Füße hängen lassen. Als aber auch das nicht mehr half, wurde sie mir abgenommen. Ich wollte mich um meine Firmuhr wehren, was ich aber sofort aufgab, denn der Russe wollte mich schlagen. Bei der Gefangennahme sind Russen umhergelaufen, die eine Menge Uhren auf den Armen hatten, die sie den Gefangenen abgenommen haben.
Im Ort in dem wir da nachts ankamen, war auch eine ehemalige Kirche, die auf der einen Seite als Gemüsekeller und auf der anderen Seite als Pferdestall gedient hatte. Hier durften aber nur die Verwundeten oder die mit Fußerfrierungen für einige Stunden Unterschlupf nehmen. Alle anderen mußten im Schnee sitzen, bis es hell war. Dann ging der Marsch ohne Essen, ohne Trinken wieder weiter Richtung Süden. Es konnten dort sehr viele nicht mehr aufstehen. Sie waren erfroren. Das war auch leicht verständlich, wenn man schon ausgehungert in die Gefangenschaft geht, dann 30 bis 40 Kilometer marschiert bei 40 Grad unter Null. Man sah auch bei den Posten nicht, daß sie einmal etwas zum Essen bekommen hätten. Willi und ich hatten auf einer Holzbrücke, wo sonst Pferde gestanden sind, eine Sitzgelegenheit. Wir haben sogar im Sitzen geschlafen, denn es war seit langem die erste Nacht ohne Kanonendonner und Bombenhagel. Als es dann hell wurde, schrieen die Posten: "Dawei na Vlitzer"!, los, raus auf die Straße. Wir gingen gleich wieder ziemlich weit nach vorne, denn wir kamen unterwegs doch wieder weiter nach hinten. Willi wurde immer schwächer, auch ich spürte verheerende Schmerzen im ganzen Rückgrat, denn er hing den ganzen Tag an meiner Seite. Wir gingen nicht weit, hörte man ganz hinten die Russen wieder dawei, dawei rufen und auch wieder Schüsse. Es waren wieder Genickschüsse für jene, die aus Erschöpfung liegen blieben. Bald waren Willi und ich auch wieder ziemlich hinten in der Kolonne, die Schüsse waren nun schon ganz nah. Da sagte Willi zu mir, ich werde es nie vergessen: "Sepp, laß mich sitzen, schau hin, es ist ja nur ein Genickschuß und alles ist vorbei"! Sofort sagte ich zu ihm: "Willi, schau nicht hin, auf, gehn wir wieder"! Zum Glück gab es wieder Durchsuchungen und Plünderungen und so konnten wir wieder weit nach vorne kommen. Es kam ja nun schon die ganze Kolonne nurmehr sehr langsam vorwärts. So humpelten wir den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch, ich schätze, wieder 30 bis 40 Kilometer. Als es hell wurde, sahen wir, daß wir in einem Gefangenenlager waren. Es war am Ortsrand von Begetovka. Ein freies Schneefeld, kein Haus, kein Dach, nur ein notdürftiger Zaun und einige Steinhaufen. Auf einer Seite war eine Mauer im Rohbau, ca. 20 m hoch. Es war sicher eine Baustelle für etwas größeres. Auf einer anderen Seite standen Drähte und Wasserleitungsrohre in die Höhe, die wahrscheinlich durch Bomben aus dem Boden gerissen worden sind. Dort hieß es dawei sedis, los hinsetzen, warten bis Brot kommt. Wir mußten in Hundertschaften antreten, uns in Viererreihen wieder hinsetzen und warten, bis alles eingeteilt war. Es dauerte den ganzen Tag, bis die 47.000 Mann in Hundertschaften eingeteilt waren. Es kam nun endlich ein Lastwagen, ein amerikanischer Studepek, beladen mit Brot. Es wurde mit dem Brotverteilen begonnen. Ein Pohanki, Kastenbrot, mit ca. 1 1/2 kg, für vier Mann. Es wurden Gefangene gesucht, die etwas Russisch verstanden und einige, die noch halbwegs auf den Füßen standen. Da war auch ich dabei. Wir mußten das Brot verteilen. Es wurde von jeder Hunterschaft ein Hundertschaftsführer ernannt, der für seine Hundertschaft verantwortlich war, daß jeder sein Brot bekam. Es dauerte nicht lange, dann war der Lastwagen leer. Es haben etwas über eintausend Mann ein Brot erwischt, die fast 46.000 anderen mußten die nächsten acht Tage Schnee und Eis lutschen, damit sie nicht ganz austrockneten. In dieser Woche gab es einmal oder zweimal einen Eßlöffel voll schwarzes Mehl, sonst nichts. Wir haben uns so tief wie möglich in den Schnee gebuddelt und ganz dicht aneinander immer zwischen die Füße gesetzt, damit einer dem anderen etwas Wärme abgab. Wenn es morgens hell wurde, merkte man, daß man mitten unter den Toten saß. Es sind dort innerhalb von dreieinhalb Monaten, also von 2. Februar bis Mitte Mai von allen drei Lagern 45.000 Gefangene verhungert und erfroren. Man hat keinen jammern, stöhnen oder sonst irgendwie schreien gehört. Alle sind aus Schwäche eingeschlafen, erfroren oder verhungert.
