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Vom Totenkommando habe ich bis jetzt nur einen Überlebenden, Kamerad Johann Wagner, Kurzragnitz 12, 8413 St. Georgen in Kärnten, getroffen. Vom Gräberkommando hat aber offensichtlich niemand überlebt.

Als einige Gruben fertig waren, kamen die Russen mit Lastwägen. Für jeden Lastwagen wurden 6 oder 8 Mann zum Leichenladen bestimmt. Da zu solch schwerer Arbeit kaum jemand zu finden war, mußte auch ich wieder mitmachen. Es wurde dies die grausamste Arbeit meines bisherigen Lebens. Weil wir zum Hinaufwerfen zu schwach waren, mußten wir die Leichen mit bloßen Händen über Bretter auf die Lastwägen hinauf ziehen.

Unterwegs zu den Massengräbern mußten wir auf den Leichen sitzen oder stehen. Der Gestank, der während des Ladens und dann beim Draufsitzen aus den Leichen kam, war unbeschreiblich. Die an Fleckfieber Gestorbenen waren obendrein auch ganz blau.

Wenn man das alles mitmachte und mitansehen mußte und dann doch wieder einmal einen Moment Zeit bekam, über etwas nachzudenken, war des öfteren der Gedanke, ob es denn einen Herrgott geben kann, der da zusieht und das zuläßt.

Oft beneideten wir die, die es schon überstanden hatten. Es waren dann immer wieder ein Freund und der Schutzengel Marianne, die mich immer wieder auf die richtigen Gedanken brachten und die Kraft gaben, alles zu tun, um durchzuhalten. Es war nur diese Kraft, die mich diese Krankheiten überstehen ließ.

Das Brot und die Suppe, die man durch die Krankheiten nicht mehr essen konnte, hab ich mit aller Gewalt hinuntergedrückt, um zu überleben, mit dem Gedanken, daß ich wieder Heim muß, zur Marianne.

Im Vormarsch eine Blinddarmentzündung, vor der Gefangennahme der erste Malariaanfall, bei einem Nachtangriff der Steckschuß im linken Unterschenkel, bei der Gefangennahme ein Oberarmdurchschuß, in den Gefangenenlagern Ruhr, walinisches Fieber, Fleckfieber, Flecktyphus, Paratyphus und dann 1945 noch eine ganz schwere Lungenentzündung. Da zweifelte ich selbst, ob ich das noch überleben werde.

Ein Kamerad aus Garsten bei Steyr rettete mir mit seinem Weißbrot das Leben. Darüber berichte ich später noch.

Wie gleichgültig man bei diesem Totenkommando war, zeigt folgender Bericht.

Wie schon berichtet, mußten wir in mehreren Gruppen die Leichen aus dem Freilager Begetovka schaffen. Die einen gingen mit den Toten hinaus, die anderen kamen zurück. Dabei kam mir einer bekannt vor, aber ich war so interesselos, stur wie ein Ochse, auf echt deutsch gesagt schon ganz scheißdrauf. So ging es drei bis vier Wochen dahin.

Als wir dann Mitte Mai von Begetovka wegtranportiert wurden, kamen wir in das Lager Bestragi. Das war meiner Meinung nach in der Nähe von Moskau gelegen. Es war ein Lager mit vielen Holzbaracken und lauter Holzpritschen drinnen. Für uns war das etwas herrliches, ein Dach über dem Kopf zu haben und auf trockenen Brettern liegen zu können. Dreimal warme Suppe, einmal ein Stück Brot dazu und jeder sagte, hoffentlich bleibt es so. Da kam ich genau neben dem Mann zu liegen, der mir in Begetovka beim Totenkommando so bekannt vorgekommen ist. Es dauerte aber auch dort wieder an die zwei Wochen, bis wir uns von den Strapazen oder von der Gleichgültigkeit, die wir hatten, und dann endlich ein bißchen miteinander zu reden anfingen. Ich weiß aber nicht mehr, wer zum Reden angefangen hat. Du, sag einmal, Du kommst mir so bekannt vor, schon in Begetovka dachte ich mir, der kommt mir so bekannt vor. So fragten wir einander, wo wir gewesen sind und schilderten uns den ganzen Vormarsch von 1942.

Das paßte aber nirgends richtig und so kamen wir auf die Zeit vor dem Rußlandfeldzug zu sprechen. Wir waren beide in Frankreich, in Versailles und Paris im Fort de la Puc. Da sprang der Funke über und ich erkannte ihn wieder. Es war der Wachtmeister, bei dem ich den zweiten Putzer machte. Er war Wachtmeister bei einer Luftnachrichteneinheit, ein sehr netter Schwabe, schon um die vierzig. Leider weiß ich nicht, ob er überlebt hat.

Nun wieder zurück ins Sterbelager Begetovka.

Es war noch in den ersten Wochen, als man hin und wieder jemanden sah, der sich ein kleines Feuerchen machte, um etwas Schnee zu Trinkwasser zu machen. Fragte man, wo sie das Papier und das bißchen Holz her hatte, war die kalte Antwort: "Such Dir halt eins!"

Im hinteren Bereich des Lagers war eine Baustelle von etwas größerem, denn die Mauer war 15 bis 20 Meter hoch. Ganz oben sah ich Schalbretter an der Mauer und ich dachte sofort, die werde ich mir runterholen. Nachdem ich mir die Mauer genauer angeschaut hatte, sah ich, daß sie leicht zu besteigen war, weil die Mörtelbänder sehr groß waren. So suchte ich hinter der Mauer herum und fand unter den umherliegenden großen Bausteinen zum Glück ein Stück Eisen, das ich zum Losbrechen brauchen konnte.

Gedacht, getan. Ohne noch lange zu überlegen, was es noch für Gefahren geben könnte, kletterte ich hoch.

Als ich ganz oben war und mit dem Eisenstück so an den Schalbrettern arbeitete, hörte ich eine laute russische Stimme. Ich ahnte aber noch nicht, daß es mich anging und nagte fröhlich wie ein Specht im Wald weiter. Ein zweiter Schrei, ein russischer Fluch kam schnell nach und ich dachte dann, ob das vielleicht mich angehen könnte. Dann der dritte Schrei und bald darauf ein Schuß und ein Pfiff, ganz knapp an meinem Ohr vorbei. Da wußte ich, daß die Schreie und der Schuß mir gegolten haben. Blitzschnell bin ich auf der anderen Seite hinuntergeklettert und habe mich unter den anderen Gefangenen versteckt, weil ich nicht wußte, was sie mit mir machen würden. Der Posten hat aber nicht gesucht und ist auf seinem Standplatz stehen geblieben. Mir ist ein schwerer Stein vom Herzen gefallen. Ich glaube heute noch, daß er mich wie einen Vogel herunterknallen wollte.

Ein älterer uniformierter Russe kam ins Lager und suchte sich einige noch gehfähige Gefangene aus, um sie als Arbeitskommando in die Stadt Stalingrad mitzunehmen. Da ich schon erkannt hatte, daß man da auch hin und wieder etwas zu essen bekam, war ich ständig auf der Lauer, wenn ich nicht gerade beim Totenkommando war. So stieß er auf mich und sprach mich mit "Du nemiezki" an. Ich sagte gleich niet, Austritzki, wott Karosche, Karosche, Austrizki! Er redete mit mir sofort etwas gebrochen Deutsch und wollte wissen, ob ich noch ein paar Österreicher hätte. Ich sagte, ja,ja, es sind viele Österreicher hier und so nahm er mich und drei weitere Österreicher mit.

Er führte uns zum Südrand von Stalingrad. Dort war früher einmal sein Haus gestanden, dem Trümmerhaufen nach war es ein größeres Haus gewsesen. Er zeigte uns, was wir zuerst wegräumen mußten. Dann kamen wir auf die Kellertür und wir machten den Eingang schön frei. Der Russe ging dann mit uns in den Keller und sagte uns, wir sollten uns zuerst einmal ein bißchen hinsetzen. Dann fing er an zu erzählen. Er hat sich Österreicher mitgenommen, weil er nach dem ersten Weltkrieg in Tirol in Gefangenschaft war und es ihm dort sehr gut gegangen ist. Jetzt wollte auch er so weit es ihm möglich war, die Östereicher leben lassen. Während wir im Keller Aufräumungsarbeien machten, hat er Gurken in Scheiben geschnitten und sie in einem Pfandl gebacken und gab es uns zu essen. Ich kann nicht ausdrücken und schildern, wie uns damals ums Herz war. Er erzählte uns auch, daß seine Frau im Bombenhagel umgekommen ist und seine Kinder, ein Bub und ein Mädel, beide in der Roten Armee sind. Ich wünsche dem gütigen Russen heute noch, daß der liebe Gott seine Kinder heimkehren ließ. Er hat uns noch einigemal zu ähnlichen Aufräumungsarbeiten geholt und jedesmal fiel etwas zu essen ab.

Ich muß einmal etwas unrechtes erwischt haben, denn wir suchten bei jeder Gelegenheit umher, wie hungrige Hunde. Und wenn es nur ein Fischkopf oder Kartoffelschalen waren, man freute sich über jede Kleinigkeit. Auf einmal bekam ich fürchterlichen Durchfall, obwohl man da in diesem Lager oft bis zu fünf und sechs Tagen keine Latrine brauchte, was durch das wenige Essen leicht verständlich war. Ich hatte eine riesen Angst, ich sei von der Ruhr infiziert, denn es sind dort sehr viele an Ruhr gestorben. Die haben fürchterliches mitgemacht, meist ist auch Blut weggegangen. Ständig hockten sie auf der Latrine, auch Donnerbalken genannt. Sehr viele konnten alleine nicht mehr hoch, einige fielen aus Schwäche in die Latrine. Für die gab es keine Hilfe mehr.

Was ich noch sehr gut in Erinnerung hab, sind die vielen Papiergeldscheine, die in der Latrine lagen. Markscheine in rauhen Mengen, denn das war die einzige Verwertung, die man für sie noch hatte.

Einigemal hab ich bei Arbeitskommandos von Russen Wasser bekommen, da habe ich mir wahrscheinlich auch die Ruhr geholt. Weil ich bei mir noch kein Blut weggehen sah, dachte ich, es sei bei mir noch nicht schlimm. Viel schlimmer war der Durst. Ich wußte, daß hinter der Mauer, unweit vom Bausteinehaufen, ein Bombentrichter war, aus dem dicke Drähte und ein Wasserleitungsrohr in die Höhe ragten. Da kam zeitweise auch etwas Wasser an. Da hielt ich mein Kochgeschirr darunter. Ich hatte Glück, daß soviel ankam, um ein paar Schluck trinken zu können. Ich stellte fest, daß das Wasser in Ordnung war und so hielt ich das Kochgeschirr so lange hin, bis es voll war. Das Wasser nahm ich mit zu meinem Liegeplatz, wo mein Kamerad Willi immer auf mich wartete. Andächtig schluckten wir das köstliche Naß. Wie durch ein Wunder wurde mein Durchfall auf das Wasser wieder gut.

Da die Gefangenen immer weniger wurden, gab es dann viele Mäntel zum Unterlegen und zum Zudecken. Die Bekleidungsstücke wurden auf große Haufen geschmissen. Wer auf Nummer sicher ging, wartete ab, bis einer starb, der keinen Typhus, Flecktyphus oder wolinisches Fieber hatte, sondern eigentlich verhungert war. Von denen wurde die Bekleidung, soweit sie noch brauchbar war, wieder verwendet zum Unterlegen, zum Zudecken oder für Verbandsmaterial.

Ich hatte einmal sehr große Angst, ich müßte erfrieren. Es war in den ersten Tagen, die wir in diesem Steinlager verbrachten. Alle lagen im bloßen Schnee, bei 40 Grad Kälte. Wir lagen eigentlich nicht, sondern saßen so dicht aneinander zwischen den Füßen, daß man einander etwas Wärme abgab. So konnte man doch etwas schlafen. Ich hatte immer noch meinen dicken Wachmantel, mit dem ich in Gefangenschaft gegangen bin. Der war sehr gut zum Zudecken. Nachts wurde ich auf einmal wach, weil ich am ganzen Körper eine eisige Kälte spürte. Erst dachte ich, der Schneesturm hätte mir den Mantel weggerissen und wollte ihn wieder hochziehen. Zu meinem Schrecken sah ich aber, daß er ganz weg war. Sofort erkannte ich, daß er mir gestohlen worden ist. Die Gedanken gingen in meinem Kopf herum. Was sollte ich jetzt machen? Werde ich erfrieren? Sollte ich jetzt in der Finsternis ohne Mantel unter den Gefangenen herumstöbern und ihn suchen?

In der Finsternis werde ich ihn sicher nicht finden, dachte ich mir. Bei Tag mußte ich ihn leicht erkennen, weil er an der linken Schulter vorne ein kleines Loch durch den Einschuß hatte und hinten, wo der Ausschuß war, hingen die Fetzen herunter. Das stammte von der Verwundung, die ich bei meiner Gefangennahme abgekriegt hatte.

Tagsüber war ich aus den verschiedensten Anlässen sehr viel unterwegs und so habe ich mir von einem Toten einen gewöhnlichen Mantel genommen. Den Burschen werde ich schon finden, wenn es hell ist, dachte ich mir. Ich schwor mir, daß er für mich sterben wird. Trotz aller Aufmerksamkeit fand ich meinen Mantel nicht mehr und so mußte ich annehmen, daß ihn ein Russe gestohlen hatte. Ich habe überlebt, die grausame Erinnerung ist aber geblieben.

Anfangs März, oder war es Ende Februar, bekamen die Russen wegen den vielen Toten Angst, daß sie das einmal verantworten müßten, wo die vielen Gefangenen hingekommen sind. Sie wollten es nicht wahrhaben, daß so viele verhungert sind.

Es wurden also ein Sektionskommando aufgestellt. Zwei rumänische und zwei deutsche Ärzte wechselten sich ab. Wir waren sechs, oft acht Gefangene, und wir mußten die nackten Leichen auf einen Tisch mit einer großen Steinplatte legen. Die Ärzte schnitten die Leichen über den ganzen Körper auf und stellten die Todesursache fest. Bei weit mehr als der Hälfte war die Diagnose "Distrophie", verhungert. Die meisten Leichen mußten wir mit gewöhnlichem Draht wieder zusammenheften und wieder in den Panzergraben hinausschaffen.

Wir bekamen auch einmal einen Bogen Schreibpapier und ein Kuvert um nach Hause zu schreiben. Es wurde uns gesagt, wir könnten alles daraufschreiben, das wird sicher nach Hause geschickt. Es hat sich wohl jeder gedacht, daß das ein Reinleger ist und man hat halt vom Hunger und von der Kälte etwas geschrieben.

Dann wurde auch mit der Aufnahme begonnen. Nationalität, Familienname, Vorname, Vorname des Vaters, Geburtsjahr, Geburtsort, Religion, Beruf usw. Da hab ich bemerkt, daß einige nicht antworteten, als der Russe Gakoi (Nation) fragte. Entweder wollten sie nicht antworten, oder sie haben den Russen nicht verstanden. Der Russe hatte einen Dolmetscher dabei, der gleich fragte, ob man beim deutschen Militär war. Da antworteten die meisten mit ja und so haben viele Österreicher wegen diesem kleinen Mißgeschick ihre Kriegsgefangenschaft um zwei Jahre verlängert.

Als ich an der Reihe war, habe ich auf die Frage nach der Nationalität sofort gesagt: "Österreicher!" Einige haben das gehört und haben mich verspottet und ausgelacht. Was bildet sich denn der ein, es gibt ja lange schon kein Österreich mehr. "Ihr könnt es machen wie Ihr wollt und es für richtig haltet, ich bin und bleibe Österreicher", antwortete ich.

Schon von den Flugblättern während des Vormarsches und beim Ultimatum vor der Gefangennahme konnte man deutlich entnehmen, daß die Russen Österreich noch anerkannten.

