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Bei diesen Märschen in den Wald spielte sich einmal ein kleines Schauspiel ab. Da der Schnee fast einen Meter dick war, gingen alle, das waren einschließlich der Posten nahe 200 Mann, schön hintereinander, denn wenn man neben dem ausgetretenen Steig trat, fiel man bis auf den Bauch in den Schnee. Bei einem solchen Marsch zur Arbeit hat ein deutscher Unteroffizier namens Hahn über den Dialekt von Otto Bruckmüller gespottet. Das hat der Otto gehört. Der Otto drehte sich um, ging zurück, klatschte dem Hahn eine saftige Ohrfeige ins Gesicht, der Hahn flog in den Schnee und hörte nicht auf zum Spötteln über die Österreicher. Der Otto sprang hinzu und haute mit der Faust solange auf Hahn ein, bis man von ihm nichts mehr sah. Der getraute sich nicht mehr über die Österreicher einen Spott loszulassen. Er war sowieso sehr unbeliebt auch bei seinen deutschen Kameraden, denn er bildete sich weiß Gott was ein, weil er ein deutscher Unteroffizier war. Wer hat denn schon in der Gefangenschaft gefragt, was einer für einen Rang hatte. Wichtig war, ein guter Kamerad zu sein, ganz gleich, was er war, ganz gleich von wo und von welcher Nation er war. Bei dieser Gelegenheit fällt mir gerade etwas besonderes ein. Es war schon im ersten Lager "Legetevka" in Stalingrad. Wenn ein Russe, ganz egal, ob Soldat oder Zivilist, von einem Gefangenen etwas wollte, dann sprachen sie uns mit "Du Kamerad" an, fast immer bekamen sie die Antwort: "Nix Kamerad, Kamerad Stalingrad kaputt!". Ich kann es mir bis heute noch nicht richtig erklären, warum man eine solche Antwort gab, wahrscheinlich, weil doch im Kessel Stalingrad und noch in den ersten Lagern so viele Kameraden einen unmenschlichen Hungertod starben oder durch die Gleichgültigkeit der Russen im Schnee liegend wie die Hunde verreckt sind. Das ließ sie ganz kalt, daher wahrscheinlich die unschöne Antwort.

Eine eigentlich schöne Arbeit hatte ich ein paar Tage lang in diesem Lager in der Tschurkibrigade. Die mußten in den Wald gehen und jeweils zu zweit ein Stück Holz besorgen. Das mußte ganz gesund sein, ungefähr 20 cm dick und 2-3m lang sein. Man konnte stehende dürre oder grüne Bäume fällen und eben auf die gewünschte Länge ausschneiden und ins Lager in den Trockenraum tragen, dort auf 6 cm lange Scheiben schneiden und auf Würfel spalten. Die Würfel wurden in der Trockenanlage auf drahtgeflochtene Etagen aufgeschüttet, die getrockneten Tschurki wurden in die Stadt Lessnaia, oder sonst irgendwohin gebracht für die Holzgasmotoren, die ein Aggregat für Lichtstrom betrieben. Bei dieser Arbeit war auch Bäckermeister Ferdinand Heidinger aus Frankenmarkt beschäftigt. Warum ich bei dieser Brigade nur einige Tage war, weiß ich heute nicht mehr.

Nochmals zurück ins Lager 4. Als ich dort als Instrumentaltschiki arbeitete, mußte ich auf Befehl vom Natschalnik von der Baracke, wo die Wolgadeutschen Mädchen wohnten etwas holen. Diese Baracke war außerhalb des Zaunes, an der hinteren Seite. Da ich bei den Russen, die in dem Gebiet waren, ob Rotarmisten oder Zivilisten schon als Instrumentaltschiki sehr bekannt war, durfte ich auch außerhalb des Zaunes bis zu einem gewissen Bereich umhergehen. Als ich da eben in die Mädchenbaracke ging, mußte ich an einem Krautacker vorbeigehen. Da standen einige so schöne Krautköpfe. Ich riß einen ab und aß ihn sofort. Und wie es halt sein muß, ich hatte noch einige Blätter Kraut in der Hand, kam ein russischer Offizier an. Er fragte mich, wo ich das Kraut her habe. Ich sagte, daß ich es am Wegrand gefunden hatte. Das glaubte er mir natürlich nicht. Er nahm mich mit zum Wachtior. Dort berieten sie, was sie mit mir machen sollten. Daß ich den Krautkopf sabralisiert hatte, war ihnen zweifellos klar. Da ich aber bei dem Wachtior sehr gut bekannt war, weil ich auch für ihn eine Riemenschnalle aus dickem Aluminiumdraht gemacht hatte, hatte ich vom Wachtior nichts Gefährliches zu erwarten. Aber der Offizier gab nicht nach. Er blieb hart auf seinem Standpunkt, ein Gefangener, der sabralisiert, muß bestraft werden. Und so sperrte er mich in den Karzer. "2 Tage wirst du da drin sitzen!", sagte er noch zu mir. Als ich da so einige Stunden drinnen saß, ging der Natschallnik Aniezki auf Suche. Er hatte mich doch in die Mädchenbaracke geschickt und das sind lauter Wolgadeutsche Mädchen. Die Vermutungen kann man sich leicht vorstellen. Er ging auch ins Mädchenlager mich zu suchen, da er mich dort nicht fand, auch die dort anwesenden Mädchen sagten ihm, daß der Josef nie da war, ging er zum Wachtior und erkundigte sich, ob und wann der Instrumentaltschiki Josef, vielleicht durchs Wachhäusl gegangen sein könnte. Der Wachtior erklärte ihm, daß der Josef von einem Offizier beim Krautstehlen eingefangen wurde. Er hat ihn mitgenommen und ihm für 2 Tage in den Karzer gesperrt. Der Natschallnik hat mich sofort aus dem Karzer herausgeholt und hat zu mir gesagt: " Du Depp, warum hast du es denn nicht sofort aufgefressen?". Ich sagte zu ihm, daß ich noch nicht ganz fertig war. Ich fühle heute noch, wie es mir in diesem Karzer ergangen ist. Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, wegen einem so blöden Krautkopf, der ja nicht größer als eine große Faust war. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich eingesperrt. Ich mußte noch einige Male in das Mädchenlager gehen, um etwas zu holen, aber ich konnte mich dann beherrschen und ging bei den Krautköpfen vorbei, als hätte ich sie gar nicht gesehen. Ich verbrachte dann meine überzählige Zeit eben bei den Mädchen. Sie erzählten mir über ihre Schicksale soviel, daß es mir heute noch gruselt, wenn ich daran denke. Unser Natschallnik hatte auch eine solche Wolgadeutsche zum Schlafen. Direkt in unserer Werkstatt hatte er im Eck einen Bretterverschlag, ca. 2,5 m2 Bodenfläche. Darin war seine Pritsche und ein kleiner Tisch, wie bei uns ein Nachtkästchen. Ganz an dieser Bretterwand hatten wir unseren Schleifstein zum Haken- oder Beilschleifen. Da war oft allerhand zu hören.

Noch ein Wort zu Natschallnik Aniezki. Er war ein sehr fescher, ein sehr feuriger Russe. Er war nie böse auf uns Gefangene, aber einmal hat er sich mit mir unterhalten über verschiedenes, unter anderem sagte er zu mir: "Ihr Kriegsgefangenen werdet nie nach Hause kommen. Ihr müßt hier in Rußland arbeiten, bis ihr nicht mehr könnt, als Wiedergutmachung. Dann müßt ihr euch noch ein Loch graben, dann wird an jedem Zaunpflock einer aufgehängt und dann scheißen wir euch mit so einer dicken Scheiße zu!". Und er hat mit beiden Händen gezeigt, als würde er einen Mostkrug in die Hand nehmen. Da ich aber wußte, daß jeder Russe, der in diesem Reion ist, ganz gleich ob Soldat oder Zivilist, ein Sakritschurm also ein Eingesperrter ist, habe ich ihm auch meine Meinung gesagt. Denn als einer der besten Waldarbeiter und als Spezialist unter den Instrumentaltschikis konnte ich es mir erlauben. Ich habe ihm mit einer Seelensruhe und in aller Deutlichkeit erklärt, daß wir Kriegsgefangene sind, daß der Krieg nicht immer dauern wird, daß es dann für die Kriegsgefangenen eine Amnestie geben wird. Dann werden wir alle heimfahren, aber er, er sei ein Sakritschurm, ein Eingesperrter, er wird von diesem schönen Kaiskireion nie wegkommen, auch wenn seine Strafzeit aus wäre. Er wird wahrscheinlich hier einmal verrecken müssen, denn ich wußte ja schon, daß er zu 30 Jahren Zwangsarbeit verurteilt war. Sein älterer Bruder war zu 40 Jahren verurteilt, der war im Lager Karellniki Instrumentalnatschallnik. Ihn lernte ich auch dort noch kennen, das war dann unser letztes Lager im Kaiskireion.

In der Stadt Leßnaia, die eigentlich keine Stadt, sondern nur ein größerer Ort war, gab es einmal ein Fußballspiel für Kriegsgefangene. Da wurden von allen umliegenden Lagern die besten Arbeiter, die Rekordisten hingeholt. Sie durften, oder besser sie mußten dort Fußballspielen. Wahrscheinlich zu einer Propagandaaufnahme. Ich fuhr nicht mit, weil ich mit den Antifaschisten nicht fahren und noch weniger Fußballspielen wollte.

Nochmal zurück in die Werkstatt. Es kam einmal ein ganz junger Russe zu uns als Instrumentaltschiki. Es war uns immer ein Rätsel, wie so ein junger Russe in solch ein Verbannungsgebiet kommt. Er war 15 Jahre alt. Da wir uns mit ihm schnell anfreundeten, hat er uns sein Schicksal erzählt. Er war 13 Jahre alt, als die deutschen Truppen in seinen Heimatort einmarschiert sind. Weil ihn die deutschen Fahrzeuge und die Panzer so interessiert haben, denn er hatte schon ein bißchen Ahnung, weil sein Vater Mechaniker war, haben die Deutschen ihn gleich mitgenommen. Die Deutschen waren noch im Vormarsch. Als die Deutschen von Stalingrad wieder zurück mußten, ist er auch abgehauen in seine Heimat. Er hatte dann allerhand erzählt von seinen Erlebnissen, unter anderem erzählte er, daß die deutschen Maschinen besser laufen als die russischen. Und das hat genügt, er wurde verraten, verhaftet und verurteilt. Wie lange er in diesem Verbannungsgebiet sein mußte, wußte er noch nicht.