Einer ist mir in besonderer Erinnerung. Er war ein Sanitätsunteroffizier aus einer Infantrieeinheit. Er hat so richtig phantasiert, bevor er starb. Er sah die deutschen Truppen, die uns befreien sollten, daherkommen und sagte mit immer schwächer werdender Stimme: "Da kommen's, die holen uns raus. Gebts dem da 500 Mark, dem gebts 1000 Mark und dem auch 100 Mark".
Ich habe heute noch das Bild vor meinen Augen, wie er die Hände ausstreckte, um die vermeinten Befreier zu empfangen, bis er nach einer Weile zusammensank und in die Ewige Armee eintrat.
Es wurden Ende der ersten Woche einige Feldbahnloren, wie wir sie zuhause in Bergwerken als Hunt oder auf großen Baustellen als Feldbahnloren kennen, aufgestellt. Dann wurden große Bausteine aufgepackt und es mußten dann jeden Tag 200 bis 400 Mann über die zugefrorene Wolga marschieren. Da dort auch eine große Insel ist, war oft bis 6 km weit zu gehen, bis man passendes Holz fand. Jeder mußte ein bißchen Holz unterm Arm haben, wer kein Holz hatte, durfte nicht ins Lager zurück. In diesem Wald, eigentlich war es kein richtiger Wald, sondern nur Buschzeug, das sehr schwer zum brechen war, mußten wir alles mit den bloßen Händen brechen. Es gab keine Hacke oder Säge. Dürres Holz war dort überhaupt nicht zu finden. Dies deshalb, weil dort sehr viele russische Bunker waren und die dort in Stellung gewesenen Russen das dürre Holz wahrscheinlich selbst zusammengesucht hatten. Man fand oft leere weggeworfene Konservenbüchsen, die alle aufgehoben und mit den Fingern ausgewischt wurden. Wir suchten dort umher wie hungrige Hunde. Hin und wieder hatte man Glück und es war etwas mehr drinnen. Sehr viele von diesen Konservenbüchsen waren amerikanischer Herkunft. Es wurden auch viele ins Lager mitgenommen, weil sie als Eßgeschirr sehr dringend benötigt wurden, weil die schönen deutschen Kochgeschirre den meisten abgenommen wurden.
Es war dann der 8. Februar, als es aus den Feldbahnloren die erste warme Suppe gab. Ein guter halber Liter pro Mann, ganz dünn und durchsichtig, mit Fischgeschmack. Es hat vielleicht jeder 10. etwas Fisch erwischt. Es dauerte immer zwei Tage, bis man wieder an der Reihe war. Den 2. Tag gab es dann mit der Suppe auch Brot und ein faustgroßes Stück Brot gab es dann regelmäßig jeden Tag. Bei der Suppe dauerte es einige Tage, bis es auch jeden Tag Suppe gab. Es war ja wirklich schwierig, Wasser zu bekommen. Auf der Wolga war das Eis 60 cm dick und mußte durchgehauen werden. Der Schnee im Lager konnte nicht mehr benutzt werden, weil er nun schon zu sehr verschmutzt war. Das Suppen- und Brotverteilen konnte wahrscheinlich in den beiden anderen Beilagern (Barackenlager und Bahnhofkorpus 2) in der Ortschaft Bekedowka viel besser und schneller geregelt werden, weil die Zahl der Gefangenen in den beiden Lagern viel niedriger war als in unserem Steinlager. Im Barackenlager waren ca. 2000 b bis 3000, im Bahnhofkorpus ca. 1000 Mann. Außerdem waren diese Gefangenen unter Dach und der Kälte und dem Schnee nicht so ausgesetzt.