Wenn nicht etwas anderes dahintersteckte, wurden 1947 alle entlassen, die als Österreicher geführt wurden, die Deutschen aber erst 1949.

Mitte März nahmen die Krankheiten schon seuchenartige Formen an. Jeden Tag gab es 100 bis 300 Tote. Es wurden aber immer weniger Tote gemeldet, damit mehr Brot ins Lager geliefert wurde. So haben die Arbeitenden mehr Brot bekommen. Es war dann auch schon so, daß von den Toten und auch von den Schwerstkranken, die das Brot nicht mehr essen konnten, Brotportionen im Schnee lagen.

Solches Brot zu essen, war äußerst gefährlich, denn die meisten waren um diese Zeit schon mit Seuchen infiziert. Noch heute bin ich der Meinung, daß dieses Brot zur Verbreitung der Seuchen sehr viel beigetragen hat. Was hat man aber aus Hunger nicht alles gemacht.

Mitte Februar, ich war damals beim Totenkommando, sah ich ein schauderhaftes Bild, das ich heute noch vor Augen habe.

Im Lager, wo an die 45.000 hungrige Gefangene im Schnee lagen oder saßen, gingen ein tschechischer und ein italienischer Gefangener umher und boten Kamelfleisch an. Auch mir boten sie es an, ich nahm es sogar in die Hand und überlegte, ob ich es für eine Brotportion nehmen sollte. Meiner Rechnung nach wäre es der zehnfache Nährwert gewesen und wenn ich es mit Schneewasser gekocht hätte, hätten mein Kamerad Willi und ich zusätzlich einigemal eine warme Suppe gehabt. Weil es aber so ungusterlich aussah, rötlich, ein fingerdicker Fleck, wie eine ausgebreitete Hand, nahm ich es aber nicht und dachte, wenn ich verhungern muß, werde ich mit oder ohne diesem Fleisch verhungern. Ich aß also mein Brot selbst. Das Grausame an der Geschichte kam, als ich mit Toten zum Panzergraben mußte. Dort sah ich, von wo die Fleischhändler das Fleisch her hatten. Der Panzergraben war schätzungsweise fünf bis sechs Meter breit und zwei bis zweieinhalb Meter tief. Drunten an der hartgefrorenen Wand stand aufrecht eine Leiche, nackt wie alle anderen. Beide Oberschenkel waren vom Knie bis zum Hinterteil herausgeschnitten. Nun war ich froh, daß ich das Fleisch nicht genommen hatte. Ich war nochmals froh, als ich erfuhr, daß die Russen die beiden im Panzergraben erwischt hatten und vor dem Lagereingang erschossen worden sind.

Im Barackenlager Begetovka hat eine Baracke angefangen zu brennen. Es ist ein Rumäner verbrannt, der aus Schwäche nicht mehr gehen konnte. Wahrscheinlich ist das Feuer dadurch ausgebrochen, weil die Rumänen sehr nahe an den Barackenwänden, wo es windstiller war, Feuer gemacht haben. Beim Feuermachen waren die Rumänen immer sehr schnell. Während des Vormarsches haben wir wegen solcher Feuerchen des öfteren in den Stellungen Bombenhagel, Artilleriefeuer oder Granatfeuer abgekriegt. Oft gab es Streitereien, wenn wir in die rumänischen Stellungen gerannt sind und das Feuer ausgemacht haben.

Mitte März kamen viele Russen, auch Frauen, mit Ponyschlitten und haben aus den vielleicht noch 20.000 Gefangenen 100 herausgesucht und haben sie auf die Ponyschlitten verladen. Das war nun der Abschied von meinem guten Kameraden Willi Koss. Auch er wurde aufgeladen und mitgenommen. Eine russiche Frau, die ich oft sah, wenn Brot oder sonst etwas für die Gefangenen gebracht wurde, war auch dabei. Sie hatte wahrscheinlich eine Art Buchführung inne. Sie war eine ruhige, ehrliche und keine deutschhassende Frau. Wenn ihr der Wind den Mantel auf die Seite blies, sah man, daß sie einen weißen, wahrscheinlich Krankenschwesternmantel unter dem Übermantel trug. Ich kannte sie schon, weil ich beim Brotverteilen an die Hundertschaften mit ihr zu tun gehabt hatte. Sie nannte mich auch schon beim Namen und sagte Josef zu mir. Ihren Namen habe ich aber nie richtig mitgekriegt, verstanden habe ich "Taschia". Als sie meinen Kameraden Willi wegholten, fragte ich sie, was mit diesen kranken Gefangenen wird. Sie sagte, man brächte sie in ein Hospital, sehr weit weg. Man wird sehr lange unterwegs sein, einige Wochen. Ich erschrak sehr, weil ich wußte, daß viele das nicht überstehen werden, auf einem gewöhnlichen Ponnyschlitten, bei dieser Kälte, womöglich ohne Decken zum Zudecken. Das konnte nicht gut gehen. Für gut genährte Russen, die solche Schlittenfahrten gewohnt waren, war es bestimmt kein Problem, für die ausgehungerten und geschwächten Gefangenen war es vorauszusehen, daß das viele nicht überleben werden.

Als die Frau nach ca. drei Wochen wieder zurückwar, fragte ich sie bei Gelegenheit sofort, wie das Befinden der 100 Gefangenen sei, weil ich das schlimmste befürchtete, zumals sie selbst Erfrierungen im Gesicht, an den beiden Wangen, hatte. Sie sagte, daß 60 Kameraden unterwegs erfroren sind. Als ich nach meinem Kameraden Willi Koss fragte, schaute sie in ihren Notizen nach. Der Name Willi Koss war auch auf der Liste, von denen sie die Todesmeldung machen mußte. Was in mir vorging, kann ich nicht schildern. Mir war, als wäre mein Vater oder meine Mutter gestorben, aber es hat mich wieder eine Kraft geschüttelt, daß ich überleben und heimkommen muß.

Da zu dieser Zeit die noch beweglicheren beim Totenkommando, beim Gräberkommando, beim Holzholen usw. derart überlastet waren, sind viele aus Schwäche umgefallen. Da hab ich gesehen, wie ein ziemlich junger Russe beim Verladen der Toten auf die Lastwägen mit seinem Gewehrkolben auf einen Gefangen einschlug, der aus Schwäche einfach nicht mehr zugreifen konnte. Wir ersuchten ihn, den Mann ins Lager zurückzuschicken, weil er sehr krank ist. Er antwortete, er habe sechs Mann übernommen und muß wieder sechs Mann abgeben. So fuhren wir auf den Toten sitzend oder stehend hinauf auf den Totenberg von Begetovka. Beim Abladen bei den Massengräbern beobachtete dieser Russe wieder, daß dieser Kriegsgefangene (Woena Blenni) wieder nicht zugreifen konnte. Er fluchte grausam, sprang auf den Lastwagen und schrie noch ein paarmal dawei, dawei! Der Gefangene konnte aber wirklich nicht mehr, und der Russe, der vielleicht halb so alt war wie der Gefangene, schrie auf Deutsch übersetzt: "Du verfluchter deutscher Hund, ich werds dir schon zeigen!" Er versetzte ihm mit dem Gewehrkolben einen gewaltigen Hieb, daß der Kamerad in das Massengrab stürzte. Da der Chauffeur offensichtlich auch ein Deutschhasser und wahrscheinlich auch bewaffnet war, getrauten wir uns nicht, etwas zu unternehmen. Jeder von uns dachte, man müßte dem Schweinehund die MP aus der Hand schlagen und ihn auch in die Grube werfen. Da sahen wir, welch arme Kreaturen die Gefangenen in Russland waren.

Einmal wurde ich in das Bahnhofslager Korpus 2 geholt. Das war dort, wo mir Oberarzt Falkenstein, ein Niederöstereicher, die Vereiterung von meiner Schußverletzung im linken Unterschenkel und die Läuse entfernte und auch einen frischen, sauberen Verband anlegte. Dort mußte ich für einige Tage für 11 Ärzte, die meisten waren Deutsche, den Putzer machen und ihre Liegestätten, gewöhnliche Holzpritschen, den Fußboden, Tische und Sessel, mit kaltem Wasser waschen. Warmes Wasser gab es nirgends. Einige Tage hab ich das gerne gemacht, weil ja doch hin und wieder etwas zu essen abfiel. Als ich später sah, daß einer der Ärzte, wenn ich mich recht erinnere, hieß er Dr. Hahn, ein Deutscher, von dem überhaupt nie etwas abfiel, für seine Jausenbrote sogar Senf machte, dachte ich mir, putzt euch euren Dreck selbst weg. Was ich von euch bekomme, bekomme ich von den Russen auch, wenn ich beim Arbeitskommando mitgehe. Auch beim Toten- und Gräberkommando gab es in der Küche aus den Feldbahnloren immer Nachschlagssuppte (Supplement).

Da ich an meinen Händen und der Brust schon wieder Flecken verspürte, vermuteten die Ärzte und auch ich selbst, es sei wieder der Flecktyphus. Russenposten, die beim Korpus 2 Wachposten waren, brachten mich wieder zurück in das Steinlager. Es wäre ja im Bahnhofslager viel schöner gewesen, ein Dach über dem Kopf und ein Fußboden. In manchen Räumen war dort auch Stroh auf dem Boden. Beide Korpus waren als Feldlazerette für die Russen eingerichtet, ich wollte aber lieber wieder bei meinen alten Kameraden sein. Als ich zurück kam, waren es nur mehr 5 oder 6 von meiner Einheit, alle anderen waren weggestorben.

Wachmeister Schuh, um den ich sofort fragte, ist seit gestern nicht mehr hier, hieß es. Er muß auch unter den Toten sein, wenn er nicht mehr hier ist. So ging ich sofort zum Leichensammelplatz und suchte mir den Kameraden Schuh heraus. Da hier alle Leichen schon nackt waren und als Leiche jeder eine andere Gesichtsfarbe hat, muß ich micht gewaltig getäuscht haben. Was mir dort passiert ist, gibt mir noch heute zu denken. Als ich 1947 heim kam hatte ich nur noch 8 Kameraden im Gedächtnis, die ich anfangs 1948 in Linz dem österreichischen Roten Kreuz als gestorben im Lager Pegetowka meldete. Erst fünf Jahre später meldeten sich die ersten Angehörigen aus Nürnberg. Die Eltern und Geschwister von unseren Wachtmeister Hans Purkart. Er ist schon etwas früher gestorben, die Eltern, zwei Geschwister und eine Schwägerin sind sofort mit ihrem Auto zu mir nach Frankenburg gekommen, um sich über das Schicksal ihres Sohnes und Bruders zu vergewissern. Während unserer Gespräche

erzählten sie mir, sie hätten auch einen Brief von Wachtmeister Schuh erhalten. Ich erklärte ihnen entsetzt, daß ich Wachtmeister Schuh doch als Toten hinaus geschafft hatte. Familie Purkert schickte mir den Brief, den sie von Herrn Schuh persönlich erhalten hatte. Nun begann für mich ein Rätselraten. Wie konnte so eine Falschmeldung möglich sein? Nach meiner Überlegung gibt es nur eine Möglichkeit. Während ich draußen auf Arbeitskommando war, haben Russen Wachtmeister Schuh zu einem Arbeitskommando mit hinaus geholt, weil er noch nicht sehr krank war. Die Russen haben dort auch Gefangene für Aufräumungsarbeiten mitgenommen, die nicht einmal richtig stehen konnten. Wahrscheinlich haben ihn die Russen in einem anderen Abschnitt des Lagers oder überhaupt in einem anderen Lager abgeliefert.

Ich habe Wachtmeister Schuh einige male geschrieben, ich bekam aber keine Antwort. Ich ließ ihn über das Rote Kreuz suchen und bekam schnell die Nachricht, daß er auch heim gekehrt ist und auch seine genaue Adresse wurde mir bekannt gegeben. Ich habe ihm dann noch zwei mal geschrieben, bekam aber wieder keine Antwort und kann mir nicht erklären warum.

Nun wieder zurück nach Peketowka. Es war anfangs März und noch eisigkalt und es wurde ein Transport nach Sibirien zusammengestellt. Ich kann nicht genau sagen, wieviele Gefangene da ausgesucht wurden. Ich wußte, daß sich viele freiwillig gemeldet haben. Ich habe mich vor dieser Kommission nicht blicken lassen, denn ich hatte schon Angst, wenn ich nur den Namen Sibirien hörte. Einige Hundert wurden in gewöhnliche Viehwagons verladen und weg waren sie. Ob einer von denen überlebt hat, weiß ich bis heute nicht. Bei den Treffen von Bünden ehemaliger Stalingrad-Kämpfer in Deutschland und Österreich konnte ich bis heute noch keinen erfragen.

Es war nun schon April, als unsere Ärzte den Russen einredeten, sie sollten uns in eine ganz andere Gegend bringen, denn hier würden wir alle sterben müssen. Ich habe das selbst mitangehört, wie deutsche und österreichische Ärzte den Russen eingeredet haben, wir brauchen Wald und Waldluft. Waldluft würde uns wieder aufbauen und das Massensterben würde aufhören. Diese Bitte fiel bei den Russen auf fruchtbaren Boden und bald kam die erfreuliche Nachricht, daß wir in eine Waldgegend kommen werden. Alle hofften, daß dies bald sein wird und wie halt alles seine Zeit braucht, dauerte es wieder ein Monat, bis es Wirklichkeit wurde. Es wurde ein Transport mit 1500 bis 1800 Gefangenen zusammengestellt und zum Bahnhof getrieben. Es war Mitte Mai und es gab schon keinen Schnee mehr. Es war schon ganz warm, die meisten Gefangenen mußten wir führen, manche sogar zu zweit, so schwach waren sie. Fast alle waren nicht mehr allein gehfähig. Es ist mir heute noch ein unvergeßliches Bild, wie wir die armen Geschöpfe in die Waggons begleiteten und beiderseits die Russen mit schweren Maschingewehren in Stellung waren, damit keiner davonlaufen würde. Eine sehr große Überraschung war nun, daß es keine Viehwaggons, sondern richtige Personenwaggons waren, die zur größten Überraschung mit 3stöckigen Pritschen, die mit dünnen weiß-überzogenen Matratzen, Kopfkissen und Wolldecken ausgestattet waren. Wir trauten unseren Augen nicht. Es handelte sich sicherlich um einen Lazarettzug. Es dauerte den ganzen Tag bis in die Nacht hinein, noch in der ersten Nacht gab es Essen, wieder eine große Überraschung. Das Essen bestand nicht aus dünner Suppe, wie wir es in Peketowka im Steinlager gewohnt waren, sondern es gab auch dicke sämige fette Suppe und dann einen großen Schöpfer mit einer Art Gulasch. Alles schaute aus, als ob sie uns nach Hause bringen würden. Mir tut es heute noch leid, daß ich zusehen mußte, wie auch meine Portion gegessen wurde, weil ich einen so heftigen Malariaanfall bekam, daß ich nichts essen konnte. Die Schwestern sagten, ich hätte über 40 Grad Fieber. Die Fahrt in diesem schönen Lazarettzug dauerte einige Tage und Nächte. Das Essen wurde jeden Tag pünktlich serviert, aber jeden Tag wurde es weniger und auch weniger gut.