Ein besonderer Tag war für uns Kriegsgefangene auch der 8. Mai 1945, der Tag des Kriegsendes. Wir mußten in der Früh antreten wie an jedem Tag auch. Der russische Lagerkommandant kam ins Lager. Er berichtete uns, daß der Krieg aus sei, daß die Deutschen kapituliert hätten. Wir sollten einstweilen in die Baracken gehen und warten bis der Kommissar kommt. Er wird zu uns sprechen. Er ist gekommen und hat uns über ihren Sieg und über die deutsche Niederlage informiert. Er stellte uns auch Fragen, die waren nicht viel. Er fragte auch, ob wir Wünsche haben. Da meldeten sich natürlich viele. Auch meinen Wunsch erklärte ich ihm. Ich sagte zu ihm, daß, wenn der Krieg jetzt aus sei, sie die echten Kriegsverbrecher hierher schicken sollten und uns heimschicken könnten, egal, ob das Deutsche, Russen oder sonst irgend welche wären. Und da bin ich ganz knapp an einem harten Urteil vorbei gekommen. Weil ich die Russen auch genannt habe, wurde ich in die Schreibstube geholt und verhört. Die Natschallniks vom Wald und von der Werkstatt gaben mir ein ausreichend gutes Zeugnis, daß ich wieder meine Ruhe hatte.

Der Kommissar erklärte den Angetretenen auch, daß wir jetzt noch einige Wochen für Wiedergutmachung arbeiten müßten, dann dürften wir heimfahren. Er wird sich auch einsetzen, daß wir einmal heimschreiben können, daß wir nicht mehr als Kriegsgefangene behandelt werden, sondern als Internierte. Bei allen diesen Versprechungen kam das Gegenteil heraus. Aus den einigen Wochen Wiedergutmachungsarbeit wurden es noch 2,5 Jahre und mit dem Essen wurde es noch schlechter. Mit dem Schreiben dauerte es auch noch fast 2 Jahre bis vom Schweizer Int. Roten Kreuz Rot-Kreuz-Karten kamen, die wir dann heimschreiben durften.

Meine erste Retourkarte von daheim bekam ich dann im August 1947.

Eine solche Rot-Kreuz-Karte bekam ich von einem Burgenländer. Der sagte zu mir, daß er nicht heimschreibe, weil er nicht heimfahre, er bleibt in Rußland. Denn wenn er heimschreibt, dann wissen sie, daß er lebt und würden immer auf ihn warten, und wenn er nicht schreibt, werden sie sowieso meinen, er lebe nicht mehr. Dieser Mann war damals schon über 40 Jahre und man sah ihm auch an, daß er aus armen Familienverhältnissen kam. Er ist auch nicht heimgefahren. Ein solcher Fall wurde mir im letzten Lager noch bekannt. Ein Niederthalheimer namens Pichler, der als Deutscher geführt war, durfte mit uns nicht heimfahren. Ich habe ihn gefragt, ob ich seine Angehörigen grüßen oder benachrichtigen soll. Er sagte mir sofort, das brauche ich nicht zu tun, denn er werde nicht mehr heimfahren. Man soll es nicht glauben, daß es so etwas gegeben hat.

Kurz nachdem der Krieg aus war, durften die Tschechen heimfahren. In die Baracke, in der die Tschechen untergebracht waren, mußten wir Österreicher einziehen. Es wäre eine der schönsten Baracken gewesen, aber die Tschechen haben sie in einem solch schweinischen Zustand verlassen, daß ich heute noch eine Wut auf sie habe. Nicht nur der Boden, sondern auch die Pritschen waren beschissen. Sie haben hiermit gezeigt, wer sie sind und es wurde wieder einmal deutlich, warum die Tschechen immer in allen Lagern so unbeliebt waren.

Einmal entging ich ganz knapp der Strafbrigade. Da ich in der Werkstatt in diesem halben Jahr immer genügend Brot hatte, habe ich mir allerhand wiedereingetauscht bei den Kameraden. Das waren einmal 2 schöne originale Bergschuhe, von frisch Gefangenen, ein Paar schöne Handschuhe, eine Pelzhaube machte mir der Schneidermeister Schögl Franz aus St. Konrad. Es waren noch einige Kleinigkeiten, die ich auf der oberen Pritsche, wo ich lag unter dem Brotbeutel, der ja immer mein Kopfkissen war, versteckt hatte. Darüber die Wolldecke, die jeder hatte, schön zusammengefaltet. Als wir vom Wald heimkamen und ich sofort erblickte, daß die Decke nicht so daliegt, wie ich sie immer hinlegte, stieg ich sofort auf die Pritsche und stellte fest, daß es diesmal die Bergschuhe waren, die fehlten. Ich fing ganz laut zu fluchen und zu schimpfen an: "Dieser Schweinehund, der gottvereckte, soll noch verrecken hier in Rußland." Ich vermutete nur den, der den ganzen Tag in der Baracke war und das war der Barackenstasi Keresteschi Hans, ein Wiener. Arbeiten habe ich ihn überhaupt nie gesehen. Er hörte meinen Fluch und mein Schimpfen. Er kam heraus aus seinem Bretterverschlag, den er sich in einer Ecke machen hat lassen, damit man nicht sehen konnte, was er darin alles treibt und frißt. Er fühlte sich sofort betroffen, als er meinen Fluch hörte, weil ja nur er alleine den ganzen Tag über in der Baracke ist und war. Er schrie mich an, was ich jetzt gesagt hätte, wer in Rußland verrecken sollte. "Ich werd's dir zeigen, wer hier verrecken wird. Du gehst jetzt sofort mit zum Lagerkommandanten!". Da so ein Barackenstasi ein von Russen bestellter und schon sehr hoher Posten war, mußte ich mitgehen, obwohl er ein Kriegsgefangener war wie ich auch. Wahrscheinlich war er auch ein Antifaschist.

Er wollte mich beim Lagerkommandanten derart verschuften, daß ich in die Strafbrigade käme. Dieser Lagerkommandant war ein Ungar, auch ein Kriegsgefangener wie wir alle. Er hat perfekt Deutsch und auch Russisch gesprochen. Er hieß Tscherkanini. Er sagte zu mir: "Jetzt gehst du wieder auf die Baracke und schreist wieder so laut, daß es alle hören können, du nimmst alles zurück. Der Mann, der dir die Schuhe gestohlen hat, soll nicht verrecken in Rußland." Wir gingen auf die Baracke, ich nahm den Fluch zurück und der Fall war vorerst erledigt. Aber der Zorn über den Wiener lebt in mir weiter, bis ich die Augen für immer schließe.

Ein merkwürdiger Mann war auch der Meissner Georg aus Vöcklabruck. Er hat mit Zeichmann Hans, einem Burgenländer, in der Schreibstube gearbeitet. Zeichmann war auch ein Lagerkommandant, wahrscheinlich auch Antifaschist, konnte gut Russisch lesen und schreiben, darum auf so hohem Posten. Er schickte den Meissner oft in den Wald, auch wenn es noch so kalt war. Er war gut angezogen. Den Paschtlik hat er übers ganze Gesicht gezogen, daß er fast nicht mehr aussah. So ist er von Mann zu Mann gegangen. Wenn einer ein Feuer hatte, hat er sich ein bißchen hingesetzt, geredet hat er gar nicht viel. Man wußte überhaupt nicht, was der überhaupt wollte und was der verfolgte. Jeder von uns dachte sich heimlich, der tut nur spitzeln und das war es auch sicherlich.

Im Bad, das man alle 10 Tage mit Entlausung und eventuell Haareschneiden hatte, habe ich meine Erkennungsmarke, die im Brustbeutel mit einem Himmelbrief war auf den Wasserkessel gelegt und vergessen mitzunehmen. Als ich in der Baracke war, dachte ich sofort daran, daß ich meine Erkennungsmarke liegen gelassen hatte, bin sofort wieder hinunter gerannt ins Bad. Der Brustbeutel mit der Marke war weg. Um die Marke war mir weniger, aber um den Himmelbrief, den mir die Wirtin in der Spök mitgab. Sie sagte, wer den Brief im Krieg mithat, dem passiert nichts. Nun ist er weg. Einige Zeit hatte ich schon Angst, wird was passieren. In solchen Situationen, wo ich mir denken könnte, jetzt hast du wieder Glück gehabt, hatte ich sehr viele, vielleicht war es doch der Brief, der mir bis jetzt geholfen hat. Aber wie man sah, bin ich auch ohne diesen Brief heimgekommen.

Im Lager 4, wo ich in der Werkstatt bei Nacht arbeitete, bin ich einmal um ca. 2 Uhr Früh Richtung 2er Lager ca. 2-3 km bei Mondhelle in ein Kartoffelfeld, um einige zu stehlen. Ich kam nicht zu meinem Vorhaben, da ich von weitem eine Gestalt auf mich zukommen sah. Ich traute mich nicht mehr zurückzulaufen, denn wenn das ein Posten war, würde der sofort auf mich schießen. Meine Richtung weitergehen traute ich mich auch nicht, denn was hat denn in solcher Nachtzeit ein Kriegsgefangener in dieser weiten Flur zu tun. So ließ ich diese Gestalt auf mich zukommen. Es war Gottseidank ein russischer Posten, den ich gut kannte und er auch mich. Ich habe ihm gleich gesagt, daß ich mir ein paar Kartoffel holen wollte. Er hat mich nicht geschimpft. Er hat mich mitgenommen in die Werkstatt. Er sagte zu mir: "Du bleibst jetzt in der Werkstatt, bis ich dich hole!". Der Posten ging alleine zum Wachtior, erklärte ihm, er hätte einen Gefangenen laufen sehn, Richtung 2er Lager. "Du mußt nachsehen, ob bei dir einer fehlt!". Von Baracke zu Baracke zu gehen war ihm zu mühsam. Jetzt hatte er mit seinem Hammer auf die Eisenschiene einige Male hingehauen. Das heißt für das ganze Lager sofort antreten. die 2 oder 3 Posten mit dem Wachtior zählten und zählten länger als eine Stunde. Einmal hatten sie zuviel, dann wieder zuwenig. Dann sagte der Posten zum Wachtior, er solle in die Werkstatt schauen, da habe er ihn eingesperrt. Als der Wachtior mich sah, fluchte er zwar gehörig, aber er sah, daß der Posten sich mit mir einen Jux erlaubt hatte. Der Wachtior kannte mich auch ziemlich gut, denn diese Wachtiors kamen alle sehr oft zu uns in die Werkstatt. Wir mußten für sie oft etwas machen. Er wollte mich ins Lager schicken. Ich sagte, daß ich mit der Arbeit noch nicht fertig sei. Er ging hinein beim Tor, schickte wieder alle in die Barak-ke. Ich traute mir nämlich nicht ins Lager, denn die Brigadäre und die Antifaschisten hätten mich halb tot geschlagen. Dieses kleine Unternehmen war sehr unüberlegt, denn ich wußte doch, daß in diesem Gebiet überall auf freier Flur Posten sitzen und alles einfangen oder erschießen, was sie erblicken. Aber der mich einfing, war Wachposten im 4er Lager bei den Brigaden. Er hat im 2er Lager sein Mädchen, die hatte er besucht, erzählte er mir.