Ein gewisser Dr. Falkenstein aus Niederösterreich entfernte mir im Lager Korpus 2 den Steckschuß und die Läuse und verband die Wunde. Wenn man in diesem Lager Begatowka die Gelegenheit zur Flucht nutzte, war das wirklich ein Wettlauf mit dem Tod. Es sind, wie schon erwähnt, jeden Tag 200 bis 400 Mann über die Wolga getrieben worden um Brennholz für die Feldbahnlorenküche zu holen. Da die Russen die zurückkommenden Holzholer nicht zählten, war es sehr leicht, abzuhauen.
Es sind da schätzungsweise einige Wochen lang jeden Tag 30 bis 40 Mann nicht mehr ins Lager zurück, sondern weitermarschiert in Richtung der wolgadeutschen Stadt Saratow. Das war einige Wochen das Tagesgespräch und fast jeder, der die Flucht im Sinn hatte, suchte sich Kameraden, die mitgehen würden. So traten auch an mich zwei bis dahin unbekannte Kameraden heran und fragten mich, ob ich mitgehen wollte. Es waren Herr Hoffmann aus Vöcklabruck, der das Humanic-Schuhgeschäft beim oberen Stadtturm hatte und Herr Fellner aus Redl Zipf. Sie sagten mir, ich könne mitgehen, wenn sie morgen abhauen. Der Weg nach Saratow ist nur einige hundert Kilometer weit und dort sind alles wolgadeutsche Leute, die uns bestimmt weiterhelfen. Ich lehnte aus zwei Gründen sofort ab. 1. fühlte ich mich selbst schon zu schwach und 2. hätte ich meinen Kameraden Wili nicht im Stich gelassen. Jetzt hatten wir uns so mühsam soweit geschleppt und er hatte im Vormarsch einigemal sein Leben für mich riskiert. Fliehen würde ich erst, wenn seine Füße wieder heil sind und dann mit ihm zusammen, wobei die Flucht mit ihm ein Vorteil wäre, weil er gut Russich kann. So wünschte ich den Beiden viel Glück zu diesem waghalsigen Vorhaben und bat sie, gelegentlich bei meinen Eltern vorbeizuschauen, Grüße auszurichten und zu sagen, daß ich wohlauf bin. Fellner war ja nur drei Kilometer von meinen Eltern entfernt zu Hause.
Das war um den 10. Februar 1943. Als ich am 4. Oktober 1947 heimkehrte, war eine meiner ersten Fragen, ob die Herren Hoffmann aus Vöcklabruck oder Fellner aus Redl-Zipf ein Lebenszeichen oder Grüße von mir überbracht haben. Die Antwort war wie ich zu 50% vermutet hatte nein, von den Beiden wissen wir nichts. Ich bin sehr bald zu den Angehörigen gefahren, die auch nicht mehr wußten, als daß sie vermißt waren. Nun sind 48 Jahre verstrichen und bis heute habe ich nicht darüber gehört, daß einem der Geflüchteten die Flucht auch geglückt ist.
Nun aber wieder zurück in das große Sterbelager Begetowka. Da ich immer noch einer der Beweglichsten war, wurde ich zum Totenkommando geholt. Die Totenhaufen wurden immer größer und die für so ein Kommando arbeitsfähigen wurden immer weniger. Für das Sektionskommando wechselten sich zwei rumänische und zwei deutsche Ärzte ab. Die Russen wollten es nicht wahrhaben, daß die meisten verhungert sind.