Das neue Lager hieß nun Pestragi. Es war wirklich ein Waldlager, lauter Holzbaracken, mit Grünflächen schön unterteilt. Schon aus dem Waggonfenster konnte man sehen, daß eine Feldküche da stand und mehrere Krankenschwestern, ganz in weiß, beschäftigt waren. Sofort merkten wir, daß dort ein anderer Wind wehen wird. Sofort mußten wir aus den Waggons am freien Platz antreten. Es dauerte sehr lange, bis wir alle aus den Waggons waren. Es standen hier keine MG-Posten, sondern nur die Begleitposten, und jeder mußte an der Feldküche vorbeigehen. Wir mußten das Eßgeschirr in der Hand halten, eine Schwester nahm das Eßgeschirr, eine zweite schöpfte aus dem Feldküchenkessel einen Schöpfer voll schönes dickes Gulasch. Wie lachten nun unsere Herzen, es roch nach langem wieder einmal nach Heimat. Einige Schwestern haben sofort begonnen, die schon gefütterten gehunfähigen Gefangenen zu den Baracken zu begleiten. Es ging überraschend schnell, man merkte wieder, daß sich jeder ein bißchen zusammenreißt, damit er etwas erwischt, wenn es ums Essen geht. Jede Baracke hatte sechs Räume, in jeden Raum kamen 33 Mann. Vier Räume waren also eine Hundertschaft. Weil ich bei den Gehunfähigen immer mithalf, fiel ich den Schwestern auf. Da ich noch sehr gut auf den Füßen war, haben sie mich in einen Raum gesteckt, in dem wohl die Schwerstkranken lagen. Anfangs waren wir 27 Mann. Wir waren genau 27 Tage in diesen Raum, dann waren nur mehr 4 Mann übrig geblieben, die anderen 23 sind in dieser Zeit gestorben.

Was muß ich doch für einen guten Schutzengel haben, dachte ich. Es war in diesen Baracken schon sehr gut, wir lagen zwar auf blankem Holzboden, hatten aber ein Dach über dem Kopf und kalt war es auch nicht mehr. Es sind jeden Tag kleine Arbeitskommandos, nur Freiwillige, in den nahen Wald gegangen um Brennholz für Küche und Baracken zu machen. Auch andere leichte Arbeiten gab es um das Lager herum. Von den Schwestern und auch von den Wachposten wurden wir bis dahin sehr gut behandelt.

Ende Juni hat ein offensichtlich Geisteskranker bei der Zählung einen halben Ziegelstein auf den Posten geworfen. Er hat den Posten am Kopf oder an der Brust so gut oder so unglücklich, wie man es nennen will, erwischt, sodaß der Posten zu Boden fiel. Der Gefangene fing zu laufen an. Er lief Richtung Westen einen Wald zu. Ein anderer Posten rief einige male "Stoi Bahn, Stoi Bahn". Der Gefangene lief aber immer weiter. Der Posten schoß mit seiner Maschinenpistole eine Salve nach, der Gefangene fiel zu Boden und war auf der Stelle tot. Einige von uns mußten ihn an Ort und Stelle verscharren. Es war vorauszusehen, daß für uns wieder härtere Zeiten kommen werden.

Eines Tages kam eine russische Kommission, einige Offiziere, ein Arzt und zwei Schwestern, die wir noch nie gesehen hatten. Es mußten 3 hintereinander liegende Räume freigemacht werden. Da mußten wir dann alle durchgehen. Im ersten Raum mußten wir alles ausziehen. Hosensäcke, Blusen, Manteltaschen, Brotbeutel oder sonst welche Taschen oder Säcke wurden genau durchsucht. Alles was überzählig war, wurde ins Eck geworfen. Man durfte nur eine Unterhose, ein Unterhemd, ein Hemd, eine Hose, eine Feldbluse, einen Mantel, ein paar Socken, ein paar Schuhe und eine Kopfbedeckung behalten. Alles was die Russen für unnötig hielten, wurde, wie bereits gesagt, ins Eck geworfen. Ich hatte wieder einmal höllische Angst, weil ich einen oder zwei Socken aufgetrennt und mit der Wolle eine kleine Landkarte und einen Wehrmachtskompaß eingewickelt hatte. Leider hatte ich keine Gelegenheit mehr, diesen Wollknäuel draußen zu verstecken. Den Löffel und noch ein paar kleine Sachen hatte ich schnell vor der Baracke in die Erde getreten. Dabei durften wir dann alle Löffel und Eßgeschirr behalten. Der Wollknäuel wurde aus dem Brotbeutel genommen, kurz besichtigt und dann Gott sei Dank ebenfalls ins Eck geworfen. Als Eßgeschirr diente den meisten nur mehr eine leere Konservendose. Es mußte nun einer nach den anderen in den nächsten Raum gehen, bewaffnet mit seinem Eßgeschirr und einem Löffel, sonst nichts. Pudelnackt mußte man vor diese Kommission hintreten. Ein uniformierter Arzt und eine Schwester, die vermutlich auch Ärztin war, waren für die Feststellung des Fettzustandes verantwortlich. Sie griffen und zwickten uns am ganzen Körper ab, wie einen Truthahn. Die zwei nächsten Russen schauten uns in den Mund und in den Mastdarm, ob wir nicht etwas versteckt hätten. Im nächsten Raum waren einige unserer Posten, die teilten für jeden eine Unterhose, ein Hemd und eine Decke aus. Die Schuhe konnten wir mitnehmen und anziehen, die anderen Uniformteile wurden gebündelt und mit dem Namen des Eigentümers versehen. Es wurde uns gesagt, daß die Uniformen in die Entlausung kommen und wir sie dann wieder bekommen. Bis wir die Uniformen wieder bekamen, dauerte es - so glaube ich fast - 2 Monate. In dieser Zeit, bis anfang September, lebten wir mit nur einer Unterwäsche, einer Decke, Schuhen, Eßgeschirr und Löffel. Es wurden uns zum ersten Mal die Haare ganz kurz geschnitten und es gab auch warmes Wasser und Seife zum Rasieren und Waschen.

Nur jene, die zu einem Arbeitskommando gingen, bekamen leihweise einen russischen Schlosseranzug. Ich hatte Angst, daß ich meinen schönen Flakanzug nicht mehr bekommen werde, was dann auch so war.

Als der ganze Klamottenhaufen wieder kam, habe ich zwar wieder eine Flakuniform gesehen und weil ich selbst bei der Verteilung mithelfen mußte, habe ich diese gleich für mich genommen. Es war zwar nicht meine alte Flakuniform, aber ich hatte wieder eine Flakuniform, was mich aus verschiedenen Gründen sehr freute.

Ende September 1943 war es nun aus mit dem Lager, in dem die meisten wieder auf die Beine kuriert wurden. Rückblickend kann man sagen, es war ein Lazarett oder Erholungslager.

Wieder wurden wir in Waggons geladen, aber diesmal waren es Viehwaggons mit etwas Stroh am Boden. So ging es wieder einige Tage und Nächte in Richtung Sibirien. Am Tag gab es 2 x dünne Suppe, 1 x 600 g Brot. Am Bahnhof Gorki standen wir eine ganze Nacht, in Kirov standen wir einen Tag und eine Nacht. Die Wachposten, die den Transport begleiteten, sagten uns, daß sich die Kommandantura nicht einig sei. Ein maßgeblicher Natschalnig sagte, der Transport muß Richtung Lesnaia, Achangelsk, ein anderer Natschalnig sagte, der Transport sei für Sibirien bestimmt. Gott sei Dank ging es doch Richtung Norden, etwa 700 km im Kaiski-Rayon, in die Nähe Lesnaia, mitten im Urwald. Wir erkannten sofort, daß es sich hier um ein richtiges Verbannungsgebiet handelte. Das Lager war direkt an der Eisenbahn, ein massiver hoher Holzzaun, in jeder Ecke ein hoher Wachturm, über dem Zaun massives Stacheldrahtgeflecht. An einem dicken Draht, wo an Laufrollen auf jeder Seite ein Wolfshund hin und her sauste. Aber Gott sei Dank gab es wieder Holzbaracken. Wenn auch die Läuse und Wanzen in Holzbaracken etwas mehr sind, Hauptsache war, nicht im Schnee zu liegen.

Als wir aus den Waggons waren und zur Zählung angetreten waren, ungefähr 1000 Mann, sahen wir, daß im Lager schon deutsche Kriegsgefangene sind. Sie standen hinter dem Eingang, es war ein sehr schöner geschnitzter hölzener Torbogen. Rechts nach dem Tor war ein größeres Gebäude, ein Theatersaal mit mehreren Nebenräumen, für den Kommissar, Komandantura, Schreibstuben usw.

Als wir namentlich alphabetisch,einzeln aufgerufen wurden und so durch das schön geschnitzte Tor gingen, fragten die dort Stehenden, wo kommt Ihr denn her, ist ein Österreicher dabei, sagte einer von denen, der hatte einen weißen Arbeitsmantel wie ein Küchenchef oder ein Sanitäter an, ich meldete mich. Ich sei aus Österreich. Von wo? Ich sagte ihm aus dem Bezirk Vöcklabruck, aus Frankenburg. Das ist ja prima, sagte er mir kurz. Ihr kommt jetzt auf 21 Tage in die Quarantäne-Baracke und dann erst in die einzelnen Arbeitsbrigaden.

Ich komme heute nach der Essensausgabe zur Dir in die Quarantäne-Baracke, ich bin nämlich hier Küchenchef. Es kann sich wohl niemand vorstellen, wie mir das Herz lachte. Richtig kam er am selben Abend noch zu mir, ein kleiner, aber dafür dicker, ungewöhnlich dicker, der muß wohl immer mehr als genug zum Essen haben, von dem werde ich sicher öfters etwas abkriegen. Er sagte mir, er sei aus St. Georgen im Attergau.

Gibt es denn etwas Schöneres, wenn man so um die 5.000 km von daheim weg ist, dann trifft man einen, der so gut genährt ist und dazu noch Koch ist. Er erzählte mir, daß es hier nur Waldarbeit gibt, es sind hier in diesem Keiskireian 15 verschiedene Lager, die gehören alle zu diesem Hauptlager hier, die Nr. ist 101 und alle anhängenden Lager haben die Nr. 101-1 bis 101-15.

Es sind ungefähr 12.000 Gefangene in den Lagern und alles ist Waldarbeit. Na dachte ich mir, das kann für mich nicht so schlimm werden, denn die Waldarbeit kenne ich von zuhause. Außerdem machte mir die Waldarbeit zuhause schon Spaß. Wenn es halbwegs was zum Hawern gibt, dann bin ich schon gerettet. Dieser Haberl Franz aus St. Georgen, so hieß er, sagte mir dann, Du hast so einen schönen Fliegeranzug an, den mußt Du mir abgeben, den nehmen dir die Russen ab. Ihr bekommt alle einen einheitlichen russischen Arbeitsanzug. Er sagte zu mir, Du weißt Du was, gib ihn mir, ich bringe Dir gleich einen russischen Anzug. Ich gebe Dir alle Tage ein Kochgeschirr voll Suppe. Stell Dich bei der Rumänischen Brigade hinten an, ich fülle Dir das Kochgeschirr jeden Tag an, na das wird wohl die Sache, dachte ich. Den Tauschhandel haben wir am selben Tag in der Nacht gemacht. Ich hatte höllische Angst, daß ich bei den Russen auffliegen werde, denn das müßte doch auffliegen, denn wieso hatte denn da schon einer einen russischen Arbeitsanzug. Aber ich flog Gott sei Dank nicht auf, aber dafür jetzt das Schöne an dieser Geschichte. Als ich mich am anderen Tag, wie von ihm befohlen, an die Rumänische Brigade anschloß und als letzter zu dem Guckerlfenster hinkam, und ihm mein Kochgeschirr hinreichte, schrie er heraus "bist leicht doof?" und machte das Guckerl zu. Ich stand nun da, wie vom Blitz gestreift. Was soll ich oder was kann ich jetzt machen?

Meine Eingebung war, stillschweigen und weiterdienen, es wird sich schon eine Lösung ergeben.

Die 21 Tage Quarantäne waren nun schnell vorbei, es gab jeden Tag 3 x Suppe, morgens und abends je 300 g Schwarzbrot dazu, mittags 200 g Kascha. Kascha ist ein etwas dickerer Brei aus Hirse oder Gerstengrütze, etwas fettig, meist sehr gut. Das Brot war meist aus minderwertigem Mehl, wie man es zuhause dem Vieh gefüttert hat, oft war sogar Stroh oder Spreu unter dem Brot. Man mußte das Messer, das man zum Portionsschneiden benutzte, oft in Wasser tauchen, damit das klebrige und strohige Brot nicht so arg ans Messer klebte, aber es schmeckte immer, wie

heute der beste Kuchen, hätte man nur immer genug davon gehabt.

Bevor die 21 Tage Quarantäne vorbei waren, kam eine russische Kommission, bestehend aus einigen Ärzten und Offizieren und Sergeanten und Natschallniks. Man mußte wieder nackt vor diese Kommission hintreten und wurde da wieder am ganzen Körper betastet und bezwickt, als wäre man in einem Schlachtviehmarkt angelangt, es gab da 5 verschiedene Kategorien, in denen man eingeteilt werden konnte, je nach Körper und Gesundheitszustand, die 100 % kommissioniert wurden. Die noch oder wieder etwas Fleisch und etwas Muskulatur hatten, mußten 100 %ige Arbeit leisten, die mit 75 % mußten 75 % Arbeit leisten, die mit 50 % mußten 50 %ige Arbeit leisten, die mit 25 % nannte man Schlappkommando. Diese kamen in eine eigene Schlappkommandobrigade. Sie bekamen normale Lagerverpflegung und 700 g Brot, damit sie wieder arbeitsfähig werden, sie brauchten nichts zu arbeiten.

Nun die Erklärung zu den Kategorien:

Wer 100 %ig kommissioniert wurde, mußte 100 % von der Norm erfüllen, das hieß, die Norm ist 1 1/2 Rm Holz fällen, entästen, auf 1,5 m zerschneiden und zum Weg tragen und aufstapeln, der 75 %ige eben 75 % von dieser Norm, der 50 %ige 50 % von der Norm.

Die fünfte Kategorie war Distrophie, die Distrophiker kamen in eine eigene Art von Lazarettbaracken, die bekamen auch meist Weißbrot und Diätverpflegung, je nach Krankheit.

Es gab nur 14 oder 15 Mann 100 %ige, die halt bisher immer in einer Küche oder Brotschneiderei oder sonst einem Job gearbeitet haben, ich wurde 75 %ig, aber die meisten 50 %ig.

Nun waren die 21 Tage Quarantäne vorbei, es wurden alle Nationen getrennt in Arbeitsbrigaden eingeteilt, Rumänen, Italiener, Tschechen, Österreicher und Deutsche wurden später getrennt. Eine Brigade war zwischen 20 und 30 Mann stark, jeder bekam eine russische Einmannsäge und eine Hacke /Beil) in die Hand gedrückt und "dawei na Less" das heißt, so jetzt los in den Wald!

Im Lager 101 waren um die 1.500 Mann, davon ca. 30 Mann Lagerbrigade, die hatten im Lager Beschäftigung, ca. 770 Mann waren Schlappkommando und Distrophiker, ca. 700 marschierten in den Wald, jede Brigade mit 2 Wachposten, bewaffnet mit M.P.

Nun hieß es von den Russen zum erstenmal, was ich heute noch in den Ohren habe.

Ein Russe hatte uns vor dem Ausmarsch eine Lehre gegeben, worin er öfters betonte: "Norma budit, Klewa budit, Norma niet budit, Klewa niet budit", das heißt auf Deutsch: Wenn Ihr die Norm macht, gibt es Brot, wer die Norm nicht erfüllt, bekommt kein Brot."

Die Strecke zum Arbeitsplatz war anfangs um die 8 km, die Norm 1,5 Rm für 100 %ige, es wäre ja nicht viel für einen, der ein bisserl Ahnung von der Waldarbeit hat, denn das Werkzeug, Säge und Hacke, waren erstklassig, so eine gute Hacke kannte ich überhaupt nicht, die Säge hatte eine Spannsägeform ganz eigener Art, ich glaube, die kannte man in ganz Mitteleuropa nicht. Das Sägeblatt war sehr dünn, sehr flach, 1,2 m bis 1,3 m lang und sehr schnittig.

Aber wieviele waren unter uns, die überhaupt eine Ahnung von einer Waldarbeit hatten, schon gar nicht vom Baumfällen, wenn einer die Einmannsäge schief angesetzt hat, kam er mit dem Schnitt in den Wurzelbereich, es verzwickte ihm die Säge, er kam nicht mehr weiter oder er brach die Säge ab, es gab hin und wieder Reservesägen, aber meistens mußten die Kameraden denen die Norm fertig machen, wo ich sehr oft zum Handkuß kam, oder es gab kein Brot.