Noch ein Erlebnis hatte ich in dieser Werkstatt, welches wert ist zu erzählen. Ein älterer Russe, ein Zivilist, kam öfter in die Werkstatt, um ein paar Rubel zu verdienen. Er brachte sein Essen immer mit. Einmal brachte er Milch in einem Tongeschirr. Das Tongeschirr hatte eine Form einer Blumenvase. Nach oben schön weit ausgeformt. Er stellte dieses Tongefäß mit der Milch in den Ofen, direkt auf die Glut. Nach einer kurzen Weile wollte er das Gefäß mit der Milch wieder aus dem Ofen nehmen. Er nahm das Gefäß mit einer Hand am oberen Rand. Als er es weghob, hatte er nur den oberen Rand in der Hand und die Milch mit dem unteren Rand blieb auf der Glut stehen. Nicht nur er, sondern auch wir schauten saublöd in den Ofen. Ich sagte zu dem Russen: "Schau noch einmal hinein, da sitzt doch der Teufel drin!", in russischer Sprache. Der Russe schaute kurz nocheinmal hinein und nahm eine Hacke aus dem Regal und haute den Ofen mitsamt der Milch zusammen. Es war ein aus gewöhnlichen Mauerziegeln gemauerter Ofen. Die Ofenplatte war ein gewöhnliches , dünnes Blech, das war natürlich kaputt. Das ganze war leicht zu verstehen. Er hat das Tongefäß in den Ofen, in die Feuerung gestellt. Der untere Teil, soweit die Milch stand, war noch kalt, der obere Rand war sofort heiß, dadurch hat sich der obere Teil vom unteren getrennt, wie abgeschnitten.

Nun wieder in das Lager Jurta, ich weiß nicht mehr genau, in welchem Monat wir dorthin mußten. Jedenfalls war es sehr kalt. Es war aber eine Wohltat, daß die runden Baracken leicht zum Heizen waren und immer genügend Brennmaterial da war, denn es mußte jeder ein Stück Holz vom Wald mitheimnehmen und so wurde geheizt, daß der Ofen ganz rot glühte. Die auf den oberen Pritschen lagen, denen war es halt gleich zu heiß und sie fingen an zu schimpfen. Da wurde halt hin und wieder Platz getauscht. Am Schlechtesten waren die dran, die in der unteren Pritsche neben dem Eingang lagen. Denn da zog der Wind immer gehörig herein, denn die waren alles andere als dicht.

Ungefähr von diesem Zeitpunkt an ist uns aufgefallen, daß ganz fremde Offiziere in den Wald kamen und um Bruckmüller fragten. Die kamen öfters, schauten ihm eine Weile Holzschneiden zu und gingen wieder. Da er immer mit Wollmut Georg zusammen arbeitete und die beiden immer die besten Rekordisten waren, im 4er Lager sogar einmal prämiert wurden als die besten Waldarbeiter vom ganzen Reion, dachten wir, die wollen die besten Waldarbeiter kennenlernen, in Wirklichkeit war er schon verraten. Im 4er Lager wurde am Waldeingang eine übergroße, schwarze Tafel, so um die 2 x 2 m aufge-stellt. Da schrieben die Russen darauf, daß wir schon über 40.000 ha Land aufgearbeitet haben und Otto Bruckmüller und Wollmut Georg, die besten Rekordisten waren. An einem Abend nach der Browerka mußten alle Angetretenen stehen bleiben. Es kam der russische Lagernatschllnik mit dem Kommissar. Der Otto Bruckmüller und der Wollmut Georg mußten vortreten. Die beiden Russen hielten eine Rede über die besten Waldarbeiter, sie sollen uns alle ein Vorbild sein. Inzwischen kam ein Koch mit einem Tablett, darauf lag ein schöner großer Lachsfisch. Der Bäcker kam auch mit einem Tablett. Darauf lag ein Bohanki Weißbrot und ein Bohanki Schwarzbrot. Das wurden den beiden Rekordisten vor den Augen der ungefähr 2000 Gefangenen feierlich übergeben. Daß da unter den Gefangenen gemischte Gefühle und Meinungen auftauchten, war selbstverständlich. Es war einmal, daß wir Rekordisten immer das beste Werkzeug bekamen, dann immer den besten Platz im Wald. Wir waren schon unser 8 oder 10 Mann. Wir durften in der Früh und am Abend ohne Posten aus- und eingehen. Die Norm war da nun schon 3,5 rm und der Rekord 4rm. Das war immer, solang es so kalt war, eine harte Arbeit. Es war im Winter oft 0,5 bis 0,75 m Schnee und man mußte den Baum, auch wenn es ein abgebrannter war, 10 cm ober der letzten Wurzel abschneiden, sonst mußten wir noch eine Scheibe herunter schneiden. Da mußte man oft mit den Füßen oder mit den Händen den Schnee wegräumen, daß man mit der Säge Platz hatte und wenn der Baum dann in den tiefen Schnee fiel, das Aufschneiden auf 1,50 m Länge und Hintragen zum Weg durch den tiefen Schnee, aufstapeln, daß der Dessertnik (Vorarbeiter) am Abend messen konnte. Da hatten wir einige sehr kleine Kameraden, wie den Wegerer Karl aus St. Nikola bei Krems a.d. Donau, den Higl Franz, einen Niederösterreicher, die konnten oft den Schnee nicht mehr ersteigen, denen mußten wir oft helfen, daß sie die Norm zusammenbrachten. Da war der Bruckmüller immer der erste, der zugriff.

Ein großes Problem war immer das Waschen. Es gab in keinem einzigen Lager Flieswasser, schon gar keine Waschbecken. Es war in den meisten Lagern ein Brunnen, wo man mit einem Eimer, der an einem Strick oder an einem Hebebalken hing, das Wasser aus dem Brunnen holen mußte. Der Brunnen war oft außerhalb des Lagers. Man trug einen Eimer voll Wasser vor die Baracke, jeder nahm sich eine kleine Menge in das Kochgeschirr und ging ins Freie. Viele haben sich, wenn es kalt war, überhaupt nicht gewaschen, Nur alle 10 Tage im Bad.

Richtig kalt wurde es im November und Dezember 1945. Es hatte fast durchwegs zwischen 30 und 40 Grad Minus. Wenn es in der Früh beim Ausmarsch um die 30 Grad Minus hatte, mußten wir oft eine Stunde warten. Wenn das Thermometer noch weiter fiel, mußten wir auf die Baracke gehen, wenn das Thermometer eher anstieg, mußten wir in den Wald gehen. Es ist einige Male passiert, daß wir schon im Wald waren, als das Thermometer fiel. Wenn im Wald das Thermometer fiel, mußten wir aushalten bis 45 Grad, dann mußten wir schnell heim. Im Freien war es dann immer noch kälter.

Unvergeßlich bleiben mir die Weihnachten 1945. Am Heiligen Abend in der Früh, als wir zum Ausmarsch angetreten waren, stand das Thermometer schon bei Minus 40 Grad. Das Thermometer fiel und fiel. Bei Minus 45 Grad mußten wir auf die Baracke, Das Thermometer fiel bis Minus 51 Grad. Diese Kälte hielt an den Heiligen Abend, den Heiligen Tag und den Stefanitag. Brennholz mußte jeden Tag geholt werden. Es war nicht weit in den Wald. Es war noch alles abgebrannter Wald, aber es gingen hie und da grüne Fichten auf und so ein kleines grünes Zweigerl nahmen wir auch mit in die Baracke, steckten es in der Barackenmitte auf die obere Pritsche. Da die Baracke rund war, sah jeder schön hin. Die Winterarbeits-bekleidung war wunderbar wattiert und gesteppt und so mancher hatte ein Loch in seiner Hose oder in seinem Rock, wo die Watte herausschaute. Da zupfte ich etwas Watte aus den Löchern und so konnten wir das kleine Bäumchen verzieren. Es lag immer eine Mütze bereit, wenn ein Russe in die Baracke kam, wurde sie sofort zugedeckt, denn man wußte nicht, wie die Russen reagieren würden. Und da geschah etwas, was niemand geglaubt hätte, daß es sowas gibt. Als wir am Heiligen Abend so jeder auf seiner Pritsche saß, wahrscheinlich waren die meisten mit den Gedanken daheim, am meisten die Verheirateten, es ist ja leicht verständlich, denn die Sorgen waren ja ganz andere, und noch vielmehr, da sagte Otto Bruckmüller ganz laut in der Baracke, daß es jeder hören konnte: "Kameraden! Weil uns der Herrgott so schöne Weihnachten geschickt hat, wollen wir miteinander ein Vaterunser beten." Jeder betete andächtig mit, dann war es in der Baracke mindestens eine halbe Stunde so ruhig, als wäre überhaupt niemand da. Wo da jeder einzelne mit den Gedanken war, brauche ich wohl nicht erwähnen.

Interessant war wohl für jeden von uns, daß es gerade der Otto Bruckmüller war, der auf den Gedanken kam, ein Vaterunser zu beten, denn er war bekannt als brutaler Metzgersbursche, daß der überhaupt beten konnte. Man wußte, daß er ein sehr gerechter, ehrlicher Kamerad war, er war sogar einmal Brigadier. Da hat er oft einige Portionen Suppe und Brot herausgeschmuggelt für die Kameraden, denn jede Brigade war in der Küche und in der Brot-schneiderei genau gemeldet und der Koch und der, der das Brot beim Fensterguckerl herausreichte zählten genau mit. Der Otto hat jedes Mal einem gesagt, er solle ein zweites Kochgeschirr mitnehmen. Immer der Reihenfolge nach. Und so passierte es des öfteren, daß der Otto selber keine Suppe mehr bekam, daß der Koch, wenn es ein sturer Hund war, das Fensterl zumachte, wenn eben die Zahl voll war. Aber er hatte lieber selbst nichts gegessen, bevor ein anderer nichts bekommen hätte. Er hat schon wieder irgendwo etwas ergattert.

Das wurden meine unvergeßlichsten Weihnachten. Es kam dann am Heiligen Tag noch einer zum Vorschein, der hatte ein Gebetbuch bei sich. Er hieß Brandstätter Franz aus St. Pölten. So traurig und hoffnungslos diese Weihnachten waren, so schön und unvergeßlich bleiben sie uns.

Nun ein genaueres Wort zur Norm. Wie schon erwähnt, war die Norm anfangs 1,5 Rm, 1943, dann 4,2 Rm 1947. Das Werkzeug war erstklassig gut. Wer ein bißchen Ahnung vom Schlägern hatte und die Einmannsäge richtig angesetzt hatte und einigermaßen gesund war und etwas Kraft hatte, brachte die Norm leicht zusammen. Wenn oft einer einen sehr schlechten Platz angewiesen bekam, wo lauter kleine Bäumchen oder Stauden waren, der bekam die Norm auch so geschrieben, wenn er auch nicht die nötigen Raummeter hatte. Die Wolgadeutschen Mädchen, die bei uns die Dessertniks waren, die haben ja selber das gleiche Schicksal gehabt. Die hatten da sofort ein Einsehen. Natürlich, die ein schönes Holz stehen hatten, die mußten die Norm erfüllen.