So bekamen wir zu Zweit ein ca. 2 bis 3 Meter langes Wasserleitungsrohr in die Hand gedrückt und dann hieß es dawei, dawei. Wir mußten die Stange unter den Toten durchschieben, aufheben und die Leichen aus dem Lager hinaustragen, wobei einer die gefrorenen Leichen halten mußte. Ganz in der Nähe war der berühmte Panzergraben, dort mußten wir sie hineinwerfen. Die Leichen wurden vorher alle nackt ausgezogen. Uniformen, Unterwäsche und Schuhzeug wurden sortiert und auf große Haufen geworfen. Schon am zweiten Tag mußten wir Verstärkung bekommen, weil wir es nicht mehr schafften und dies, obwohl die Leichen alle nur höchstens 40 Kilo hatten. Es gingen dann vorne und hinten je zwei Mann.
Es dauerte aber nur einige Tage, dann fielen wir immer wieder zusammen und es ging dann auch auf diese Weise nicht mehr. So mußten wir einfach Stricke oder Koppeln nehmen, die Leichen um den Hals anbinden und hinausziehen. Es mußten dabei bis zu 15 Mann ziehen, damit wir so ein Knochengerüst hinausbrachten und noch immer fielen wir immer wieder hin.
Da der Panzergraben bis Ende Februar voll und der Weg hinauf oder hinunter zu weit war, mußten wir gleich außerhalb des Zaunes die Leichen wie Scheiter stapeln. Da noch immer starker Frost war und die Leichen immer wieder schnell vom Schneesturm verweht wurden, war vorerst keine Seuchengefahr.
Ruhr herrschte schon längere Zeit, als dann Fleckfieber, wolinisches Fieber, Flecktyphus und Paratyphus ausbrachen, sind jeden Tag einige Hundert gestorben und die Arbeit beim Totenkommando war nun auch äußerst gefährlich. Wir mußten die nackten Leichen, die oft ganz blaufleckig waren, mit bloßen Händen berühren und wegschaffen.
Sehr bald hat es einen nach dem anderen auch vom Totenkommando erwischt und auch die mußten wie die anderen hinausgeschafft werden. Mitte März ist dann Tauwetter gekommen. Ich weiß nicht, ob sich jemand vorstellen kann, wie es aussah, als der Regen den Schnee von den Leichenhaufen herunterschmolz und da Hände, dort ein Kopf mit offenen Augen oder Füße herausschauten.
Es war nun ein bestialischer Leichengestank und auch die Russen haben nun selbst höllische Angst bekommen, von den Seuchen befallen zu werden. Es wurde daher beschlossen, die Leichen so schnell als möglich wegzuschaffen. Sofort wurden Gräberkommandos aufgestellt. Die mußten, ich schätze ca. 4 km südwestlich von Begetowka auf einer kleinen Anhöhe große Gruben ausheben. 8 bis 10 m im Durchmesser und 2 m tief, sodaß 8 bis 9.000 in einem solchen Loch Platz hatten. Dieses Gräberkommando, dem ich selbst auch ungefähr 14 Tage angehörte, war immer 40 Mann stark. Wenn welche weggestorben sind, mußten immer gleich andere nachrücken. Oft mußten welche mitmarschieren, die so krank waren, daß sie kaum die Schaufel tragen konnten. Das Kommando führte ein Fliegerleutnant an. Er war, so weit ich mich noch erinnern kann, aus Köln. Es war dort ein ganz leichter, sandiger Boden und der Wind hat oft mehr Sand in die Grube geblasen, als wir hinausschaufeln konnten. Auch der Wind hat den Sand weggeblasen und man hatte oft die Augen voll Sand.
Auf dem Weg zu dieser Arbeit passierte es einmal, daß eine russische Frau neben dem Weg im Schnee stand. Plötzlich sprang sie auf einen Gefangen hin, der ja selbst fast nich mehr gehen konnte und schrie: "Das ist der, der meinen Mann umgebracht hat, das ist der, der meinen Mann erschossen hat!" Sie riß ihm die Schaufel aus der Hand und wollte auf ihn einschlagen. Beide Posten sind sofort dazwischengesprungen und haben den Fall geklärt. Der Gefangene konnte beweisen, daß er nie dort war, wo das gewesen sein soll, und so konnten wir unseren Weg fortsetzen.
Seit mehr als 30 Jahren gibt es in Österreich und auch in Deutschland Vereine ehemaliger Stalingradkämpfer, wo wir uns jährlich einmal entweder in Deutschland oder in Österreich treffen.
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