Was da in den ersten Tage und Wochen passiert ist, ist himmelschreiend. Jede Brigade hatte einen Brigadier, ein Gefangener von uns, der vielleicht etwas russisch verstand, oder vielleicht als Gschaftelhuber sich hervorgetan hat, entweder von uns oder von den Russen als Brigadier ernannt wurde, meist aber von der Waldarbeit schon gar nicht vom Baumfällen etwas verstand und von den ca. 20 Brigaden 5russische Vorarbeiter und 1 Waldmeister waren, die uns die Arbeitsplätze zuteilten. Diese Plätze wurden im Abschnitt von ca. 10 - 20 m, je nach Holzbestand, zugeteilt.

Und so gings dann los, es dauerte keine Stunde, hörte man schon die ersten Schreie, es wurde da einfach losgeschnitten. Die meisten, wirklich weitaus die meisten hatten keine Ahnung, wo der Baum hinfallen wird, so fielen täglich, oft mehrmals täglich Baumstämme auf den sich bückenden Nebenmann, der auch gerade einen Stamm umschneiden wollte, auf den Rücken oder auf den Kopf. Es gab nun sehr viele Tote. Es wurden die Arbeitsplätze automatisch größer und auch die Russen haben die Plätze dann auf ungefähr 50 m erweitert und es mußte jeder, bevor der Baum fällt, laut schreien "woesa", das heißt "Vorsicht".

Die Zentralen und die Uste waren ausgesteckt, das war die Straße, wo später die Holzschienen gelegt wurden. Beiderseits konnte man das Holz stapeln, sobald die Holzschienen fertig waren, wurde das Holz mit äußerst interessantem Fuhrwerk zur Eisenbahnlinie gefahren.

Bevor die Posten zum Antreten zum Heimmarsch pfiffen, haben die Vorarbeiter, das waren Russen in Zivil, auch Frauen waren dabei, die Holzstapel, die wir gestapelt hatten, gemessen und in die Arbeitsliste eingetragen. Es wurde sehr oft der Brigadendurchschnitt bewertet, damit die Norm auch für die, die sie nicht erfüllt hatten, geschrieben werden konnte. Es ergab sich bald folgende Regelung: Die, die mehr als die Norm machten statt 1,5 rm, 2 rm, die waren Rekordisten, die bekamen etwas mehr Brot und doppelten Kascha, das war dann ein Viertel Liter. Es kam dann in den späteren Lagern, konnte man sich bis zu einem kg Bort, doppelten Kascha und ein Biroschki, das ist ein kleines Weckerl verdienen. Eine der ersten waren Otto Bruckmüller und Wohlmuth Georg, natürlich war auch ich schnell unter den Rekordisten.

Anfangs waren es 5, 6, öfter 8 oder 10, aber nach einem halben Jahr waren es schon 40 oder 50, sehr viele Ungarn. Dann hatte der Russe gesehen, wie man die hungrigen Gefangenen mit etwas zusätzlichem Essen zur Mehrarbeit locken kann, und so haben sie die Norm auf 2 RM und den Rekord auf 2,5 RM gesetzt. Es wurde bald schwieriger, denn der Anmarschweg wurde immer länger. Das steigerte sich bis 13 - 14 km hin und 13 - 14 km zurück. Da gab es dann leichtverständlich viele Ausfälle, bei der monatlichen Kommission, bei dieser Oktoberkommission war es noch nicht arg, aber die Novemberkommission war schon sehr arg, es war nun auch schon wieder sehr kalt. Es wurden da einige hundert auf Schlappkommando gesetzt. Die kamen alle ins Zweierlager, das war ein reines Schlappkommandolager, das war einige km nordöstlich vom Einserlager entfernt. Ich kam dort nie hin, aber es soll ein gutes Lager gewesen sein. Es gab keine Arbeitsbrigaden, nur freiwillige leichte Arbeit und eben die verbesserte Kost, mit 700 g Brot, die dann nach einem oder mehrer Monaten wieder 50 %, 75 % oder 100 % kommissioniert wurden, mußten wieder in die Arbeitslager zurück.

Nun nocheinmal zurück in Einserlager:

Wenn man im Wald fertig war mit der Norm, konnte man sich ein Feuer machen, (nur bei Regen oder im Winter), und sich hinsetzen und auf die anderen warten, oder man half einem der die Norm nicht erfüllen konnte, weil er zu schwach war, oder den Schnee nicht ersteigen konnte, oder die Einmannsäge oder der Hackenstiel gebrochen war, oder oft war ein sehr schlechter Arbeitsplatz schuld, sehr schlechtes Holz, sehr weit zum Tragen, wenn der Baum in die falsche Richtung fiel, auch war stellenweise der Boden etwas sumpfig.

Nun zu dem Holz überhaupt: es klingt jetzt wirklich wie ein Märchen: als 1929 in meinem Elternhaus die Ziegel für einen Stallbau zuhause aus eigenem Lehm mit eigenem Holz geschlagen, getrocknet, und gebrannt wurden, da wurde erzählt, daß in Rußland ein sehr großer Waldbrand ist, wo einige 1000 Leute verbrannt sind.Ich ging damals in die erste Klasse Volksschule. Auch die Lehrerin erzählte uns, wie gefährlich für Kinder das Zündeln ist. Das ging in meinen Kopf ein und blieb in meinem Gehirn hängen, als hätte es so sein müssen.

Wie wir da oben in den Kaiskireion ankamen, sah man schon von weitem, es ist so ein komischer Wald, der ist nicht grün, wie normale Bäume, lauter so schwarz verkohlte oder weiße verschimmelte Stämme standen in die Höhe. Sehr viele Stämme lagen am Boden, halb oder ganz verfault. Ein russischer Vorarbeiter, er hieß Sascha, ein Wolgadeutscher, er hat sehr gut Deutsch gesprochen. Er war selber unter den Überlebenden, die 1929 diesen Waldbrand überlebt haben. Er erzählte, es waren 5000 Tote und nur 6 Überlebende. Er war damals 20 Jahre alt. Da ging dann bei mir ein Licht auf. Ich erinnerte mich an zuhause, was damals von einem großen Waldbrand in Rußland erzählt wurde. Die Zeit und daß es mehrere tausend Tote gab stimmte auch. Nun gab es für mich keinen Zweifel mehr, das muß das sein.

Die Strecke nach Hause ins Lager war oft sehr schwer zu überwinden, denn 14 km hinausmarschieren, die Norm machen, wenn oft die Säge nicht mehr richtig scharf war, den ganzen Tag ohne Essen und Trinken, und dann wieder den weiten Heimweg. Da hieß es oft: "Laß mich bei Dir einhängen, sonst fall' ich um", oder wie Kamerad Heidinger Ferdl aus Frankenmarkt, der wurde nachtblind wie viele andere auch aus Vitaminmangel, den mußten wir, wenn es ein bißchen dunkel war, die ganze Strecke heimweisen. Wir hatten oft das Glück, daß der Güterzug, der das von uns geschnittene Holz schon geladen hatte, auf uns wartete, oder wir warteten auf ihn, wenn es nicht zu lang dauerte und es die Posten uns erlaubten, denn die waren sicher selber froh, wenn sie nicht die ganze Strecke gehen mußten. Nun muß ich die Eisenbahnwaggons und die Lokomotive ein bisserl schildern. Es war eine Schmalspurbahn. Die Eisenschienen lagen auf 71 cm, wenn ich mich recht erinnere. Dementsprechend klein waren auch die Lok und die Waggons. Die Waggons waren 6 m lang, eine Holzbrücke vorne und hinten, je zwei Meter hohe Rungen, wo von hinten bis vorn ganz oben ein dicker Draht gespannt war. Es waren auf einem solchen Waggon zwischen 15 - 20 rm Holz geladen. Da konnte man sich unter den Draht auf das Holz sitzen und bis zur Papierfabrik mitfahren. Das waren immerhin 8 km. Die nächsten 4 km bis ins Lager mußte man wieder zu Faß gehen. Die Lok war wie schon gesagt auch dementsprechend klein. Ein sehr schönes, nettes Ding, war sehr schön zum Anschauen und noch schöner war sie, wenn sie uns mitnahm. Der Lokführer war auch ein recht netter, braver Russe, der hatte ein Herz für die Gefangenen. Der Zug bestand meist aus 30 - 40 Waggons. Der letzte Waggon war der Bremswaggon. Alle anderen waren nicht gebremst. Dieser Bremswaggon war beladen wie alle anderen und hatte hinten einen Einstand, wo eben der Bremser die Bremse zu oder aufdrehen mußte.

Zwischen 5 Uhr und 7 Uhr abends kamen die meisten Brigaden wieder zurück ins Lager. Die letzte Brigade mußte gleich am (Ulizer) Flur in Viererreihen antreten, dann haute der Wachposten, das ist der Russe, der abwechselnd den ganzen Tag und die ganze Nacht im Wachthäusl war, mit einem schweren Hammer oder mit einem schweren Eisenstück auf eine aufgehängte, ca. 1,5 m lange Eisenbahnschiene. Man hörte dann den Gongschlag im ganzen Lager. Dann hieß es für das gesamte Lager antreten zur Zählung (Prowerka). Wenn die Russen gut gelaunt waren, brauchte die Lagerbrigade, das sind die, die in der Küche, Bäckerei, Wäscherei, Trockenkammer, Entlausungskammer, Brennholzkommando usw. arbeiteten, nicht antreten. Es war oft zum Lachen oder auch oft zum Weinen. Zum Lachen, wenn die Russen mit der Gefangenenzahl nicht übereinkamen. Einmal hatten sie zuviel, dann wieder zu wenig. Es stand das ganze Lager in 4er-Reihen angetreten. Da mußten sie oft 8-10 Mal durchzählen, bis es stimmte. Wenn das Wetter schön war, war es weniger schlimm. Aber wenn es regnete und man ganz durchnässt war, oder im Winter , wenn es recht kalt war, da war die Prowerka ein Martyrium.

In einem Lager war immer was Besonderes bei der Prowerka zu beobachten. Es muß im alten Dreier-Lager gewesen sein. Wenn man zur Prowerka in 4-er-Reihen angetreten war, kam ein Sergant, um die Gefangenen zu zählen. Er fing bei dem Ersten an: "Raß, Dwa, Trie, Tschetieri, Piat, ...". Das heißt in deutscher Sprache: "1, 2, 3, 4, 5,..". Bei dem nächstfolgenden, der der sechste sein sollte, fing er wieder bei 1 an. So zählte er die ganz Front durch. Bei dem letzten sagte er: "Prawilna". Das heißt: "Richtig", und man konnte wieder auf die Baracke gehen. Wenn nicht etwas besonderes zu vermelden war. Ich weiß es nicht, hat er es aus Jux gemacht, oder hat er wirklich nur bis 5 zählen können. Und gerade dieser Russe war ein ausgesprochen lustiger, braver, deutschfreundlicher Mann. Vor dem hatte niemand Angst, bei dem stimmte es immer.

Ein großes Problem war immer das Waschen an Händen und Gesicht. Man kam oft heim wie ein Rauchfangkehrer, durch die verkohlten Baumstämme waren oft nicht nur Hände und Gesicht schwarz, sondern auch die Arbeitskluft. Man bekam oft nur ein Kochgeschirr voll Wasser. Man nahm sich den Mund voll mit Wasser, spukte es portionsweise auf die mit beiden Händen geformte Schale und schnell waren Gesicht, Hände und Zähne sauber. Alle zehn Tage durfte man brigadenweise baden gehen. Das muß ich auch wieder genauer schildern, damit man das Aussehen von einem solchen Lagerbad mitkriegt:

Es war in jedem Lager, wo ich war, das Bad (Bannia) eine Holzbaracke wie jede andere. Meist anhängig waren eine Entlausungskammer und eine Trockenanlage (Suschilka), wo man über Nacht die nassen Klamotten trocknen konnte. Auch wurde dort die Unterwäsche getrocknet. Denn man bekam alle zehn Tage nach dem Bad frische Unterwäsche. Dieser Baderaum war wie jeder andere Raum runderherum, auch der Fußboden, aus Holz. Mitten im Raum stand ein eingemauerter Waschkessel. Ein Mann mußte ständig heizen. Da bekam man ein hölzernes Gefäß, das sah aus wie zuhause ein Kälbersechterl mit ca. 8 - 10 l Wasser. Das stellte man in diesen Raum irgendwo auf den Boden, denn ganz selten war eine Bank vorhanden. So ging das Waschen einer Brigade in kürzester Zeit vorbei, wenn nicht das Entlausen und das Haareschneiden und das Rasieren am ganzen Körper länger dauerte. Wenn man unten am Unterkörper und Brust rasiert wurde, mußte man auf eine Bank oder auf ein Stockerl steigen, damit sich der Russe oder die Russin nicht so bücken mußte. Das war auch immer etwas besonderes. Besonders wenn das Rasiermesser keine Schneid mehr hatte, gab es immer verzogene Gesichter. Es war oft von Vorteil, daß wir so ausgehungerte und ausgemergelte Kretins waren. Wenn man so pudelnackt auf einem Stockerl stand und eine fesche Russin die Schamhaare wegscherte.

Der erste Allerheiligentag in der Gefangenschaft, im Lager 101-1 war ein arbeitsfreier Tag. Der Barackenstasi oder Lagerkommandant ging in der Früh in die Baracken und schrie: "Kameraden aufstehen, daheim ist heut' Allerheiligen." Das war für mich wie ein Elektroschock. Momentan kam mir ein Bild vor die Augen, wie meine Eltern und Geschwister beim Familiengrab stehen, wissen nicht , ob ich lebe oder sonst etwas passiert ist. Ich hab' es gefühlt, wie sie alle bangen und weinen. Meine Gedanken waren, wenn ich doch ein Vögelein heimschicken könnte, mit einem Lebenszeichen.Ich simulierte den ganzen Tag vor mich hin. Am Abend riß Otto Bruckmüller mir die Decke herunter und sagte zu mir:"Was ist los Sepp! Spinnst du auch schon?". Und das war das Richtige. Denn alle, die zum Senieren anfingen, sind früher oder später gestorben.

Ein unvergeßliches Erlebnis hatte ich in der Küche im Einserlager. Es war jeden zehnten Tag Wichatnoi, daß heißt arbeitsfreier Tag. Da ging ich, wenn mich der Hunger sehr plagte, zur Küche oder in die Bäckerei schnorren, auf Deutsch gesagt betteln. Es war dort ein rumänischer Koch. Er hieß Rodt Josef, ein Rumänendeutscher. Er hatte knallrote Haare, aber eine Seele von einem Menschen. Von dem bekam ich immer etwas. Einmal sagte er zu mir: "Willst nicht ein bißchen mithelfen beim Kartoffelschälen?". Na da hab ich vielleicht mit lachendem Gesicht ja gesagt. Als er mir hinter den 3 oder 4 großen eingemauerten Suppenkesseln ein Stockerl und einen Eimer voll Kartoffel zum Schälen hinstellte, sah ich auf der anderen Seite auch einen Gefangenen sitzen, den ich zwar schon öfter gesehen hatte,der mir aber nicht näher bekannt war. Als ich da so gemütlich Kartoffel schälte, spenglerte er aus einer Konservendose einen Schöpfer (Scherpak).Womit er das Blech geschnitten hat, weiß ich nicht mehr, aber als Hammer hatte er einen Eisenbahnschienennagel. Als Amboß ein Stück Eisen und fesche Schöpfer hat er gemacht. Als wir uns so unterhielten, kamen wir darauf, daß wir beide Oberösterreicher sind. Er ist aus Steyrermühl und ich aus Frankenburg, das ist doch keine Entfernung. Er saß neben einem Kessel, da wurden gerade Rüben gekocht, und wenn gerade kein Koch da war, schöpfte er mit seinem frisch gespenglerten Schöpfer ein paar Rüben aus dem Kessel und warf mir öfter einige her, die ich sofort heimlich aß.Das war der Ohrlinger Lois aus Steyrermühl, der so einer meiner besten Freunde und Kamerad wurde. Er war immer durch die ganzen Jahre hindurch Werkzeugmacher, Sägefeiler (Instrumentaltschiki). Er war auch Stalingrader, aber seine 2 ersten Lager waren Frolov und Belakolaliza. Er war immer ein sehr lustiger, gut singender, ein für andere aufmunternder Kamerad.