Wie schon erwähnt, die mit dem Werkzeug gut umgehen konnten, machten bald mehr als die Norm. Es wurde ihnen auch mehr ge-schrieben. Sofort hat der Russe denen mehr Essen gegeben, hat sie Rekordisten genannt und der Hunger hat dann eben verlockt, den Rekord zu erreichen. Wenn die Rekordisten dem Russen zuviel wurden, haben sie die Norm und den Rekord wieder um einen halben Meter hinaufgesetzt. Und so wurde es immer härter, die Norm oder den Rekord zu erreichen. Auch wir wurden immer schlauer beim Stapeln und beim Stehlen oder Betrügen. Ich habe oft, weil ich halt immer einer der besten Rekordisten war, einen schönen Platz mit schönen großen Bäumen bekommen. Da habe ich beim Stapeln so große Löcher hineingestapelt, daß man fast durchschlüpfen konnte. Die Nina hat das sofort überzogen, was ich da mache. Sie sagte zu mir jedesmal: "Wenn ich weg bin, reiß den Stempen (Pflock) sofort aus, daß der Stapel zusammenfällt, damit niemand nachmessen kann", denn der Waldmeister Less Krischer kam öfters nachmessen.

Einmal hatte ich besonderes Glück. Ich bekam meinen Platz neben der Hauptstrecke. Man nannte es die Zentrale. Das ist die Strecke, wo die Eisenbahnschinen gelegt werden. Da war ein ungefähr 10 - 15 m breiter Streifen ungefähr 10 km tief in den Wald schon geschlägert. Die Holzstapel standen alle da und das war ein Fressen für mich. Ich habe da jeden Tag 6 rm Holz gestapelt und habe meist nur einen oder zwei Bäume von meinem Platz geschlägert. Das andere habe ich von den dort stehenden Stapeln einfach hinüber gestapelt. Es war zu dieser Zeit ein alter Russe als Aushilfe da zum Messen. Ich hatte immer Angst, es müsse ihm einmal auffallen, denn soviel Holz jeden Tag zu stapeln und fast alle Bäume stehen noch da! Ich weiß es wirklich nicht, hat er ein Auge zugedrückt oder hat er es tatsächlich nicht gesehen. Die Nina hätte mir das bestimmt nicht erlaubt, denn es wäre für sie gefährlicher gewesen.

Oft haben wir denselben Stapel zweimal messen lassen. Die vom Vortag angestrichenen Rollen haben wir weggeschnitten oder mit Schnee angepappt. Mein höchster Rekord war einmal 11,5 rm. Der war aber fast echt. Ich wollte es nämlich einmal wissen, wieviel ich imstande bin zu machen. Ich hatte sehr schöne Bäume stehen, teilweise waren sie schon morsch, sodaß die Säge schnell durchrauschte. Fast alle konnte ich Richtung Stapel werfen. einige lagen schon am Boden. So hatte ich nicht weit zum Tragen und das machte immer sehr viel aus. Es war oft ein Martyrium, wenn ein Baum, der am hinteren Rand des angewiesenen Platzes stand und noch dazu in die falsche Richtung fiel. Der Platz war meist so ungefähr 50 x 50 m und wenn einer oder mehrere der am äußeren Rand stehenden Bäume in die falsche Richtung fielen, mußte man das Holz oft 70 - 80 m tragen. Durch dieses Holztragen sind immer die meisten zum Schlappkommando gekommen. Dort wurden sie wieder aufgepapperlt. Das dauerte meist nur 1 oder 2 Monate, dann waren sie wieder arbeitsfähig.

Im Juni oder Juli 1946 war es wieder zum Wandern für einige hundert Mann. Es ging in das letzte Lager im Kaiski Reion, in das Lager Karelniki. Das war das am weitesten Richtung Norden, in Richtung Achangelsk gelegene Lager. Ein ganz neu angelegtes Lager. Die Baracken waren alle in richtiger, echter Blockbauweise aufgezimmert. Einige waren noch nicht fertig. Die mußten die Kriegsgefangenen selber fertig machen. Das war eine sehr interes-sante Arbeit. Ich mußte da mit Hugo Maier, einem Grazer (gebürtiger Südtiroler) mit nur einer Zugsäge und einem gewöhnlichen Hobel Fensterstöcke und Türstöcke machen. Zum Stemmen mußten wir einfach das Hobeleisen aus dem Hobel nehmen. Da lernte ich ein bißchen Tischlerarbeit, wie man Fenster- und Türstöcke in Schwalbenschwanzform zusammen zimmert. Das Aufzimmern der Wände war teilweise harte Arbeit. Es waren lauter 20 - 25 cm dicke Stämme, meist 5 - 8 m lang und grünes Holz. Das ist natürlich auch ganz schön schwer. Das war lauter schönes, ausgesuchtes, ganz gerades Holz. Das mußte man aufeinander legen, anritzen, wieder herunter heben, aushacken, dann den oberen Balken mit Moos belegen. Das Moos bewirkte die Dichtung. Dann den ausgehackten Stamm darauf legen und mit Holznägel niedernageln. Das wurden sehr warme Baracken. Nicht nur für uns, sondern auch für Wanzen, Flöhe und Läuse.

Ich war nur einige Tage bei dieser schönen Arbeit, dann mußte ich wieder in die 16. Brigade, das war die im ganzen Gebiet bekannte, beste Rekordbrigade, die österreichische Brigade unter Brigadier Bammer Heinz aus Graz.

Da ich mir immer das beste Werkzeug aussuchte, wo bei mir der Ohlinger Lois immer ein bißchen behilflich war, hat es mir eigentlich nicht viel ausgemacht. Ich bekam schnell wieder den schönsten Waldbestand und jeden Tag wieder meinen Rekord. Einen bekannten Koch hatte ich auch schnell wieder. Das war diesmal der Gassner Franz aus Grein an der Donau. Bei dem machte ich gleich ein bißchen Ordnung. Ich mußte alle Tage seine Socken auswaschen, denn er hatte sehr starke Schweißfüße. Und da fiel halt bald wieder ein Suppennachschlag ab.

Der russische Natschallnik in dieser Werkstatt war ein Bruder zum Natschallnik im 4er Lager. Das war der Kussmin Anietzki, 40 Jahre alt. Viel älter als Stanislaus. Den dritten Bruder habe ich nie gesehen. Dieser Kussmin war ein sehr ruhiger, braver Russe. Er hat sich sehr gerne und freundlich mit Kriegsgefangenen unterhal-ten. Auch er hauste ganz armselig hinter einem Bretterverschlag in der Werkstatt, aber wahrscheinlich ganz alleine. Sein Bruder hatte sich immer eine Wolgadeutsche zum Schlafen geholt.

Ich ging da ca. 1,5 Monate in den Wald.da muß ich mich einmal richtig verkühlt haben. Ich bekam richtige Schmerzen im Rücken und konnte einige Tage die Norm fast nicht erfüllen. Ich meldete mich krank beim Einmarsch am Abend. Der Brigadier meldete es auch dem Arzt. Ich mußte in die Ambulanz. Der Arzt untersuchte mich. Er sagte: "Nitschiwo!". Das heißt, das ist nicht schlimm. Am anderen Morgen vor dem Ausmarsch ging ich wieder hin, meldete, daß die Schmerzen schlimmer würden, daß ich auch nichts essen könnte. Mein Glück war, daß an dem Morgen eine russische Ärztin da war, die hat mich auch untersucht. Die hat gleich gesagt, der Mann hat eine Lungenentzündung, der kann nicht in den Wald gehen, der muß ins Revier zur Behandlung. Der Russenarzt sagte: "Im Revier ist kein Platz, da ist alles voll." Sie sagte wieder, der muß ins Revier. So haben sie eine Zeit lang hin und her beraten und gestritten, was sie mit mir machen werden. Die Ärztin sagte dann zu mir: "Geh' einstweilen auf die Baracke und leg' dich hin. Vielleicht wird bald Platz im Revier, dann holen wir dich." Ich ging auf die Baracke, legte mich hin und wartete bis sie mich holen. Ich wartete und wartete. Tagelang kam niemand. Es wurde alle Tage schlechter. Wenn die Kameraden vom Wald heimkamen und zu mir auf die Pritsche stiegen und mit mir reden wollten, hatte ich direkt Angst zu antworten, so weh tat mir das Luftholen und Antworten. Es dauerte 9 oder 10 Tage, wo es jeden Tag schlechter wurde. Ich konnte nichts mehr essen. Da kam dann der Kamerad Gruber Josef aus Garsten bei Steyr zu mir und sagte: "Probier einmal mein Weißbrot. Ich kann das Schwarzbrot schon wieder essen. Ich hatte es verschrieben bekommen, weil ich Ruhr hatte." So sagte er zu mir und gab mir seine Portion Weißbrot und das hat mich gerettet. Das brachte ich hinunter und jeden Tag ein bißchen mehr. Nach ein paar Tagen kannte ich, daß ich über dem Berg bin. Der Appetit wurde immer besser. Ich konnte mit den Kameraden wieder reden. Der Gruber Sepp hat immer mein Schwarzbrot und ich sein Weißbrot gegessen. Nach ungefähr einer Woche bekam ich Hunger, umhergehen konnte ich auch wieder. Bei der Arbeitsbrigade war ich abgemeldet, bei der Ambulanz oder im Revier war ich nicht angemeldet, da ja die ganzen 15 oder 18 Tage kein Arzt oder Ärztin - einfach niemand - bei mir Nachschau gehalten hat. Ich war vogelfrei. Untertags, wenn die Brigaden im Wald waren, bin ich schnorren, besser gesagt betteln gegangen. Von der Küche zur Bäckerei, von der Bäckerei zur Küche. In der Küche fiel höchstens ein Tröpferl Suppe ab, aber in der Bäckerei ,da hat es dann richtig eingeschlagen. Ein Gefangener wie ich, der auch kein Bäcker war, hat mich hineingeholt in die Backstube und hat gesagt: "Hilf mir halt ein bissl beim Formputzen und Schmieren. In den Formen bleiben oft schöne Ränder drin picken, die kannst du herauslesen und essen." Das hab ich natürlich mit Freuden gemacht. Es dauerte nur ein oder zwei Tage, da mußte ich den ganzen Tag in der Bäckerei bleiben und mitarbeiten. Bei den russischen Bäckernatschallnik und auch bei dem Bäckermeister, einem Niederösterreicher, hatte ich schnell Sympathie gewonnen. Der mich hineingeholt hat, war ein Bayer, ein Deutscher namens Schmid Alois. Er hatte schnell überzogen, daß ich als Österreicher fast ein bisserl bevorzugt bin gegen ihn als Deutschen. Er schaffte mir soviel starke Arbeit an, daß es mir wieder zu blöde oder zu stark sein würde, daß ich wieder abhauen würde. Aber das ist ihm nicht gelungen. Ich mußte mithelfen beim Teigmischen. Der Teig war in einem Holztrog. 200 - 250 kg Mehl aufeinmal und das 2 oder 3 Mal am Tag. Da hab ich mir schon hin und wieder gedacht, jetzt breche ich zusammen. Und das Formanfüllen. Ich mußte die leere Form hinstellen, der Ignaz haute den Teig in die Form, ich mußte immer 2 und 2 gefüllte Formen nehmen und in der Backstube auf den Boden hinstellen. Das waren an die 200 Formen. Da hab ich mir auch anfangs oft gedacht, jetzt bricht mir das Kreuz ab. Beim Einschießen war es wieder dasselbe. Ich mußte die Formen wieder immer 2 aufeinmal vom Boden aufheben und dem Ignaz Keresdorfer oder dem Lois auf die Schüssel stellen zum Einschießen. Durch das ständige Bücken mit dieser Belastung bekam ich anfangs immer einen wahnsinnigen Muskelkater. Beim Ausschießen ist es dasselbe. Aber ich hab immer wieder die Zähne zusammengebissen und hab mir gedacht, du mußt durchhalten und ich hab auch durchgehalten. Wie der Schmid Lois gesehen hat, daß er mich nicht umbringen kann, wurde er ein bißchen mäßiger zu mir.