Es kam in diesem Einser-Lager so weit, daß wir sogar ein Theater aufführten. Das Theater bekam den Titel: "Einsteigen, bitte.". Der Titel deswegen, weil 7 Nationen Gefangene im Lager waren: Deutsche, Österreicher, Italiener, Rumänen, Tschechen, Franzosen und einige Japaner. Jede Nation spielte eben einen Akt aus ihrem Land. Wir Österreicher stellten eine Schuhblattlergruppe und eine Sängergruppe zusammen. Natürlich waren der Ohrlinger Lois und der Bergmann Hans die Initiatoren. Der Ohrlinger, weil er so ein guter Sänger war. Es wurden 3 schöne Lieder gesungen: Bozener Bergsteiger, Almrausch und Edelweiß, und "Nach der Heimat geht mein heimlich Flehn". Zu dritt hatten wir einige Schuhplattler gezeigt. Ein Welser, ein Innsbrucker und ich. Da mußten wir 3 Mann von den Gefangenen suchen, die ein bißchen weibliches Aussehen hatten, denn wir hatten sie als Mädchen verkleiden müssen. Da war der Bergmann Hans der gegebene Mann, denn er hatte von Haus aus ein richtiges Mädchengesicht. Er war ja Koch mit schönen roten Wangen und ein bißchen Schminke dazu und selbstverständlich auch eine reizend geformte Brust. Was da die Österreicher in diesem Theatersaal für einen Erfolg hatten, kann man fast nicht schildern. Den schönen Jodler beim Bozener Bergsteiger-Lied, sangen der Moser Hans aus Bad Aussee und der Niederösterreicher Botluzki Erwin besonders schön. Und die schönen Mädchen bei uns Schuhplattlern. Als alle Nationen durch waren mit ihren Akten, schrien die Russen im Saal ganz stürmisch: "Aufstrizki ischio raß". Das heißt: "Österreicher noch einmal.". Wir mußten nochmals singen und blattln. Es setzte ein nicht enden wollender Applaus ein. Einige russische Offiziere kamen sofort auf die Bühne. Sie wollten unbedingt die 3 schönen, reizenden Mädchen kennenlernen. Sie wollten es einfach nicht glauben, daß es keine echten Mädchen waren, besonders der Bergmann Hans, der hatte die Russen lange zum Narren gehalten.

Wir Österreicher mußten dann von diesem Zeitpunkt an in der Früh beim Ausmarsch und am Abend beim Einmarsch den Bozener Bergsteiger singen. Denn der schöne Jodler hat den Russen so gefallen, daß wir ihn immer wieder singen mußten. Es kam sogar soweit, daß sich die Russenposten um die österreichische Brigade gestritten haben. Alle Posten wollten mit den Österreichern gehen. Von da an hatten die Österreicher einen besonderen Stand bei den Russen. Mitte Jänner 1944 kam ein Transport zu Fuß aus dem 3er-Lager. Ein Schlappkommandolager. Da waren mehrere Stalingrad-Kämpfer dabei, wie Bruckmüller Otto, Wollmuth Georg, Hoffmann Georg, Panert Karl, Biglmeier Konrad. Es waren einige hundert. Es war immer was schönes, mitunter auch aufregend, wenn man wieder einen trifft aus der nächsten Heimat, besonders dann, wenn dieser die engste Verwandtschaft kannte und etwas Neues weiß, was es zuhause Neues gibt, in diesem Fall war es Kamerad Hans Kemetmüller. Er kannte meine Verwandtschaft in Bruckmühl, Gemeinde Ottnang am Hausruck. Er erzählte mir, daß mein Großvater noch lebt, daß mein Kusän Franz Kirchberger in die russische Gefangenschaft geriet. Die Russen haben ihn für tot gehalten, denn er hatte eine schwere Kopfverwundung, haben ihn bewußtlos liegengelassen. Als er zu sich kam, lag er mitten unter den Toten. Er hat sein Gehirn mit der Hand festgehalten, daß es nicht austritt. So kroch er nachts bei Dunkelheit wieder zu seiner Einheit zurück, wurde sofort abtransportiert in die Kopfstation nach Bad Ischl, wo er auch überlebte.

Kemetmüller Hans war fast immer in der Rekordbrigade, denn er war auch einer von den besten Waldarbeitern. Er war immer ein sehr mager aussehender Gefangener, war einige Male sogar Schlappkommando geschrieben, aber ein ausgesprochen harter, zäher Bursche und auch immer bei guter Laune, trotz mancher unmenschlichen Situation. Ich sehe ihn heute so wie damals immer sehr gern. Er hatte leider das Pech, nicht mit uns Österreichern heimfahren zu können. Er war als Deutscher geführt und durfte erst zwei Jahre später mit den Deutschen heimfahren. Wie bitter solche Jahre sein können, können sich wahrscheinlich die wenigsten vorstellen. Bei der Aufnahme sagte er: "Geboren in Salzburg." Und der Dolmetscher sagte dann Salzburg ist in Bayern, daher bist du Deutscher und das ließ sich der Dolmetscher nicht aus dem Kopf reden. Das kostete den Hans weitere 2 Jahre unmenschliche Zwangsarbeit.

Im Lager 101-1 mußte ich einmal mit einem Sonderkommando auf die Eisenbahn. Es war eine Lokomotive im tiefen Schnee aus den Schienen gesprungen. Der Schnee war an der Stelle mannshoch angeweht und sehr hart. Es war eine große Überlandlok. Wir konnten nur staunen, wie die Russen auf solche Fälle spezialisiert sind. Es wurde nur mit Hebebalken aus Holz gearbeitet. Das Ausschaufeln der Lok dauerte länger als das Einheben. Es war eine übergroße Lok der transsibirischen Eisenbahn.

Ein ganz schwerer Unfall ereignete sich einmal mit dieser Kleineisenbah. Wie schon berichtet, durften wir uns öfters aufsetzen. Manchmal sogar hinaus zu auf die leeren Waggons. Aber am meisten froh waren wir, wenn wir heimwärts aufsitzen konnten. Meistens waren es die Rumänen, die sich da vorgerauft haben und die ersten 2 oder 3 Waggon besetzt haben. Wie schon berichtet, mußte man sich auf das Holz unter den von hinten nach vorne gespannten Draht sitzen. Beiderseits saßen da meisten 12-15 Mann. Ich wollte auf den 3. Waggon hinauf. Da riefen einige herunter: "Ist schon voll. Geh' weiter nach hinten!". Ich ging einige Waggons nach hinten, kletterte hinauf und setzte mich wie alle anderen unter den Draht. Die Strecke war nicht ganz eben. Es ging ca. 1km leicht bergab und in einer leichten Kurve muß der letzte Waggon, der Bremswagen, zu wenig oder vielleicht gar nicht gebremst haben. Jedenfalls rutschte die Lok schon ein bisserl, konnte nicht abbremsen. Durch den Druck von hinten hat es die ersten 2 Waggon aus dein Schienen geschmissen. Und die nächsten 3 Waggon fielen drauf. Da die Rumänen, wie alle anderen auch, unter dem Draht saßen, wurden sie während dem Sturz zwischen Holz und Draht eingeklemmt, konnten nicht mehr wegspringen. So sind bei der Karambolage 61 Rumänen erstickt. Wieder kann ich von einem großen Glück reden, daß ich nicht auf diesen Waggons war. Es ist mir heute noch ein Rätsel, wieso so schnell ein Hilfszug, eine kleine Lok und 1 oder 2 Waggons Rettungsmannschaften mit Rettungsmaterial kamen. Es muß da ein Posten oder die Lok ein Funkgerät gehabt haben. Es dauerte keine halbe Stunde, war der Rettungszug da. Wir mußten sofort zu Fuß weitergehen, wo die Russen die toten Rumänen hingeschafft haben, haben wir nie erfahren.

Im Frühjahr 1944 wurde ich bei einer monatlichen Kommission auf Schlappkommando gesetzt, und so kamen ca. 100 solche ins alte 3er-Lager zum Aufpäppeln. Bessere Suppe, 700 Gramm Brot und den ganzen Tag auf der faulen Haut auf der Holzpritsche liegen. Da wurde ich wirklich so faul, gerade daß ich halt noch selber auf die Latrine ging. Das Essen und Brot brachte mir ein Kamerad zur Pritsche. Ich erkannte aber bald, daß es äußerst gefährlich ist, sich einfach hinlegen, man wird dabei ganz interesselos und dabei immer noch fauler. Ich kam bei der nächsten Kommissionierung auf 75 % und kam dann zu einem Trupp, der nach Sibirien bestimmt war. Wir wurden von mehreren Lagern ausgesucht und im Einser-Lager gesammelt und in Viehwaggons mit Pritschen verladen. Es waren ca. 100 Mann. Die Russen wollten uns einreden: "Ihr fahrt nach Hause!". Es ging Richtung Kirow und dann Richtung Osten. Es wurden die Waggontore nur nachts bei Finsternis zum Essensempfangen geöffnet. Es gab nur einmal Essen, und das immer bei Nacht. Die Fahrt nach Osten dauerte acht oder zehn Tage. Auf dem Bahnhof Swertlofsk standen wir eine ganze Nacht. Die Lokführer unterhielten sich mit Pfeifsignalen die ganze Nacht hindurch. Als wir in der Früh merkten, daß die Lok jetzt hinten angespannt war, wußten wir überhaupt nicht mehr, wohin die Reise geht. Die Posten wußten es auch nicht. Die Fahrt dauerte wieder an die 10 Tage, dann standen wir wieder im Bahnhof Kirow. Weiter ging es wieder nach Norden in den Kaiski Reion, ins Einser-Lager. Da mußten wir wieder aussteigen, antreten und nach der Zählung weitermarschieren, am Zweier-Lager vorbei wieder ins Dreier-Lager, wo wir vor ungefähr 20 Tagen weggingen. Alles schrie und fluchte nach Essen, denn die letzte Nacht bekamen wir im Waggon nichts mehr, weil wir in der Früh schon im Lager Essen bekommen sollten und dann der ca. 8-10 km Marsch. Man konnte dazu wieder einmal sagen: "Das war echt russisch!".

Am anderen Tag hieß es antreten. Die Russen stellten aus uns wieder 2 Waldbrigaden zusammen. Einige blieben aus Schwäche oder Krankheit wieder in der Schlappkommandobrigade, und wir mußten wieder im Wald die Norm machen. Es waren wieder 2 rm. Es war jetzt die Strecke, die man nur zu Fuß machen mußte, es war nur einige Kilometer entfernt, außerdem war das Holz etwas schöner, etwas gleichmäßiger groß. Ein Stück seitwärts war sogar ein grüner, nicht abgebrannter Wald.

Wir gingen da nahe 2 Monate als Holzfäller in den Wald, dann suchte ein großer breitschultriger Russe Spezialisten zum Holzschienen legen. Es hätten sich sehr viele gemeldet, da die meisten vermuteten, diese Arbeit wird leichter. Es war auch weitaus leichter, aber der Russe hat sich nur 20 Mann genommen und da war ich halt wieder unter den Glücklichen. Dieses Holzschienenlegen war eine leichte, aber eine sehr genaue Millimeterarbeit und eben solche Arbeiten zählen bei den Russen besonders. Man bekam leicht und oft 200%-ige Norm geschrieben. Noch dazu war der Russe ein sehr gutmütiger Mensch. Er hat uns diese Arbeit mit einer Seelenruhe und Gemütlichkeit erklärt und vorgemacht, daß es für uns eine Leichtigkeit wurde, hier ein Wegmacher (Taroschniki) zu werden. Die Stangen, die zu Schienen wurden, mußten wir aus dem grünen Wald holen. Den Knüppeldamm konnte man aus den nebenan umherliegenden oder oft schon gestapelten Holz nehmen. Die Stangen wurden immer zwei gleichlange und gleichdicke, mit Holznägel auf den Knüppeldamm mit Holznägel niedergenagelt. Es war für uns eine neue Wissenschaft, wie raffiniert da die Weichen eingebaut wurden. Und dann die Spezial-Wägen, die auf den Holzschienen rollten, mit nur einem Pferd vorgespannt. Diese Fuhrleute nannte man "Woschtschiki". Das waren fast alle Kriegsgefangene. Einer von denen war aus St. Konrad bei Gmunden, Schögl Franz. Er hatte auch riesiges Glück bei der Gefangennahme. Einen Durchschuß am Kiefer, Kieferzertrümmerung, beiderseits 4 Zähne, also 8 Zähne weg. Er hätte nichts essen könne, nur trinken. In dem ersten Gefangenenlager, wo er von russischen Krankenschwestern behandelt wurde, hatte eine solche Krankenschwester einen zerrissenen, weißen Mantel an. Er bat sie, sie soll ihm den Mantel geben, er sei Schneider Spezialist und hat ihr eine Nadel und Zwirn gezeigt. Sie gab ihm den Mantel, er hat ihn so schön geflickt, daß sie das Loch, besser gesagt die Flickstelle, nicht mehr fand und hat dann den guten Franz solang mit Milch versorgt, bis die Wunden verheilt waren. Das war der Schneidermeister von St. Konrad bei Gmunden.

Nun eine kleine Erklärung zu diesen Spezialwägen. Die beiden Fahrgestelle hatten Räder wie eine Autofelge ohne Reifen. Die liefen auf den Holzschienen bewundernswert schön und ruhig. Auf dem Fahrgestell hinten und vorne ein Sattel, der nur mit einem Reibnagel verbunden war. Die Verbindung vom Hintersattel zum Vordersattel waren zwei starke Stangen, ca. 3 m lang, die fest mit den beiden Sätteln verzapft waren. Damit eben die Ladefläche stabil wie eine Brücke sei. Dann wieder hinten und vorne zwei Rungen, ca. 1,5 m hoch. Da wurden bis zu 6 rm Holz geladen, für nur ein Pferd. Nun das Interessanteste von diesen Wagen. Wie schon gesagt waren die beiden Sättel hinten und vorne nur mit einem Reibnagel zum Fahrgestell verbunden. Denn es waren in den Holzschienen viele Kurven eingebaut, da hätten sich die Räder aus den Schienen gebissen. Staunenswert wie da die Russen Abhilfe schafften. Es wurden von den beiden Fahrgestellen Drähte oder Ketten gespannt und zwar übers Kreuz. Das hatte bewirkt, wenn die Kurve nach links ging, daß das Pferd, das mit seinen Ansenstangen starr mit dem Vordergestell verbunden war, das Vordergestell eben nach links zog. Da die Drähte oder Ketten übers Kreuz nach hinten gingen, hat sich das Hintergestell in die entgegengesetzte Seite eingeschlagen und so gab es auf den Holzschienen keine Reibung, wie raffiniert.

Zum Bewundern waren auch die Pferde, die waren ein gesunder, harter, zäher aber gutmütiger Schlag. Ein Zwischenschlag von Noriker und Haflinger. Bei der Fütterung waren sie überhaupt nicht empfindlich. Im Sommer war es kein Problem, aber im Winter oft bei 40°C minus. Die Pferde wurden oft einfach freigelassen und die kratzten den Schnee von den Baumstämmen, denn um die Stämme war immer etwas zu finden. Und wenn sie nur die Rinde vom Baum scharrten, sie hatten wieder etwas im Magen. Es bekam auch jedes Pferd eine gewisse Menge Hafer jeden Tag. Oft haben die Woschtschiki, die Fuhrleute, einen solchen Hafer mit auf die Baracke genommen und haben die Körner auf den heißen Ofen gelegt, welcher meistens ein Benzinfaß war. Da sprangen die Körner aus der Hülse und so wurden die armen Pferde um ihren hart verdienten Hafer bestohlen.