Mit dem russischen Natschalnik hab ich mich sehr gut verstanden. Er war schon ein alter Mann, um die 60 - 70 Jahre. Er sagte einmal zu mir, daß ich zu meinem Geburtstag einen ganzen Pochanki Kleb (einen ganzen Struzen Brot) bekomme. Auf den freute ich mich natürlich wahnsinnig. Ich bekam ihn auch. Ich mußte auch bei nachts öfters in der Bäckerei arbeiten. Es mußte das ganze Brot in einen absperrbaren Raum in der Backstube geschlichtet werden. Die Backstube zusammenkehren war auch immer meine Arbeit. Bei dieser Arbeit war ich einmal alleine und da hab ich an meine hungrigen Kameraden gedacht und hab einen Pochanki Weißbrot versteckt, den wollte ich mitnehmen auf die Baracke. Wie es halt sein mußte, kam gerade, als ich weggehen wollte, ein russischer Offizier in die Bäckerei. Er wollte Brot haben. Ich traute mir nicht, ihm eines zu geben, da alles abgesperrt ist, erklärte ich ihm. Denn ich mußte damit rechnen, daß er mich ausprobieren wollte und solche Schiebereien werden in Rußland unmenschlich hart bestraft. Ich bin der Meinung Diebstahl, wenn er noch so klein ist, wird in der Welt nirgends so hart bestraft wie in Rußland und trotzdem wird nirgends sowiel gestohlen wie in Rußland.

Als der Russe in die Backstube kam, wußte ich momentan nicht, wo ich meinen Pohanki Weißbrot hingeben sollte, daß er ihn nicht sieht. Da ich hinten beim Wasserkessel stand, bei dem das Wasser zum Teigmachen aufgewärmt wurde, habe ich den Struzen schnell in den Wasserkessel hineingehauen, den Holzdeckel drauf. Da der Russe sah, daß ich ihm kein Brot geben konnte, ist er Gottseidank bald wieder weg. Ich hab dann mein Brot sofort aus dem Kessel genommen. Ich weiß es heute noch, als wäre es gestern gewesen, so gut war das Brot, die harte Rinde schön aufgeweicht durch das warme Wasser. Ich hatte Angst, das Brot sei durch und durch naß, aber es war nur die äußere Rinde schön weich. Das hat mir so wohl getan, da ja meine Zähne fast alle locker waren durch den Skorbut.

Ein anderes Mal kam auch ein russischer Offizier in die Backstube. Das war kein Rotarmist, das war ein Militz oder N.K.B.D. Offizier in Uniform. Auch ein älterer Herr um die 60 70 Jahre. Ich war auch alleine in der Backstube. Er fragte mich vorerst um den Natschallnik. Dann fragte er mich, ob ich der Meisterbäcker bin. Ich erklärte ihm, daß ich nur aushilfsweise hier bin, daß ich sonst Lessabowalltschiki bin (Waldarbeiter). Er fragte weiter, wo ich in Gefangenschaft kam, wo ich zuhause bin. Da ich ihn schnell als gutmütigen, aber armen Teufel einschätzte, haben wir sehr offen miteinender diskutiert. Ich hab ihm erzählt, daß im ersten Lager in Stalingrad Begetowka in 3 1/2 Monaten 45.000 verhungert und erfroren sind. Er sagte mir, daß es auch für Sakritschurni Lager gibt, wo hunderte verhungern und erfrieren. Das Ende von unserem Gespräch war dann das, was ich von Anfang an vermutet habe, daß er nicht mehr als ein hungriger Russe war. Er fragte mich, ob ich ihm nicht ein Stückchen Brot geben könnte. Ich konnte ihm wirklich keines geben, weil das ganze Brot eingesperrt war. Aber weil ich sah, daß er so ein netter Kerl ist, aber ein armer Teufel, hab ich zu ihm gesagt: "Ich kann dir etwas anderes geben." Die Küche mußte für die Rekordisten Lieroschki backen, das sind so Weckerl wie bei uns die Salzweckerl, etwas kleiner. Die hat der Koch abends nach der Essensausgabe herüber gebracht. Die wurden den Rekordisten zur Frühsuppe und Frühbrotportion zusätzlich gegeben und von dem Körberl, wo ungefähr 50 oder 60 Stück drinnen waren, mit einem Mehlsack abgedeckt, hab ich 3 so Weckerl herausgenommen und ihm gegeben. Ich traute meinen Augen nicht, er nahm mich um den Hals, küßte mich, bedankte sich bei mir wie ein kleines Kind. Dieses Erlebnis werde ich mein Leben nie vergessen. Man merkte oft, daß die Russen genauso gehungert haben wie wir Kriegsgefangene.

Es war in der zweiten oder dritten Woche, da bekam ich in der Früh beim Brotausschießen momentan sehr starke Bauchschmerzen. Ich konnte mich nicht mehr bücken. Wie wir mit dem Ausschießen fertig waren, haben mich der Ignaz und der Lois auf die Baracke gebracht. Es war ca. 7 Uhr früh. Ich muß da schon bewußtlos gewesen sein, weil ich von dem nichts mehr weiß. Wie ich wieder zu mir kam, saß der Oberarzt Dr. Gruber neben mir auf der Pritsche. Es war schon 5 Uhr Nachmittag. Er sagte zu mir, daß es nur eine sehr starke Kolik war, nichts lebensgefährliches, aber ich soll, wenn ich in der Bäckerei schwitze, ja nicht ins Freie gehen, sonst würde eine Kolik gefährlich.

Dieser Dr. Gruber war ein wahrhaft guter gewissenhafter Arzt. Er war nur für die Kranken da. Sein ganzes Leben hat er nur den Kranken gewidmet. Schade daß dieser Engel nicht älter wurde. Ein Herzinfarkt hat ihn aus seinem noch jungen Leben gerissen. Er war an der Front als Truppenarzt sehr beliebt, ist immer in der vordersten Linie gewesen, wurde auch im Kessel Stalingrad gefangen, hat in den Gefangenenlagern überall als Lagerarzt gearbeitet. Die Russen hätten ihn immer gezwungen, er solle politische Wandzeitungen schreiben. Er sagte zu den Russen: "Ich verstehe nichts von Politik, ich bin Arzt. Er hat sich nie zur Politik hinreißen lassen, ein Bravo heute noch: Dr. Franz Gruber.

Er kam auch Ende 1947 aus der Gefangenschaft heim, wirkte in Linz im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern als Chefarzt. Die Schwestern haben in Ried i.I. das Krankenhaus gekauft, da wurde er wieder Chefarzt bis zu seinem Tod.

Es kamen einmal 2 fremde Russen, die ich nie gesehen hatte. Die waren Freunde von unserem Natschallnik. Sie saßen alle drei am Boden und tranken Trosche. Sie wurden immer lustiger. Gesungen und gewerkt haben sie, als wären alle 3 besoffen. Der Ignaz hat mir dann gesagt, die sind besoffen, von dieser Trosche. Die Trosche ist ein Gärgetränk. Reines weißes Weizenmehl wird mit siedenden Wasser und Hopfen und Zucker angerührt, bleibt einige Tage in einem Holzbottich stehen und durch die Gärung entsteht Alkohol. Daher wurden sie besoffen. Da besoffene Russen gefährlich sind, bin ich auf die Baracke. Der Natschallnik hat mir am anderen Tag einen Becher voll gegeben. Ich muß sagen, sehr gut zum Trinken, etwas süßlich und man merkt deutlich den Alkohol.

Noch ein Getränk wird dort noch gemacht aus alten Brotstückerln. Es ist ein Holzbottich, da ist lauwarmes Wasser drin, da werden die Brotreste von der Bäckerei hineingeworfen und nach einigen Tagen ist es säuerlich wie Most. Das hatten wir in der Bäckerei zur freien Entnahme und heißt "Gwast", die Trosche war immer abgesperrt.

Leider war es mir nicht vergönnt, diese Bäckerarbeit länger zu tun. Irgendjemand hat mich verraten, daß ein Lungenkranker in der Bäckerei arbeitet. Ich wurde zum russischen Arzt geholt, mitten under dem Brotmischen, mußte mich nackt ausziehen wie bei jeder monatlichen Kommission. Der Arzt sagte, nachdem er mich ganz kurz untersucht hatte: "100 %, morgen gehst du wieder in den Wald." Aus der Traum. Wer mich da vernagelt hat, erfuhr ich nie. Jedenfalls vermutete ich die Antifaschisten.

Da ich ja bei den Desertnicks, bei den Wolgadeutschen Mädchen und auch bei dem russischen Waldmeister Grischer sehr bekannt war, bekam ich gleich wieder einen Platz mit schönen Bäumen, ein gutes Werkzeug hat mir der Ohrlinger Loisl wieder verschafft und bald hatte ich wieder meinen Rekord.