Im 4er-Lager mußte jeder Gefangene ein Bündel grüne Birkenzweige mit ins Lager nehmen. Die sind dort in die ca. 1m tiefe Grube siliert worden. Das war im Winter ein herrliches Fressen für die Pferde. Die Birken gingen im Kahlschlag hinter uns in rauher Menge von selber auf.

Im Jahr 1944 im Sommer kam einmal ein Transport mit ca. 20 belgischen Pferden, die waren riesengroß und schwer. Die Schwänze hatten sie ganz kurz geschnitten. Die hielten nicht einmal ein Jahr durch, waren alle erledigt. Sie wurden alle auf den Beinen fertig, denn ständig über den Knüppeldamm steigen, hielten sie nicht durch. Es mußten wieder die russischen Mulis her.

Ende Juli 1944 gab es wie alle Monate wieder Kommission, die Schlappkommando gestellt wurden, blieben alle im Lager 3. Alle anderen mußten ca. 15 km ins Lager 4 marschieren. Es gab da wieder 21 Tage Quarantäne. Wieder standen deutsche Gefangene unter dem Eingangstor und fragten, wo wir herkommen. Wieder fragte einer, ob ein Österreicher dabei sei. Selbstverständlich meldet man sich, wenn man soweit der Heimat entfernt ist und es fragt einer nach Österreicher. Er begrüßte mich. Ich erklärte ihm, ich sei Oberösterreicher aus Frankenburg. Darauf sagte er mir mit Freude: "Mensch, ich bin in Frankenburg vor dem Krieg Autobuschauffeur gewesen! Ich hab' beim Herrn Frik Schmied gewohnt." Und so erzählte er mir verschiedenes aus meinem Heimatort Frankenburg, was mich sicher freute. Er erklärte mir, "Ihr kommt jetzt in die Quarantäne-Baracke auf 21 Tage, dann in die Arbeitsbrigaden. Ich komme heute oder morgen zu dir in die Baracke, daß wir uns weiter unterhalten können". Er kam und wir haben uns auch weiter unterhalten und er sagte mir auch, daß die Russen alles, was überzählig ist, wegnehmen. Es darf jeder Gefangene nur ein Hemd, eine Unterhose, eine Arbeitshose, eine Bluse, eine Kopfbedeckung, ein Paar Schuhe, ein Paar Socken oder Fußlappen, ein Eßgeschirr mit Löffel aber ja kein Messer haben. "Wenn du etwas anderes hast, Bleistift, Füllfeder, Kugelschreiber, Feuerzeug, Feuersteine,..., wenn du willst, verkaufe ich es dir an die Zivilisten. Ich bin schon in einer Arbeitsbrigade. Da kann man oft die Sachen gut verkaufen." Ich konnte ihm nicht viel geben, denn wir sind ja im Lager Bestragi bis auf die nackte Haut ausgezogen worden und den schönen Flakanzug, den hat mir ein Koch im Lager 101 betrügerisch abgenommen. Ich gab ihm einige Sachen, die ich mir im Laufe der vergangenen Jahre von Kameraden eingetauscht hatte. Von Zivilrussen hatte ich ein Klappmesser. Wieviel ich ihm gegeben habe, weiß ich nicht genau, aber einige Sachen, denn der Hunger war wieder groß. Und bevor ich es mir von den Russen abnehmen lasse, ist es doch besser, ich krieg' ein Stück Brot oder ein paar Bündel Zwiebel oder etwas Salz. Salz war ja fast nicht zu kriegen, weil die Russen selbst oft monatelang selbst keines hatten. Auch die Gefangenenküche hatte sehr wenig, daher das häufige Skorbut (lockere Zähne) unter den Gefangenen. So hoffte ich auf eine kleine Aufbesserung. Als er am Abend vom Wald zurückkam, berichtete er mir, die Russenposten haben ihn beim Tauschen mit den Zivilisten erwischt und haben ihm alles abgenommen. Na, haben wir halt ein Pech gehabt, wenn ich es vielleicht sowieso losgeworden wäre, ist es ja egal, jetzt oder später.

So und jetzt wieder das Gruselige:

Am anderen Tag, abends nach der Arbeit, kam ein anderer Kamerad, der in der gleichen Brigade war, zu mir und berichtete mir, daß der die Sachen den Zivilisten verkauft hat. Er habe es gesehen. "Er hat dich um deine Sachen betrogen.". Was kann ich jetzt machen, spekulierten wir beide. Das beste wäre, ihn anständig verprügeln. Aber bei solchen Fällen sind meistens beide in den Karzer gekommen. Karzer ist eine Grube in der Erde mit Holzbalken abgedeckt, einen halben Liter Wasser, 200 Gramm Brot pro Tag und bei Tag wieder mit der Brigade in den Wald gehen, Norm machen. Das war für die meisten, die da hinein mußten, nach acht bis 14 Tagen der sichere Tod. Und so hab' ich mich halt wieder mit meinem Schicksal abgefunden. Der Name des Betrügers ist Hubert Lechle aus Bad Ischl. Man soll es nicht für möglich halten, daß man in einer solchen Situation, wo doch alle an einem Strang ziehen und ums Überleben kämpfen, solche Betrügereien machen kann. Aber mir haben schon sehr viele Ischler bestätigt, daß dieser Lechle zu solchen Taten fähig ist.

Nach den 21 Tagen Quarantäne ging ich wieder in eine Holzfällerbrigade in den Wald Holzschneiden. Da die meisten diese Arbeit und das Werkzeug schon kannten, hatten wir keine Angst. Der Weg war auch nicht weit zu gehen. Aber die Vorarbeiter und die Natschallniks waren uns alle neu. Die Vorarbeiter waren lauter Wolgadeutsche Mädchen. Sie wurden alle anfangs des Krieges von den Wolgadeutschen Gebiet Saratov zwangsverschleppt. Ihnen wurde gesagt, sie brauchen nur einige Wochen oder Monate Arbeitsdienst machen und können dann wieder heim.

Diese Mädchen waren im Alter zwischen 15 und 25 Jahren. Sie hatten ein eigenes Lager. Es waren einige 100 Mädchen. Ihnen wurden auch die Haare ganz kurz geschnitten und sie hatten dieselbe Arbeitskleidung wie wir Kriegsgefangene. Man kannte sie nur, daß sie weiblich sind, wenn eine noch ein bißchen Brust hatte. Sie sprachen alle ein sehr reines Deutsch. Die besten Holzarbeiterinnen aus ihrem Lager kamen zu uns Kriegsgefangenen als Vorarbeiterinnen (Dessertnik). Es hatte jede einige Brigaden zur Aufsicht, Einteilung und am Abend das gemachte Holz messen und in die Arbeitsliste eintragen.

Als wir den ersten Tag in den Wald gingen mit einer Einmannsäge und Hacke, merkte ich, daß unser Dessertnik ein ausgesprochen liebes, nettes, deutschfreundliches Mädchen ist. Als sie anfing, jedem seinen Arbeitsplatz zuzuteilen, war ich einer der ersten, der den Platz zugewiesen bekam. Ich habe dem Mädchen erklärt, ich hätte keine Ahnung, aber Angst vor solcher Waldarbeit. Sie sagte zu mir: "Setz' dich einstweilen dahin, wenn ich alle eingeteilt habe, komm' ich zurück und zeig' dir, wie du es machen mußt!". So ging sie mit allen anderen, jedem seinen Platz zuzuweisen. Da sie 3 Brigaden unter sich hatte, es waren über 60 Mann, kam sie tief in den Wald hinein, bis sie den letzten Platz eingeteilt hatte. Es dauerte einige Stunden, bis sie wieder bei mir ankam. Sie staunte mich an, was da geschehen war. Ich hatte ihr erklärt, ich hätte keine Ahnung, aber Angst vor der Waldarbeit und jetzt habe ich soviel schon gefällt und geschnitten. "Wie hast du denn das gemacht?". Ich erzählte ihr dann, daß ich im 1er-Lager und im 3er-Lager schon in den Rekordbrigaden war und daß ich von zuhause aus die Waldarbeit schon kenne, da wir zuhause einen eigenen Wald haben. Sie wollte mich sofort zum Brigadier machen, was ich aber nicht und nie wollte. Ich habe ihr erklärt, ich mache lieber meine Norm oder Rekord und habe dann meine Ruhe. Sie sah das ein und gab mir Recht und so waren wir vom ersten Tag an gut befreundet. Wenn ich mit meiner Norm , meistens war es Rekord, fertig war, machte ich mir ein Feuer, und wenn sie ein bißchen Zeit hatte, saß sie schon bei mir am Feuer. Was sie mir da alles erzählt hat, was die Russen mit den Wolgadeutschen Mädchen alles gemacht haben und noch machen, ist himmelschreiend. Sie müssen sich hingeben, ob sie wollen oder nicht. Wehe die nicht willig ist, die geht im Wald zugrunde.

Die Wachposten wurden aufmerksam, daß die Nina des öfteren bei mir am Feuer sitzt. Sie sagte mir, sie müßte jetzt sehr vorsichtig sein, denn die Russen sind unberechenbar, wenn sie eifersüchtig sind.

Nun zu den Fußmärschen von Lager zu Lager. Man sah niemand gehen oder fahren oder arbeiten. Man sah nur an jenen Stellen, die übers Gelände übersichtlich waren einen oder zwei Posten bei einem Feuer sitzen, die Gewehre zwischen den Füßen. Die haben die ganz Gegend bewacht. Da kam einem immer zu Bewußtsein, daß wir in einem richtigen Verbannungsgebiet sind. Aus diesem Gebiet zu flüchten, wäre zu 99 Prozent Selbstmord gewesen.

In diesem 4er-Lager waren an die 2000 Gefangene, also dementsprechend viel Werkzeug und dementsprechend viel Bruch an den Einmannsägen und Hackenstielen (Beilstiele) jeden Tag. Sodaß dort in dieser Werkstatt einige Gefangene beschäftigt waren mit Sägen feilen, Sägengestell reparieren, Beilstiele einsetzten, Beile schleifen usw.

Wir waren dort mehrere Rekordisten, einige zu nennen: Bruckmüller Otto aus Haslach, Wohlmuth Georg aus Niederösterreich, Moser Hans aus Bad Aussee, Kametmüller Hans aus Lenzing, Schmid Sepp aus Sigharting aus Schärding. Es waren 8 oder 10 Österreicher, einige Rumänen und einige Deutsche. Wir konnten schon ohne Konvoi, das heißt ohne Posten, in den Wald und wieder zurück ins Lager gehen. So hatte ich öfter Gelegenheit, mein Werkzeug selber in der Werkstatt zu schärfen und zu reparieren. Da dort mehrere Gefangene schon als Instrumentaltschiki (Werkzeugmacher) arbeiteten: Ohlinger Lois aus Steyrermühl, Frühwirt Sepp aus dem Mühlviertel, Maier Hugo aus Graz, Horst, ein Deutscher, Deimann Willi, auch ein Deutscher, der hat sogar die Feilen ausgehauen.

Kamerad Maier Hugo fragte mich, ob ich nicht auch in der Instrumentaltschiki mithelfen möchte, denn er hatte mich beim Sägefeilen und beim Beilstieleinsetzen beobachtet. Nachdem ich ja wieder einige Monate harte Waldarbeit hinter mir hatte und an mir selber wieder Abmagerung und Schwäche verspürte (am ersten merkte ich es immer, wenn mir schwarz vor den Augen wurde), sagte ich ihm, daß ich Interesse hätte an dieser Arbeit. Er veranlaßte sofort, daß ich von der Waldbrigade in die Lagerbrigade überstellt werde und nun begann für mich die schönste Zeit meiner Gefangenschaft. Wir mußten bei Nacht Sägen feilen, Beile schleifen, gebrochene Stiele einsetzen, Sägebogen reparieren, weil ja das Werkzeug bei Tag im Wald ist, konnte man nur nachts arbeiten. Zwei Sägefeiler, Ohrlinger Lois aus Steyrermühl und Frühwirt Sepp aus dem Mühlviertel, gingen mit in den Wald, um dort an Ort und Stelle die Sägen zu feilen, wenn eine nicht richtig scharf und schief ins Holz ging. Die hatten immer sehr viel zu tun, denn wenn da ungefähr tausend Sägen in Betrieb sind, gab es immer mehr als genug Arbeit.

Die Zeit zum Schlafen wurde für mich eigentlich weniger, denn wir mußten fast immer die ganze Nacht durcharbeiten. Dann den ganzen Werkzeug aus der Werkstatt hinaustragen und an den numerierten Pflock stellen. Es hatte jede Brigade ihre Nummer und so bekam jede Brigade ihr eigenes Werkzeug. Wir konnten nach dem Ausmarsch schlafengehen, das war meistens 7 bis 8 Uhr. Wir konnten auch ins Bad gehen, denn bei Tag waren höchstens einige Russen da. Einmal ging ich auch ahnungslos ins Bad hinein. Ich traute momentan meinen Augen nicht. Ich stand da mitten unter 10 nackten Frauen. Ich wollte sofort wieder abhauen, aber da sie mich dann für einen Feigling hielten, habe ich halt auch meine Klamotten ausgezogen, nahm mir einen Kübel Wasser, stellte mich in ein Eck, schnell war ich fertig und ging wieder. Die Weiber, die wahrscheinlich frisch verurteilte waren, weil sie alle noch lange Haare hatten, wollten mich zurückhalten. Da man als so ein ausgehungerter und ausgemergelter Kriegsgefangener absolut kein Bedürfnis zum Blödeln hat, ging ich in die Baracke.

Am Nachmittag mußten wir um ca. 5 Uhr wieder hinaus in die Werkstatt, da um diese Zeit die ersten Brigaden wieder zurückkommen. Das waren die 50 %-igen, die hatten nur die halbe Norm zu machen. So mußten wir das Werkzeug jeder Brigade wieder in die Werkstatt tragen, sofort anfangen zu feilen, zu schleifen und zu reparieren. Wir waren da 4 Mann Gefangene und 4 Russen und 1 Natschalnik, der hieß Stanislaus Aniezki. Er war ein ganz feuriger Russe, ein sehr strammer, fescher Mann. Er war nie böse auf uns Gefangene, aber er verlangte eine saubere Arbeit. Wir wunderten uns immer, daß er nicht bei der roten Armee ist. Der Sascha, der im 1er-Lager schon in der Instrumentaltschiki war, erzählte uns, dieser Aniezki hat noch 2 Brüder. Alle 3 Brüder sind zu 30 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, der Älteste sogar zu 40 Jahren. Alle 3 waren in irgendeinem Lager in der Werkstatt Natschallnik, denn sie waren Faßbinder und Tischler. Was sie ausgefressen hatten für so ein hartes Urteil, erfuhren wir nie. Den Ältesten lernten wir im Lager Korelniki kennen. Der war dort in der Instrumentalka.

Der Nebenraum dieser Werkstatt im Lager 4 war eine Bäckerei. Es war nur eine Holzwand dazwischen. Da sah ich, wie ein Rumäne den Bäckermännern öfters einen Besen aus Birkenreisig brachte. Nur einmal rund gebunden und der Konrad, oder der Karl brachten ihm jedesmal ein Stück Brot, größer als unsere Tagesration. Da ich an der Sprache vermutete, daß sie beide Wiener sind, hab' ich mir gedacht: "Ihr Wiener Wascheln könntet dieses Brot auch einem Österreicher überlassen!". So hab' ich einen Besen auch aus Birkenreisig gebunden, aber schön dreifach, wie wir es zuhause gebunden haben. Und mit diesem Besen kehrte ich vor der Werkstatt und vielleicht sogar ein bißchen hinüber zur Bäckerei.

Als mich der Konrad erblickte mit dem Besen fragte er mich sofort: "Herst, wo hast du den Besen her?". Und das war das, auf das ich gewartet habe. "Den hab' ich mir selber gebunden!", sagte ich ihm. "Herst, kannst für uns auch so etwas binden?", fragte er. "Na selbstverständlich kann ich das!", und gab ihm gleich den Besen in die Hand. Er brachte mir gleich ein Stück Brot. Wir hatten vorher nie ein Wort miteinander geredet. Da aber der russische Bäckernatschallnik selbst mit mir redete, und sah, daß ich ein Österreicher (Austrizki) war, getrauten sich die beiden Wiener auch öfters zu uns in die Werkstatt zu kommen. Ich mußte noch öfters einen Besen für die Bäckerei und auch für den Russen machen. Der Konrad sagte dann sehr bald zu mir: "Du brauchst uns eigentlich keinen Besen mehr zu binden. Euch können wir das Brot auf andere Weise auch geben. Da zwischen Werkstatt und Bäckerei nur eine Holzwand ist, könnt' ihr uns nachts je nach Verlangen um halb Eins oder eins oder Halb Zwei wecken." . Denn sie müssen zu dieser Zeit in der Bäckerei die Arbeit anfangen. "Ihr arbeitet sowieso die ganze Nacht durch, da wär' es leicht möglich.". In der Bäckerei war nachts kein Russe da und bei uns war auch zu dieser Zeit kein Russe mehr da. Wir haben unter der Holzwand in der Erde, es war kein Fundament, ein Loch durchgemacht und wenn wir um die genannte Zeit an der Holzwand klopften, kam unten beim Loch ein Stück Brot an. Und das war oft ein ganzer Bohanki, ca. 1,5 kg. Was das für einen hungrigen Gefangenen ist, kann sich wohl jeder, der das liest, selber ausmalen.

Es dauerte nicht ganz ein halbes Jahr, sagte der Karl einmal zu mir wie ich in der Bäckerei drüben stand. Er hatte gerade mit der Waage Mehl gewogen. "Wie schwer bist denn du?". Ich sagte: "Um die 60 Kilo werde ich schon haben.". Denn ich kannte selber, daß ich um ziemliches schwerer geworden bin. Ich hatte nur zwischen 40 und 50 Kilogramm gewogen als ich wieder in die Werkstatt kam. So stellte der Karl 60 kg auf die Waage. Die Waage rührte sich nicht. Er stellte 10 kg dazu, rührte sich noch nicht. Er stellte nochmals 10 kg dazu und nochmals 20 dag, dann stimmte es. Ich konnte es nicht glauben, daß mir die Bäcker in einem halben Jahr fast 40 kg hinaufgefüttert hatten. Sicher haben wir Instrumentaltschiki immer mehr und auch fettigere Suppe und Kascha bekommen, denn wir mußten auch für die Küche öfters etwas machen. Ich hab' mir selber einmal einen Holzeimer gemacht. Mit dem sind wir in die Küche gleich für 4 Gefangene Suppe und Kascha holen gegangen. Als der Koch den neuen Holzeimer sah, mußte ich für die Küche auch so einen machen. Daß dann im Eimer oft das Doppelte und Dreifache drinnen war, war fast selbstverständlich. Ich traute mir fast nicht mehr ins Lager hineingehen, denn alle sagten zu mir: "Was hast denn du zum Essen? Du schaust so gut aus?".

Da ich Gelegenheit hatte, ein bißchen zu spenglern, habe ich öfters für Kameraden Eßgeschirre aus Konservendosen gemacht. Einmal hab' ich vor einer Russenbude ein Ofenrohr gestohlen und Kochgeschirre gemacht. Der Ohrlinger Lois hat die Kochgeschirre, die er für Kameraden oder auch für Russen gemacht hat, sogar verzinkt. Er war ja gelernter Spengler.

Da ich in der Werkstatt keinen richtigen Draht zum Einberteln am oberen Rand gefunden habe, kam mir der Gedanke, die Telefonistin, die Frieda, auch eine Wolgadeutsche, die geht oft an unserer Werkstatt vorbei, die werde ich fragen, die als Telefonistin viel und oft mit Draht zutun hat, wird sicher einen haben. Frech und leichtsinnig hab ich sie angehalten, als sie wieder bei uns vorbei ging. Als ich mich eine Weile mit dieser Frieda unterhielt und ihr erklärte, daß ich aus Konservendosen Kochgeschirre für meine Kameraden mache und einen Draht zum Einberteln brauchen würde, hat uns der Lagerleutnant, der Höchstrangige im Lager erblickt. Er hatte am oberen Ende außerhalb des Lagerzaunes ein Quartier. Er kam fast im Laufschritt herunter. Die Frieda ist gleich davongelaufen. Die hatte gewußt, was da jetzt kommt. Der Russe fing mit mir zu schreien und zu schimpfen an, auf russisch, ich habe aber schon so viel russisch gekonnt, daß ich alles verstand. Wenn ich es in kurzem Umriß in Deutsch umsetze: "Du deutscher Hund. Wenn er dir vielleicht wiedersteht, dann gehst du morgen wieder in Wald, dann wird er bald wieder hinunterhängen." Da er aber in den nächsten 10 oder 12 Tagen keinen gefunden hat, der meine Arbeit in der Werkstatt machen hätte können, denn der Natschalnik von unserer Werkstatt, Aniezki, hat mich nicht weglassen, bis er nicht einen Ersatz für mich bringt und diesen Zeitraum habe ich ausgenutzt diesen Leutnant Petku, hieß er, wieder auf meine Seite zu bringen. Er wohnte mit seiner Frau armselig in einem aus "Bahnschwöllern" gezimmerten Raum, Bahnschwöller lang, Bahnschwöller breit, Bahnschwöller hoch, auch mit Bahnschwöller abgedeckt. Seine Frau trug am einen Umhangtuch immer ein ca. 3 Monate altes Kind bei sich, wenn man sie gehen sah. und da kam mir der rettende Gedanke: "Dieser Frau mache ich schnell einen Kinderwagen!". Da die Werkstatt außerhalb des Lagers war und ich beim Wachtor freien Aus- und Eingang hatte, konnte ich nachts und tagsüber durchgehen, wann ich wollte. Und so konnte ich jeden Moment, wenn die Luft rein war, ausnützen und an meinem Vorhaben arbeiten. Einen Rumänen hab' ich beauftragt, daß er mir einen dazupassenden Korb flechtet, den hab' ich in 3 Tagen gehabt. Ich konnte den Rumänen mit Brot zahlen, davon hatte ich genug. Ein Problem waren die Räder und die Federung. Ich hatte öfters in der Schmiede zutun. Da wußte ich, wo ich das passende Material finde. In dieser Schmiede hat mir einmal ein Russe gezeigt, wie man Hufeisen oder Ackereisen härtet. Zu dieser Schmiede bin ich bei Nacht hinübergerannt und hab auch das passende Material gefunden. Jetzt die Federung. Da habe ich einfach eine Zugsäge aus unserer Werkstatt genommen und mit einer Art Trennscheibe der Länge nach auseinandergeschnitten, im Ofen heißgemacht und in beiden Enden eingedreht, ein Loch gestanzt, damit ich die Achsen befestigen konnte. Jetzt das Problem: "Wo nehme ich den Stoff für einen Polster her?". Auch das ist mir prächtig gelungen. Ich habe im Bekleidungsmagazin eingebrochen. Auch da war ich ein bißchen kundig, wie das Vorhängeschloß zu öffnen ist, ohne daß man es ruiniert. Das wußte ich von einem Russen, der auch in unserer Werkstatt als Sägefeiler arbeitete, Krischa hieß er. Und so kam ich zu ausreichendem Stoff, der lauter Fußfetzenstoff war. Aber ein sehr guter, weicher, schmiegsamer, genau passend für Babypolster und Tuchent. Der Schögl Franz hat mir den Tuchent und den Kopfpolster zusammengenäht und so habe ich den Kinderwagen noch rechtzeitig fertiggebracht. Schwierig war für mich, daß ich alles immer verstecken mußte und ganz verstohlen arbeiten mußte.

Als nun der Wagen fertig war, tauchten für mich erst richtige Sorgen auf. Wie werde ich dem Russen den Kinderwagen übergeben können? Wenn ich ihn im vorbeigehen überreichen werde, wird er ihn mir vielleicht nachwerfen. Am besten ist es vielleicht, wenn ich direkt in seine Bahnschwöllerwohnung hinfahre, wenn seine Frau auch mit dem Kind drinnen ist. Sie wird vielleicht schneller Verständnis haben, und so wartete ich den richtigen Moment ab. Dann fuhr ich schnell los. Es war schon ziemlich dunkel. Ich stand vor dem primitiven Eingang. Mein Herz schlug vor Angst, daß ich es direkt spürte. "Was wird er jetzt mit mir machen? Wird er mich erschießen oder mich erschlagen oder fortjagen?" So klopfte ich an. Jetzt schreibe ich alles, was ich mit den Russen geredet habe und der Russe mit mir in deutscher Sprache, denn ich konnte schon soviel russisch. "Wer ist draußen?" Ich öffnete die Tür. "Bitte darf ich eintreten?" Ich trat ein, zog den Kinderwagen hinter mir nach, machte die Tür wieder zu und fragte dann, nachdem ich den beiden so ängstlich in die Augen geschaut hatte: "Bitte darf ich das Kind berühren?". Der Russe schaut seine Frau an, schaut mich an und sagt schon beruhigt aussehend: "Bitte!". Ich nahm das Kind, das auf der Pritsche lag, wo sie selber auch schlafen mußten, legte es in den Kinderwagen, deckte es mit den Polster zu und fuhr ein bißchen hin und her. Der Russe stand auf, schaute in den Wagen, schaute seine Frau an, schaute mich an, klopfte mir mit der Hand auf die Schulter und sagte: "Strammer Junge!". Dann war mein Stein vom Herzen gefallen. Ich konnte sehen, ich habe gewonnen. Ich werde meinen Arbeitsplatz erhalten. Der Russe fragte seine Frau, was sie für mich zum Essen dahat. Sie sagte: "Ein Ei und ein paar Kartoffel." Das mußte sie mir sofort kochen. Während sie kochte fragte er mich, wie ich das alles zustande gebrachte habe. Ich dachte sofort, jetzt darfst du nicht lügen. Jetzt mußt du sagen, wie es wirklich ist. Am anderen Tag mußte ich ihm zeigen, wie ich das vorhangschloß am Magazineingang öffnete. Nachdem ich das Ei und die Kartoffel gegessen hatte, sagte er zu mir, daß ich öfters zu ihnen kommen soll, sie werden öfter etwas für mich übrig haben. Ich erklärte ihm gleich, daß ich keinen Hunger mehr habe, denn ich hab' für die Küche einen Holzeimer gemacht, dafür bekomme ich jeden Tag Nachschlag. Ich hätte ja zu dieser Zeit den Russen etwas überlassen können.

Dieser Leutnant Petku kam öfters zu mir in die Werkstatt. Ich mußte ihm alles vom Kampf im Vormarsch und in Stalingad erzählen. Denn er war nie an der Front. Sascha sagte einmal zu mir: "Er ist auch ein Eingesperrter (Sakritschuri)." Sascha sagte auch: "Jeder Russe oder Russin, die in diesem Gebiet (Reion) sind, sind alle Strafgefangene oder Zwangsverschleppte. Die meisten kommen da überhaupt nicht mehr hinaus, auch wenn die Strafzeit schon vorbei ist. Sie können zwar in diesem Reion frei umhergehen, aber nicht weiter. Darum diese Wachposten auf freier Flur."

Es ist eine Zeit später ein weiterer Spezialist für die Instrumentalka gesucht worden, da wir mit dem Axtstiele machen nicht mehr nachkamen. Es wurde ein Tischlermeister aus Niederösterreich gefunden, der vom Axtstiele machen eine Ahnung hatte. Ich mußte mit ihm in den Wald gehen, eine passende Birke schlägern. Die waren ja alle dürr vom Waldbrand her. Wir mußten 75 cm lange Stücke herausschneiden, in die passende Größe spalten und an Ort und Stelle aushaken, auf einem Bündelbinden heimtragen, ca. 3 km. Die Norm war bei dieser Arbeit 70 Stück. So mußten wir in einem Zeitraum von 10 Tagen 2 oder 3 Mal gehen. Wir gingen immer ohne Posten. Vom Lager ging es erst ca. einen Kilometer etwas bergab, dann war ein kleiner Wassergraben, dann ging es wieder leicht bergauf, einen schwachen Kilometer. Dann ging der Wald an. In dem Stück, wo es nach dem Wassergraben bergauf ging, war neben dem Weg ein Kartoffelfeld. Es waren sehr schöne Stauden und auch die Kartoffeln waren sehr schön. Wir hatten uns beim Vorbeigehen öfters einige mit der Hand ausgebuddelt und mit nach Hause genommen, oder gleich roh verzehrt. Und wie es halt einmal sein mußte, man wird bei solchen Sachen immer frecher. Mein Kamerad sagte einmal zu mir: "Wie wär's, wenn ich deine Stiele auch aushacken würde und du zurückgehen würdest und ins Kartoffelfeld hineinschleichen, die Hose unten zubinden, die Hosentaschen und Rocktaschen anfüllen würdest? Das wäre doch eine leichte Sache." Gesagt, getan. Ich half ihm noch schnell beim Birkenfällen, Ausschneiden und Spalten. Dann ging ich los. Bevor ich aus dem Wald kam, habe ich mir meinen Hosenriemen um die Brust gebunden, steckte rundherum grüne Stauden hinter den Riemen. So sah ich aus wie eine grüne Staude. So kroch ich am Boden in den Kartoffelacker hinein. Schnell hatte ich alle Taschen und die Hosen, die unten zugebunden waren, voll. Ich hatte mir ein passendes Stück Holz mitgenommen, damit ich nicht mit den Fingern in der Erde wühlen mußte und ich mußte ständig ganz am Boden liegend arbeiten, denn vom Lager her war der Acker sehr schön einzusehen. Die Fenster vom Wachhäusl, wo ständig ein Posten drin war, war genau in Richtung zum Acker. Als ich alles voll hatte, kroch ich mit meiner Beute wieder ganz am Boden liegend zurück in den Wald. Ich war kaum im Wald, noch am Boden liegend, hörte ich eine laute Stimme: "Stoi Pann!". Das heißt: "Halt Mann!". Ich traute mich fast nicht mehr schnaufen und rühren. Ich wartete eine lange Weile. Es rührte sich nichts mehr. Ich wagte mich mit dem Kopf etwas in die Höhe, um ein bißchen umherzuschauen, was denn das überhaupt gewesen sein kann. Vielleicht arbeitet jemand in der Nähe. Ich sah nichts und niemanden. Dann dachte ich, vielleicht habe ich geträumt. Es nützt ja sowieso nichts mehr. Ich kann doch da nicht liegenbleiben, ich muß mich jetzt schon hinwagen. So kroch ich mitsamt der Beute weiter. Aufeinmal wieder ein Schrei: "Stoi Pan, Pan idi suda!". Das heißt: "Halt an, Mann komm her!". Jetzt sah ich, daß es kein Traum war, sondern traurige Wirklichkeit. Ich sah mich jetzt um, wer denn da überhaupt ist. Als ich endlich einen Russen sah, der auch hinter einem Gebüsch saß und sich auch nicht in die Höhe traute, war mir klar, der hätte dasselbe Vorhaben wie ich. Der will ja auch nur Kartoffelstehlen. Der hat halt auch Hunger wie soviele andere Russen auch. Wahrscheinlich ist er aus dem Lager, wo nur verurteilte Russen sind. Sollte er mit mir etwas Handgreifliches vorhaben, ich wäre auf das Schlimmste gefaßt, und auch gerüstet, denn ich hatte wieder ein Messer bei mir. Ein feststehendes Messer, das hab ich dem Kameraden Gruber Anton aus Ungenach abgekauft. Der war sehr oft krankgeschrieben und hat die Zeit ausgenutz,t aus abgebrochenen Sägeblättern Messer für die Kameraden zu machen. Als ich wieder weiterkriechen wollte, hörte ich, wie er seinem Komplizen schrie: "Petro idi suda!", und wie ich dann beide Russen sah, war mir klar, da werde ich jetzt kapitulieren müssen. Mit einem Russen hätte ich jeden Kampf aufgenommen, aber mit zwei wäre es bestimmt Selbstmord. Die beiden krochen her zu mir und sagten, sie gehen mit mir zum Wachtior. Ich sagte: "Bitte gehen wir!" Da sie sich auch nicht aufstehen trauten, war mir klar, daß sie verurteilte Russen waren. Da sie nicht gingen, sagten sie, ich muß ihnen die Kartoffel geben, sonst bringen sie mich um. Was blieb mir übrig, als meine Beute auszupacken. Geschlagen und verdrossen ging ich zu meinem Kameraden zurück in den Wald, erzählte ihm mein abenteuerliches Erlebnis. Der fiel fast in Ohnmacht. Er war viel älter als ich. Er konnte ja mein Vater sein, war verheiratet und hatte Kinder. Da denkt man halt anders. Wir haben unsere Stiele fertig gemacht und trugen sie in die Werkstatt. Wir waren froh, daß es doch so gut abgegangen ist. Als Anerkennung und zum Andenken machte er mir eine Zigarettendose aus Birkenholz. Und die Russen waren sicher auch froh, daß sie so billig zu Kartoffeln gekommen sind.