Es kam bald die Zeit, wo im Wald die Beeren reif sind. Da sind wir immer tiefer in den Wald hinein, wenn wir mit der Norm oder mit dem Rekord fertig waren. Jeden Tag weiter und weiter und einmal hatten wir beschlossen, nur die Norm zu machen und nach der Mittagsuppe sofort loszumarschieren. Wir waren da 6 oder 7 Kameraden, Bruckmüller Wollmut, Moser Hans, Kemetmüller, Botlutzki Erwin, Oberer Toni. Die anderen weiß ich nicht mehr. Wir gingen ca. 4 - 5 km tief in den Wald, der Wald war grün und nicht mehr abgebrannt. Es waren dort und da kleine Plätzchen, wo Beeren standen. Es waren Heidelbeeren und so eine Art wie schwarze Ribisl. Aufeinmal kamen wir auf einen Platz da waren Beeren in rauhen Mengen. Jeder machte das Kochgeschirr voll und aß noch was der Magen fassen konnte. Um ca. 4 Uhr sagten wir, jetzt müßten wir schnellstens zurück, denn um ca. 5 Uhr pfeifen die Posten zum Heimmarsch. "So jetzt gemma", und jeder wollte in eine andere Richtung gehen, da begann das Zittern, jeder sagte, da sind wir hergekommen, der andere behauptete, da sind wir hergekommen. Und so deutete jeder in eine andere Richtung. Es war wahrscheinlich schon bei jedem die Aufregung oder Todesangst, daß wir keinen richtigen Anhaltspunkt gefunden haben. Wir beschlossen, einer muß hier stehenbleiben, alle anderen gehen jeder in eine andere Richtung. Aber nicht weiter weggehen, daß wir uns mit Rufen nocht verständigen können. Es ist doch nicht möglich, daß wir gar nichts finden, wo wir herkamen. Es wurde nichts gefunden. Es herrschte unter uns schon Todesangst. Wir berieten hin und her was wir machen könnten. Wir rechneten, wie lange wir mit den Beeren auskommen, wenn wir nicht in die richtige Richtung gehen, denn wir kämen dann immer tiefer in den Urwald und dort würden wir vor Erschöpfung umfallen, einer nach dem anderen.

Nun passierte ein Wunder wie den drei Königen vom Morgenland, die nach Betlehem wollten. Wir gingen ca. eine halbe Stunde in die Richtung, wo die meisten von uns glaubten, es sei die richtige. Aufeinmal sahen wir von weitem jemanden gehen, dann blieb er wieder stehen und hat an den Bäumen etwas gemacht. Zu dem sind wir sofort hin. Vielleicht weiß der einen Ausweg. Es hätte nichts besseres sein können. Es war ein Wisieroftschiki, das ist der Russe, der die neuen Strecken ausvisiert, wo dann später die Zentrale, die Schmalspureisenbahn gelegt wird. Der hatte einen Kompaß. Wir haben ihm erklärt, daß wir Kriegsgefangene aus dem Lager 101-Karelniki sind, daß wir die Norm gemacht haben und sind dann Beeren suchen gegangen und wissen nicht mehr, von welcher Richtung wir gekommen sind. Er schaute auf seinen Kompaß und zeigte uns die Richtung, wo wir wieder zu unserem Platz kämen. Was für ein Glück, das klingt wirklich wie ein Märchen. Wir hatten tatsächlich die falsche Richtung. Darum sahen wir überhaupt nichts mehr, was bekannt sein könnte. Um ca. halb 8 Uhr abends sind wir dann wieder an unserem Arbeitsplatz angekommen. Wir hatten Angst, die Posten werden uns jetzt verdreschen, aber die waren selber froh, daß wir wieder da waren. Die sagten, habt ihr denn die Sirenen von der Papierfabrik nicht gehört. Denn es gingen alle Tage bis in die Nacht hinein alle halbe Stunde die Sirenen, weil sich oft auch Russen im Wald verlaufen und nicht mehr zurück finden. Aber wir waren so tief im Wald. Außerdem ist die Papierfabrik ca. 30 km weiter südlich. Unser Brigadier Lamer Heinz, ein Grazer, sagte uns, die Posten hätten uns schon aufgegeben, entweder haben sie den Rückweg nicht mehr gefunden, dann werden sie im Wald zusammenbrechen und von den Wölfen aufgefressen und sie haben die Flucht im Sinn, dann werden sie auch von den Wölfen angefallen.

Nun eine andere Geschichte, die ich auch nie vergessen werde. In der Nacht auf der Pritsche hatte ich einmal einen Traum, der muß sehr lang gewesen sein. Ich ging zu Fuß heim nach Österreich, obwohl jeder wußte, daß aus diesem Gebiet kein Entkommen möglich war. Ich ging durch die Linzer Stadt, redete mit Leuten, ich ging über Wolfsegg nach Ottnang zu meinen Verwandten, zum Ähnl, er war schon über 90, der freute sich, daß ich wieder da bin, die Tante, Taufgodn wollte mir was zu essen richten. Ich sagte, ich geh schnell heim, ich komm ein anderesmal, ich ging übern Rothauptberg, herunter übern Riegl, da sah ich von weitem, daß in unserer Brunnwiesn die Kühe auf der Weide sind und daß das Schwesterchen Resi sie hütet. Ich ging hin zu ihr, wir fielen uns beide um den Hals. Auf einmal, oh' Schreck, wurde ich wach, ich kannte mich momentan nicht aus, was ist denn da los, ich bin ja noch gar nicht zuhause, ich bin ja noch in Rußland. Ich hab mich fürchterlich geärgert, daß das nur ein Traum war, aber es nützte der ganze Ärger nichts. Du bist weiter nur ein Gefangener und so hoffte ich halt, daß der Traum vielleicht eines Tages Wirklichkeit werde.

Nun wieder zurück zur Arbeit. Der Meister Less (Waldmeister) Grischer hat uns erzählt, daß drüben bei den Sakritschurni eine Frau ist, die täglich 15 rm Holz macht. Es war uns einfach unglaublich. Der Grischer sagte: "Gehn' wir einmal hinüber, dann könnt ihr zuschauen, wie die arbeitet." Er nahm uns mit, Bruckmüller Otto, Wollmut Schul, Haspe Franz und die anderen weiß ich nicht mehr. Wir waren 5 oder 6 Mann. Wir haben dieser Frau eine Zeit zugeschaut. Wir konnten nicht mehr als staunen. Sie war eine muskulöse Frau, wie ein Boxkämpfer. Die Haare hatte sie auch so kurzgeschnitten wie wir Gefangene, die Bekleidung wie wir. Wenn sie nicht einen Büstenhalter getragen hätte, hätten wir sie sicher für einen Mann gehalten. Geschwitzt und gedampft hat sie wie ein Pferd, das man recht jagt. Wir haben mit ihr ein bißchen geredet. Ich habe sie gefragt, was sie für diese Leistung kriegt. Sie sagte zu mir: "Einen Bolschoi Spaßiba, Bolschoi nehuija." Das heißt einen großen Dankeschön, keinen Schwanz mehr. Ich dachte mir dann, die weiß schon, warum sie das macht. Die macht das nur einige Monate und dann bricht sie zusammen und kriegt dann in ihrem Lager einen schönen Posten. Es war ja bei unseren Kriegsgefangenen dasselbe, wenn einer durch die Rekordarbeit schwach würde, der bekam im Lager bestimmt einen schönen Posten, wenn's auch oft nur auf eine kurze Zeit war.

Nun ein kleines Schauspiel mit Otto Bruckmüller und Waldmeister Grischer. Der Waldmeister Grischer kam öfters die Wolgadeutschen Mädchen zu kontrollieren. Am meisten beim Messen. Er war ein sehr kleiner aber großgoscherter Russe in Zivil. Er war auch ein Sakritschurni, ein richtiges Znichterl. Die Mädchen hatten große Angst vor ihm. Wenn es ihm einfiel, nahm er sich sogar im Wald so eine Vorarbeiterin, die mußte sich hingeben, ob sie wollte oder nicht. Jede hatte Angst, sie müßte sonst selber wieder holzschneiden gehen. Und der Grischer hat beim Otto Bruckmüller und beim Wollmut Schurl den Holzstapel nachgemessen und hat mit seinem Meterstab einige Holzrollen hinunter gestoßen, weil er ein paar Äste gesehen hatte, die länger als 3 cm waren. Den Otto packte die Wut und er fing mit ihm zu schimpfen an. Er schrie ihn an: "Du hundsverbrunzter Russe. Ist dir das vielleicht zuwenig, daß wir alle Tage soviel machen?" Der Russe fing zu laufen an und lief davon, der Otto haute ihm noch die Hacke nach. Entweder ist die Hacke ganz knapp am Grischer seine Füße vorbei, oder ist sie ihm direkt zwischen den Füßen durchgeflogen. Wir waren schon gespannt, was jetzt im Lager mit Otto passieren wird. Und gar nichts ist passiert. Der traute sich keine Meldung machen, da er selber mehr als genug Butter auf dem Kopf hatte. Der Otto und der Schurl haben immer miteinander gearbeitet, haben daher immer nur einen Stapel. Aber fast immer Rekord, die hatten oft 12 - 14 rm. Der Schurl hat das meiste geschnitten, der Otto hat gestappelt. Beide waren große, starke Burschen. Beide waren im Vormarsch Brückenbaupioniere bei der 100. Gebirgsjägerdivision.

Über die Holzstapel machten sich bei Nacht auch öfters die Eisbären lustig, auch Wölfe suchten unter dem gestapelten Holz etwas. Vielleicht hat man hin und wieder einen Brotbrösel verloren. Man nahm sich hin und wieder ein Stück Brot mit in den Wald, denn die dünne Suppe hat nie lange angehalten. Außerdem wurde jeden Tag eine ganze Brotportion mitgenommen für die Nina, denn sie war so gut zu uns Österreichern, richtig "brüderlich". Darum hat sie von uns jeden Tag eine Brotportion bekommen. Es kam jeden Tag ein anderer dran, der die Portion dem Brigadier Bamer Heinz geben mußte. Er gab si dann der Nina. Dafür bekam dann der von jedem ein Stückchen Brot. Der brachte dann oft mehr zusammen als seine Portion ausmachte.

Wir alle waren der Meinung, die Ungarn haben dasselbe gemacht. Die hatten oft fast mehr Rekordisten als wir Österreicher.

Ein sehr interessantes Ereignis erlebten wir im Spätherbst 1946 im Lager Karellniki. Wir waren mit dem Abholzen schon wieder nahe 10 km draußen vom Lager, da sah man aufeinmal einen leeren Fleck. Man sah Wiesen und kleine Äcker und so große Erdhaufen, und von Haufen zu Haufen immer was hinüber laufen Wir waren so weit entfernt, daß wir es nicht erkannten, was da von Haufen zu Haufen lauft. Erst als sich die Posten ein Fernglas mitnahmen und das beobachteten sagten sie immer: "Eta Ludi, Eta Ludi." Das heißt: "Das sind Leute, das sind Leute." Nach einigen Tagen kamen fremde Offiziere mit Ferngläsern, die schauten auch so vorsichtig hin, als wären sie an der Front. Auch die sagten immer: "Das sind Leute, das sind Leute." Die gingen wieder weg. Nach einigen Tagen kamen mehrere Rotarmisten bewaffnet und die Offiziere, die schon einmal da waren. Sie gingen hin zu den Erdhaufen. Es kamen Leute heraus, echte Naturmenschen. Sie sprachen echt russischen Dialekt und erklärten, sie seien schon 300 Jahre allein im Wald. Sie haben beim Beerensuchen nicht mehr zurückgefunden. Da sie Vieh, Hafer und Kartoffel mithatten, konnten sich ihre Vorfahren einfach hier ansiedeln. Da sie Wasser, Milch, Hafer und Kartoffel hatten, haben sie nie gewagt, weiter zu gehen, und so wurde es eine kleine Siedlung. Die Wohnräume waren nichts anderes als lange Stauden, die wurden in Bogen beiderseits hintereinander in die Erde gesteckt. Ein dünneres Gewächs hineingeflochten, der Kuhmist mit Erde gemischt, das Holzgeflecht mit diesem Gemisch innen und außen verschmiert. Die Bekleidung bestand aus Pelzsachen, die Schuhe waren aus reinem Holzgeflecht, mit Fellen ausgelegt. Die Felle, die sie um die Füße gewickelt hatten, waren mit Schnüren, die sie auch aus irgendeinem Kraut machten. Die wehrfähigen Männer mußten bald weg, vielleicht zur roten Armee oder sonst in einen Arbeitsdienst. Die Russen brachten ihnen bald Geschirr, Geld und Bekleidung, Brot und so verschiedenes. Die Frauen brachten uns einigemale Milch. Wir gaben ihnen Brot. Die Frauen sagten zu uns, daß die Soldaten sich das Geschirr, das Geld und die anderen Sachen behalten sollten, dafür die Männer wieder zurückbringen. Die Leute hatten ganz weiße, gesunde Zähne. Die Männer trugen einen langen Kinn- und Schnurrbart. Interessant zum Anschauen. Es waren noch einige ganz alte Männer, die von dem großen Waldbrand erzählten. Es kam ein sehr starker Regen, sonst wären sie auch verbrannt. Sie wußten vom Ersten Weltkrieg nichts und vom zweiten Weltkrieg auch nichts.

Weil ich gerade von einem starken Regen geschrieben habe, fällt mir wieder was Schönes ein. Wir waren schon in dem grünen Wald. Es wurde alles umgeschnitten, richtiger Kahlschlag. Die "Bless" war schon un die 30 - 50 ha groß. Es kam ein starker Gewitterregen. Die meisten von uns hatten sich aus Baumrinde ein kleines Dach gemacht. Vom Stapel ein paar Rollen von den oberen hervorgezogen und die Baumrinde darüber und das Dach war fertig. Da haben wir uns darunter gesetzt. Als der Gewitterregen vorbei war, hat der Botlutzki Erwin einen Jodler in die "Bless" hineingejodelt. Das hab ich heute noch in den Ohren, als wäre es gestern gewesen. Der Wiederhall, die reine Luft nach so einem Gewitterregen, das war einfach wunderbar und unvergeßlich.

Nun vom Gewitterregen in die Kälte. Es brach wie fast immer die Kälte sehr bald und überraschend ein. Die Küche mußte mit Pferdegespannen das Produkt vom 1-er-Lager holen. Bis sie zurück kamen, vergingen einige Tage. Inzwischen wurden wir mit rohen, sogar teils gefrorenen Kartoffeln versorgt, ein Stückerl Brot und sonst nichts. Warum uns die Kartoffel nicht gekocht wurden, weiß ich nicht mehr. Nur das eine weiß ich noch ganz genau: Ich bekam 3 Stück Kartoffeln, ungefähr hühnereigroß, und ganz weich, weil sie gefroren waren. Wenn man sie ein bisserl gedrückt hat, ist der Saft herausgekommen. Der Wiesinger Franz aus Ried, der zu dieser Zeit Strafarbeit leisten mußte, hat 2 gute Kartoffel bekommen. Er sagte zu mir, ob ich ihm nicht die schlechten Kartoffel geben möchte, er gibt mir die guten. Ja warum, sagte ich. Ja, er möcht Scheißerei kriegen, daß er krank geschrieben wird. "Ich bringe die Norm nicht zusammen. Ja wenn ich einmal soviel machen könnte wie du, daß ich auch das ganze Brot krieg". Da hat er geweint wie ein Kind. "Da schau", hab ich gesagt, "jetzt weil du selber die Norm machen mußt, willst dich drücken, solange hast du die kranken Kameraden einsperren lassen im Karzer, wenn sie die Norm 5 Tage hintereinander nicht erfüllt haben. Da hast es", hab ich ihm mitten ins Gesicht gesagt. "Verrecken sollst du damit." Er wurde mit russischen Frauen erwischt, jetzt mußte er mit unserer Brigade strafweise in den Wald gehen. Die Norm hat er nie erfüllt.

In der Bäckerei ging das Mehl aus. Pferdegespanne kamen nicht mehr durch. Wir waren einige Tage ohne Brot. Es wurden von den Krankgeschriebenen ein Trupp mit ungefähr 30 Mann zusammengestellt. Jeder mußte sich einen Stock oder einen Ast, ca. 1 Meter lang, richten, und so marschierten wir in den tiefen Schnee den Pannifahrern entgegen. Der Schnee war fast einen Meter tief. Es war verständlich, daß die Pannifahrer nicht mehr weiterkamen. Die Schlitten fielen immer wieder um. So mußten wir das Mehl heimtragen. Es wurden da immer zwei Mann für einen Mehlsack bestimmt. Die mußten 2 Stöcke in die Hand nehmen. Einer vorn, einer hinten. Da wurde ein Mehlsack, schätzungsweise 50 kg, quer darüber gelegt. So mußten sie losmarschieren. Als ich die Mehlsäcke sah, kitzelte es in mir. Mensch, hab ich mir gedacht, jetzt mußt du einmal deine Kraft zeigen, ob ich so einen Sack alleine auf die Schulter bring'. Dann würde ich mit dem Sack schneller gehen als die anderen und wenn ich soweit vorn bin, daß sie mich nicht mehr sehen, dann würde ich den Sack abstellen und mit meinem Löffel, den man ja immer bei sich hatte, ein Loch in den Sack bohren und etwas Mehl in meine Hosensäcke organisieren. Wie gedacht, so getan. So habe ich meine Hosensäcke mit Mehl halb gefüllt, denn auffallen darf ich ja auch nicht. Gegessen hab ich natürlich auch etwas. Mir selber war es unerklärlich und den anderen noch mehr, wie so etwas möglich ist. Es waren einige Kilometer zu gehen. Das Schlimmste war, wenn man von dem ausgetretenen Steig daneben gestiegen ist. Da bin ich 2 oder 3 mal mit meinem Mehlsack in den Schnee gefallen. Aber ich hab den Sack immer wieder schön auf die Schulter gebracht und war immer ein schönes Stück vor den anderen. Als wir im Lager ankamen, hab ich meinen Sack gleich so hingelegt, daß man das Loch nicht sehen konnte. Es war auch schon finster. Es dauerte lange bis die letzten kamen, aber den anderen Tag hat mir mein ganzes Knochengerüst wehgetan. Nur weiß ich heute nicht mehr, warum ich an dem Tag auch krankgeschrieben war.

Es war einmal in der Früh beim Ausmarsch wieder richtig kalt. Wir mußten am Flur stehenbleiben und schauen, was das Thermometer anzeigt. Auf einmal sagt einer zu mir: "Sepp, dei Nasn is weiß, gefroren." Wir haben die Nase gleich mit dem kalten Schnee eingerieben und ich bin in die Baracke hinein. Es sind auch die anderen in die Baracke gekommen, denn es hatte wieder 40 Grad minus, daher heute noch meine blaue Nase, wenn es kalt ist.

Wahrscheinlich im November 1946 bin ich wieder so schwach geworden, daß ich selten den Rekord machen konnte. Es spielten da schon mehrere Sachen mit. Im Frühjahr schickte der Russe einige Kranke heim. Seitdem der Krieg aus war, war das Essen, besser gesagt die Suppe, immer schlechter geworden. Immer weniger Fett und Salz. Das Brot wurde auch immer minderwertiger. Es war oft Stroh und Pfleim dabei. Schlecht ausgebacken, man mußte beim Portionenschneiden das Messer in Wasser tauchen, daß es nicht so klebte.