Ende September 44 war wieder die monatliche Kommission, von uns genannt Fleischbeschau. Und wie es halt das Schicksal haben will, wurde ich auf 100 % gesetzt, da zu dieser Zeit mehrere Brigaden, die meisten 50- und 25%-igen zurück ins 3er Lager mußten. Andere wieder woanders hin. So wurden auch Instrumentaltschiki überflüssig. Da ich der Jüngste und der Kräftigste war, mußte ich wieder in den Wald gehen, die Norm machen.

Es wurde um diese Zeit dann ein Waldkoch eingesetzt, da so viele schwach wurden und in die Schlappbrigade abwanderten. Es wurde ein einfacher Suppenkessel auf große Steine aufgebockt. Über offenem Feuer wurde dann jeden Tag Suppe gekocht und ausgeteilt. Es war sicher etwas gutes, mittags etwas warmes in den Magen zu bekommen. Es war halt nur eine dünne Suppe und hat den Hunger nur auf eine kurze Zeit ein bißchen gestillt. Dieser Waldkoch war ein Sohn vom Gasthaus "Zum Elefanten" in Lambach, Josef Greifeneder. Einige Gefangene trugen ihm die Produkte für die Suppe in Säcken in den Wald. Dafür bekamen die immer einen Suppennachschlag. Dieser Greifeneder Sepp hat das ungefähr 2 Jahre gemacht. Da er seine Suppe sich immer besser gesalzen hat, bekam er Wasser in den Füßen, dann in der Brust und dann noch im Kopf. Vermutlich an Gehirnkrebs ist er dann Ende 1946 gestorben. Wer sein Nachfolger wurde, weiß ich nicht mehr. Aber es wurde weiter gekocht.

Mitte Oktober 1944 wurde es sehr kalt. Es kam bald Schnee und gleich Minus 10 - 25°C. Im November waren schon bis -30°C Kälte und wir hatten noch keine richtige Winterbekleidung. Ende November waren wir nur mehr ungefähr 60 Mann von den 1500 Mann, die noch in den Wald gehen konnten. Alles andere hatte Erfrierungen, einige hatten andere Krankheiten.

Bald wurden wir dann mit echt russischer Winterbekleidung ausgerüstet: wattierte Hosen, wattierte Röcke, Filzstiefel und Paschtlick. Das ist eine spitzförmige Kapuze mit 1/2 m langen und 5-6 cm breiten Bändern. Ein filzförmiger Stoff diente auch als Halsschal. Weiters bekamen wir noch Handschuhe und einen abgetragenen russischen Militärmantel. Den hatte ich dann bis zum Heimfahren, der ist mir nicht mehr weggenommen worden. Der war auf der Pritsche immer meine Unterlage. Heute kann man sowas selber gar nicht mehr glauben, daß man auf blanken Brettern nur mit einem Mantel oder einer Decke, mit der man sich eindrehte, schlafen konnte, wenn man in der unteren Etage lag. Wenn man oben lag, war es automatisch immer zu heiß. Der Brotbeutel war immer der Kopfpolster, die Hosen zog man nur aus, wenn sie naß waren. Die Hose und den Rock haben wir immer unter die Decke oder unter den Mantel gelegt. In der Früh war es trocken, es sei denn, daß es sehr naß war, dann hat man es in die Trockenkammer gebracht, da war oft etwas nicht nur trocken sondern verbrannt.

Da um diese Zeit der deutsche Rückmarsch oder besser gesagt der russische Vormarsch schon nennenswerte Fortschritte zu verzeichnen hatte, kam des öfteren ein russischer Kommissar in die Baracken und hat politische Vorträge gehalten. Er erklärte immer wieder, welche und wieviele Städte die Rote Armee wieder zurückerobert hat und wie die Deutschen vernichtend geschlagen wurden.

Eine sehr interessante Meldung war für uns, daß General Seidlitz, der Ende November 42, nach der Einkesselung freiwillig zu den Russen übergelaufen war und jetzt in russischer Gefangenschaft mit deutschen Gefangenen eine Armee aufstellte, die gegen Deutschland kämpfen sollte. Diese Armee hieß "Armee freies Deutschland". Wir wurden sehr oft gefragt, nicht nur vom Kommissar, sondern auch von anderen russischen Offizieren oder von den Antifaschisten, ob wir nicht mitmachen möchten, den Krieg schneller zu beenden. Ich habe wahrhaft selber mit mir lange überlegt, ob es vielleicht ein schneller Weg nach Hause sein könnte. Denn sobald ich da an die Front käme, wäre es die Absicht bei der ersten Gelegenheit zurück überzulaufen. Nach langem Überlegen hat mir mein Schutzengel wieder einen Stoß gegeben zu bleiben.

Nun einen kurzen aber weiten Sprung nach vorne, als ich 1953 mit Gemeindearbeitern mit Schneeräumarbeiten beschäftigt war, hat mir Herr Johann Pilichshammer erzählt, er sei im Kampf um Berlin eingesetzt gewesen. Da hätten sie mit dieser Armee "Freies Deutschland" gekämpft. Er sagte, daß wohl sehr viele herübergelaufen wären, aber sie hatten Befehl jeden umzulegen und das haben sie auch getan. Er sagte, es hat keiner überlebt. Und ich habe auch bis heute nichts gehört oder gelesen, daß jemand da überlebt hätte.

Nun erlaube ich mir ein Wort zu den Antifaschisten: ein Antifaschist muß zuerst ein Faschist gewesen sein, sonst kann er doch kein Antifaschist sein. Man konnte die Antifaschisten in mehrere Gruppen staffeln. Die ehrlichen Gemäßigten, die wahrscheinlich auch keine Faschisten waren, die halt Soldaten wie alle anderen waren und wahrscheinlich auch ungewollt in die Gefangenschaft kamen. Und sie, wie von uns auch die meisten gefragt wurden, ob sie nicht in Moskau eine Schulung mitmachen möchten, wo man Russisch lesen und schreiben lernen kann, und dann diese Schulung ausgenutzt haben, um vorerst einmal solchen brutalen Arbeitslagern entkommen zu können, um dann in irgendeinem Gefangenenlager auf eine bessere Stelle gesetzt zu werden. Das Wesentliche daran war, daß man als solcher besseres und mehr an Essen bekam. Diese Antifaschisten waren nicht zu fürchten, die blieben immer gute Kameraden und waren froh, wenn der Druck, der auf sie kam und den sie an uns weitergeben sollten, nicht ganz so arg war. Die sind bestimmt auch mit uns Essenholen gegangen, einer von denen hieß Widner Karl. Vor dem würde ich heute noch den Hut abnehmen. Er war aus der Steiermark, ein netter, fescher, lustiger Steirer!

Dann könnte man die zweite Gruppe so bezeichnen: die waren sicher in Hitlerszeiten etwas und sind vielleicht, ich sage nochmals vielleicht, freiwillig übergelaufen, haben die kommunistische Schulung in Moskau gemacht, sind dann in irgendeinem Gefangenenlager als Lagerkommandant oder Barackenstasi, oder in einer Lagerschreibstube eingesetzt worden. Sie haben sich aber von den arbeitenden Kameraden voll und ganz abgesetzt. Man hat von denen nicht recht gewußt, wie man dran ist. Man hat nie gewußt, was sie essen, man hat nie gewußt, was sie eigentlich tun. Jedenfalls hatte man Angst vor ihnen. Einer von denen war Hans Freitag, ein Grazer.

Die Gefährlichsten waren die, die in der Hitlerzeit einen politisch gehobenen Posten hatten und sogar freiwillig eingerückt sind, weil sie Neid hatten, wenn einer ihrer Freunde mit Auszeichnungen in den Urlaub kam und dann auch freiwillig übergelaufen ist, weil es dann heiß um die Ohren und Hintern herging, sich dann bei den Russen als kommunistisch gesinnter ausgaben und dann nach der halbjährigen Schulung in Moskau in ein Lager eben als Antifaschist auf einen gehobenen Posten gesetzt worden waren. Die armen, hungrigen oder oft kranken Kameraden haben sie zur Mehrarbeit angetrieben, jeden Tag die Arbeitsliste, die der oder die Vorarbeiterin geschrieben hat, kontrollierten. Wenn einer die Norm 5 Tage nicht erfüllt hat, bekam er nur 200g Brot, 1/2 Liter Wasser, nachts eingespert in einem Erdbunker und bei Tag trotzdem mit der Brigade in den Wald arbeiten gehen. Das war für viele der sichere und gewaltvolle Tod. Und einer von denen war Wiesinger Franz aus Ried im Innkreis. Der hat nicht nur seine Rechte als Antifaschist ausgeübt, sondern vor allem besseres Essen bekommen. Mit einer Binde um den Arm mit der Kennzeichnung "R.K.", das heißt "Rass Konvoi", auf Deutsch "ohne Posten" hatte jeder Antifaschist freien Ein- und Ausgang beim Wachtior. Es gab sogar Russen, die Angst hatten vor den Antifaschisten. Dieser Wiesinger und noch einige seiner Genossen haben unter den Kameraden gespitzelt und ausgehorcht, was so an der Front geschah und haben eben das, was für den Russen als Kriegsverbrechen galt auf ein Papier geschrieben und den Russen übergeben. Es sind auf diese Weise mehrere verurteilt worden, darunter mein bester Kamerad Otto Bruckmüller. Er wurde zu 25 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt.

Daß dieser Wiesinger ein ganz gefährlicher Antifaschist war, wußten wir in den letzten Lagern schon, daß er aber sein Vaterland und seine Kameraden auf so schäbige Weise verkaufte, wurde uns erst klar, als Kamerad Allt Hans aus Achen 1949 mit den Deutschen entlassen wurde und er mich sofort besuchte, um mir über das Schicksal meines besten Kameraden, Otto Bruckmüller, zu berichten.

Wir alle, und Otto Bruckmüller nochmehr, haben diesem Wiesinger schon in den Lagern geschworen, sollte er einmal mit uns heimfahren, werden wir ihn im Heimfahren noch vom Zug hinauswerfen, denn so ein Vaterlandsverräter ist es nicht wert mit uns heimzufahren. Otto Bruckmüller hat ihm einmal ganz gerade ins Gesicht gesagt: "Solltest du mit uns heimfahren und durchkommen, du kannst dich daheim nicht so gut verstecken, daß wir dich nicht finden. Ein Messer haue ich dir vorn hinein, daß du dir hinten den Hut aufhängen kannst." Dieser Wiesinger hat sich unter den Österreichern und Deutschen nicht mehr sehen lassen. Er hat sich immer unter den Rumänen oder Ungarn aufgehalten. Weiteres später über Wiesinger.

Im November und im Mai gab es immer einen außerordentlichen Feiertag. Der 11. November war der Tag der Oktoberrevolution, der 1. Mai der Tag der Arbeit. Am 11. November gab es immer politische Vorträge von einem Kommissar oder sonst einem Offizier, wehe wenn man da nicht hingegangen wäre. Was man sich da oft anhören mußte, daß man sich heimlich dachte, das glaubst du wohl selber nicht einmal.

Aber der 1. Mai, der war immer zum Fürchten. Das war der Tag der Arbeit, da gab es in jedem Lager Arbeitswettkämpfe statt Feiern. Es mußten alle Brigaden auf ihren Arbeitsplatz marschieren, wie an jedem anderen Tag auch, und so viel als nur möglich arbeiten. Es herrschte da tatsächlich ein Wettkampf zwischen den Brigaden. Jede wollte den höchsten Rekord erreichen, damit man eben beim Russen wieder mehr Ansehen einheimsen konnte. Bekommen hat man dafür gar nichts, nur ein "Bolschoi Spasßiba", das heißt: "Großes Dankeschön!",

Der Hauptkampf spielte sich da alle Jahre wieder zwischen den Österreichern und Ungarn ab. Die Ungarn hatten auch sehr gute Waldarbeiter. Da wurden Rekorde hingestellt, daß man es nicht für menschenmöglich halten hätte können. Oft die doppelte und dreifache Norm. Das Endresultat war dann meistens wieder die Anhebung der Norm und Rekord. Wenn man das heute so betrachtet, ist es in unseren Betrieben jetzt dasselbe. Wie wir das Waldarbeiten im Jahre 1943 begonnen haben, war die Norm 1,5 Rm. Wie wir im Februar 1947 die Waldarbeit verlassen haben war die Norm schon 4,2 Rm. Rekord konnte fast niemand mehr machen.

Dieser Dezember 1944 war immer sehr kalt, viel Schnee. In der Baracke gab es immer unerwünschte Gerüche. In der Früh hatten wir immer grüne Birkenrinde in lange Streifen geschnitten und irgendwo aufgehängt und angezündet, daß man Licht in der Baracke hatte, als Ersatz für die Petroleumlampe. Erstens hat das immer sehr geraucht und der Geruch war auch nicht gerade angenehm.

Am Abend war es der Geruch von den eitrigen Erfrierungen, die den Verband nicht gewechselt bekamen. Denn die mit den Erfrierungen lagen den ganzen Tag auf der Pritsche, haben weder die Baracke geputzt noch gelüftet, daher oft der bestialische Eitergeruch.

Es wurden auch sehr kalte Weihnachten. Es gab für uns keinen Feiertag, da es ja für uns im Monat nur 3 arbeitsfreie Tage gab, fiel keiner dieser 3 Tage auf jene, an denen zuhause Weihnachten wäre. Aber was denkt man schon als so ein armer Gefangener. Man war schon wie ein Ochse, wenn man ihn einspannt, dann zieht er, Hauptsache es gibt bald wieder was zu fressen.

Ende Februar 1945 war es für mehrere Brigaden wieder zum Wandern. Es war wahrscheinlich schon März, da mußten die besten Brigaden, es waren so um die 180 Mann, durch den tiefen Schnee ungefähr 15 - 20 km ins Lager Jurta marschieren. Dort waren runde Baracken aus Holzbrettern innen und außen, in der Mitte mit Glaswolle gefüllt, rundherum innen eine Doppel-Pritsche, in der Mitte ein Benzinfaß als Ofen, das Ofenrohr ganz gerade am Spitz des Daches hinaus. Dieses Lager war mitten im Wald. Da waren Sakritschurni drin, eingesperrte Russen. Aber die Baracken waren sehr warm, sehr leicht zum Heizen. Unangenehm waren die Wanzen, Läuse, Flöhe und Filzläuse, die waren da in rauhen Mengen. Die Russen, die da in der Werkstatt waren sagten: "Das sind finnische Baracken.". Es war für uns viel leichter, weil der Weg zum Arbeitsplatz erst nur 1 km war, bis wir bald wieder einige 100 ha abgeholzt hatten, dann wurde der Anmarschweg wieder an die 8 - 10 km.

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