Und die ständigen Parolen, die haben uns oft so richtig zermürbt. Immer wieder sagten die Russen, nur noch ein paar Wochen, dann fahrt ihr nach Hause. "Sgoro Homoi", diese beiden Wörter sind uns schon beim Hals herausgewachsen. Im 4-er-Lager zum Beispiel waren an die 60 Posten, die uns bewacht haben. Davon hat nur einer lesen können. Wenn eine russische Zeitung gekommen ist, haben sich alle im Kreis am Boden hingesetzt und einer hat die Zeitung vorgelesen. Dann wurde die Zeitung sofort schön brüderlich aufgeteilt. Denn das russische Zeitungspapier ist das beste Zigarettenpapier für den Mochorka. Alle russischen Posten erzählten uns, was in der Zeitung stand. Die Kommissare, die Antifaschisten, teils auch die Brigadiere, versprachen uns immer wieder, daß es bald besser wird und so kam jeden Tag eine neue Scheißhaufenparole und das zermürbte einen total. Man hatte oft überhaupt keine Arbeitslust mehr. Mich hat der Lagerkommandant von der Karelmiki einmal gefragt, warum ich nicht mehr soviel Holz mache. Ich hab ihm erklärt, daß der Weg in den Wald schon wieder sehr weit ist, daß teilweise so wenig Bäume sind, daß man einen sehr großen Platz braucht, daß man die Norm voll kriegt, und am meisten ist Schuld, weil ich zuwenig zum Essen habe. Jetzt hat der Russe zu mir gesagt, natürlich alles in Russisch: "Weißt du was, du gehst mit den anderen in den Wald, machst deine Norm, und gehst sofort wenn du die Norm fertig hast, alleine heim und gehst in die Brotschneiderei Portionen schneiden helfen." Na das war vielleicht ein Wort. Er hat mich in der Brotschneiderei gleich angemeldet. Den anderen Tag bin ich schon so um 3 Uhr nachmittag in der Brotschneiderei angekommen. Es waren dort 2 Russen und 2 Gefangene. Die Brotschneiderei war im Lagerinneren. Ich grüßte die Russen in russischer Sprache. Sie waren auch gleich nett zu mir. Einer fragte mich gleich, ob ich Hunger hab. Ich sagte ihm: "Ja, ich hab seit der Früh nichts mehr gehabt. Im Wald zu Mittag einen halben Liter Suppe. Das ist alles." Er gab mir gleich ein Stück Brot: "Setz dich hin und iß", sagte er zu mir. Er war auch ein ziemlich alter Russe, ganz weiße Haare. Der zweite Russe war wahrscheinlich ein Girgise. Er hat mit uns fast nichts geredet. Er konnte wahrscheinlich selbst schlecht Russisch. Ich mußte die Kastenbrote vom Regal zum Tisch hin tragen. Da standen 2 Gefangene, die die Kastenbrote in Portionen schnitten. Daneben standen 2 Russen, die die Portionen gewogen haben. Er hat, wenn die Portionen zu schwer waren, ein Stückerl oder mehrere Stückerl heruntergeschnitten, bis es halt stimmte. Wenn es zuwenig war, hat er halt dann soviele Stückerl daraufgelegt, bis es stimmte. Dieser Raum war ein schmaler aber sehr langer Raum. Ganz an der hinteren Wand war der Tisch, besser gesagt ein Brettergerüst,darauf waren 2 Waagen, da wurde auf 2 Partien geschnitten und gewogen. Die vier Mann, die beiden Russen und die beiden Gefangenen, standen immer so bei dem Tisch, daß sie den Rücken zur Eingangstür zeigten. Die Regale gingen beiderseits an der Wand bis zur Tür und das verleitete mich wieder zum Organisieren (Sabralisieren) oder wie man es nennen will, auf Deutsch gesagt Stehlen. Diese Baracke war wie alle anderen aus Holz gezimmert. Vor der Einganstür lagen 2 Holzrollen, so 15-20 cm dick. Darauf waren Bretter genagelt, also ein kleines Brückerl. Das war mir sehr gelegen, daß ich mein Vorhaben leichter ausüben konnte. Es ist in der Nacht jeder einmal oder mehrmals auf die Latrine gegangen. Überhaupt wenn von der Küche hin und wieder ein Eimer voll Suppe kam. Und so mußte auch ich hin und wieder auf die Latrine. Ich hab die Gelegenheit gehabt, die eigentlich keiner hatte, alle vier hielten den Rücken zur Tür. Ich hab mit einer Hand um einen Brotstrutzen und mit der anderen um die Türschnalle gegriffen, bin hinaus, hab das Brot sofort unter die Brücke geschoben und ging weiter auf die Latrine. So konnte ich an die 3 Monate fast jede Nacht einen, manchmal sogar zwei Strutzen hinausschmuggeln. Wenn wir nachts fertig waren, hat der alte Russe zu mir gesagt: "Du gehn schlafen, du morgen arbeiten." Die anderen mußten noch die ganze Brotschneiderei zusammenkehren, oft aufwaschen. Ich konnte allein gehen. Ich hängte meinen Mantel um und ging, nahm das Brot schnell aus dem Brückerl, nahm es unter den Arm und ging erst Richtung Latrine und dann erst auf die Baracke. Ich gab das Brot jeden Tag einem anderen, denn ich hab ja vom Russen jeden Tag eine Portion extra mitgekriegt. Jetzt konnte ich immer sogar das Brot, das ich von der Brigade gekriegt habe, einem anderen überlassen. Ich hab auch denen gesagt, das Brot muß sofort in Portionen geschnitten werden, sofort aufteilen und sofort essen, denn wenn eine Kontrolle wäre, was ja oft der Fall war, das kein ganzer Strutzen zum Vorschein kommt. Es war manchmal der Fall, daß ich nicht alleine aus der Brotschneiderei ging, dann ließ ich das Brot unterm Brückerl liegen und hab auf der Pritsche meinem Nebenmann Schmid Sepp aus Sigharting bei Schärding einen Stoß gegeben, hab ihm gesagt, er soll auf die Latrine gehen. Er wußte, was er zu tun hatte. Er hat den Mantel umgehängt. Der Weg ging an der Brotschneiderei vorbei zur Latrine. Er nahm das Brot aus dem Brückerl und brachte es auf die Baracke. Es ist nicht nur mir, sondern der ganzen 16. Brigade besser gegangen. Jeder hatte wieder mehr Kraft. Jeder konnte wieder die Norm oder Rekord leichter machen. Es wurde die Norm sogar auf 4,20 Rm hinaufgesetzt. Es war die Norm, die die Wolgadeutschen Mädchen auch hatten. Es ist fast unglaublich, daß die, die nur von dem, was sie von der Brigade empfangen haben, soviel Kraft hatten, daß sie diese Norm machen konnten.

Anfangs Februar 1947 mußten wir wieder alle zur monatlichen Kommission. Der österreichische Lagerkommandant Hans Zeichmann stand neben der russischen Kommission und sah so zu, wie wir einer nach dem anderen nackt vor die Kommission treten mußten. Als die österreichische Brigade an der Reihe war, hat der russische Arzt zum Zeichmann gesagt: "Ist das die "Obzluga Brigade"?". Das heißt, ist das die Lagerbrigade, weil alle so gut aussehen. Der Zeichmann Hans sagte zu den Russen, daß dies nicht die Lagerbrigade sei, sondern die österreichische Brigade, die 16. Brigade, die beste Rekordbrigade unter Brigadier Bamer Heinz, die verdienen soviel Brot und Zusatzkascha, manchmal kriegen sie auch mehr Suppe, wenn in der Küche etwas übrig bleibt. Darum schauen sie so gut aus. Das hab ich ganz genau gehört, weil ich gerade auch ganz neben dem Zeichmann Hans stand. Ich hab mir gedacht, wenn du wüßtest, wieso die 16. Brigade so gut aussieht, würdest du bestimmt anders reden. Vielleicht hätte er mich sogar verraten.

Wir wußten, daß wieder ein Transport weg muß vom Lager, der Zeichmann fragte die Russen, wo der Transport hingeht und was es dort für Arbeit gibt. Ich verstand nur, daß es dort zum Straßenbau und Barackenbau ist, die Stadt hab ich nicht verstanden.

Um Mitte Februar hieß es: "Alles antreten!" Es wurden alle Namen vorgelesen, die für den Transport bestimmt wurden. Es konnten dann alle wieder auf die Baracke gehen. Zwei Posten gingen mit mir in die Baracke und durchsuchten meine Pritsche, denn mußte ich mitgehen in die Wachstube, dort standen noch zwei Posten und der Leutnant Petkuh, für den ich den Kinderwagen machte. Er erkannte mich sofort und sagte zu mir: "Sto takoi Josef, was kleb sapralli." Er wußte nicht, daß ich der sein werde, den sie da abführen sollten. Er schaute mich sehr erschrocken an und sagte nochmal zu mir, warum ich Brot gestohlen habe. Ich hab ihm gleich erklärt, warum sollte ich denn Brot stehlen, ich hab doch jetzt genug. Ich hab ihm erklärt, daß ich nach der Arbeit jeden Tag in die Brotschneiderei gehen darf und dort mithelfe beim Brotschneiden. Und der alte Natschallnik gibt mir jeden Tag ein großes Stück Brot mit in die Baracke. Ich gebe sogar die Portion, die ich von der Brigade krieg oft meinen Kameraden, weil ich es nicht brauche. Es blieb für mich immer nur ein Rätsel, wer mich diesmal vernagelt hat. Jedenfalls wenn ich mit dem Leutnant Petkuh nicht so gut bekannt gewesen wäre, hätte mir das bestimmt mehrere Jahre Zwangsarbeit in Sibirien bedeutet. Er fragte mich noch, ob ein anderer Brot auf die Baracke bringt. Ich sagte, ich weiß nichts. Jedenfalls nicht in die österreichische Brigade. Er glaubte mir alles. Er fragte mich, ob ich auch dabei bin, die jetzt in den Kaukasus fahren. Ich sagte ja. Er sagte: "Dort wirds euch heiß genug." Jetzt wußten wir, daß wir in den Kaukasus fahren. Und das war alles für diesmal. Niedergeschlagen und spekulierend ging ich auf die Baracke. Einigen meiner besten Kameraden sagte ich Bescheid. Aber sonst blieben wir still bei der Sache, vielleicht verrät sich einer.

Um den 17. oder 18. Februar 1947 hieß es, alle antreten, die weggehen, alles mitnehmen. Das Packen zum Wandern war nie ein Problem, denn man hatte nicht mehr als, was man sowieso am Leib hatte. Hin und wieder hatte einer einen Brotbeutel, da war aber auch alles andere als Brot drin, meistens eine wärmere Haube oder Handschuhe, die sich einer selbst gebastelt hat oder ein paar überzählige Socken, Fußlappen oder ein überzähliges Hemd und Unterhosen. Das war aber immer sehr gefährlich, denn bei den Razzias wurden immer wieder die überzähligen Sachen abgenommen. Das Eßgeschirr war bei den meisten nur mehr leere Konservendosen. Den Löffel hatte man sowieso immer in der Tasche, und so war man immer innerhalb weniger Minuten marschbereit.

Jeder freute sich, daß wir von dem Verbannungsgebiet wegkommen, denn die Kälte und die schwere Arbeit hat auch hier wieder viele das Leben gekostet. So hofften wir, schlechter kann es nirgends werden. So marschierten wir im tiefen Schnee ins 4-er-Lager. Dort lagen wir wieder 2 Tage und Nächte, dann ging es mit denen, die auch vom 4-er-Lager zum Abtransport bestimmt waren, Richtung 1-er-Lager. Da standen die Waggons, in die wir verladen wurden, wie Rinder, bereit. Es standen auch wieder Posten mit schweren MG bereit, daß ja keiner durchbrennt. Es mußten alle nochmals bo tschetieri, das heißt zu viert, antreten. Es wurde nochmals, man muß sagen mehrmals gezählt, denn beim ersten Mal stimmte es ja nie. Dann wurde jeder namentlich, nach dem Alphabet aufgerufen. Der konnte dann in den Viehwaggon klettern.

Es war der 22. Februar 1947, einen Meter Schnee, 30°C minus. Nach 28 Tagen Bahnfahrt immer Richtung Süden herrlicher Frühling, 10 - 20 cm Graslänge. Es war fast nicht zum Glauben, daß es so etwas in einem Land gibt. Es ist halt doch größer als Österreich.

Die Fahrt ging vom Keiskij Reion, das ist zwischen 500 und 700 km nordöstlich von Kiroff, nach Lessnaija, Kiroff, Gorkij, Pensa, Saratow, Kamyschin, Ilowinskaja, über die Wolga, Stalingrad, Nishn Baskuntschak, Astrachan, Paku, Kirowabad, Tiflis, 20-30 km südlich Elbrus, Brombloschatka. Das sollten 6000 km sein, wurde uns gesagt. Am 20. März wurden wir in Kirowabad umgeladen auf Lastwagen. Dann ging die Fahrt immer im Gebirge Richtung Tiflis zur Brombloschatka. Das war nun die Endstation von dieser Reise. Diese Reise wäre halt schön im Personenwaggon oder in Bussen, aber nicht in Viehwaggons.

Auf 1600 m Seehöhe kamen wir in lauter steingemauerte Baracken. Die unerwünschten Einwohner waren noch mehr wie im Norden: Wanzen, Flöhe, Läuse.

Nun zur Fahrt selber. Es waren an die 15 Waggons, davon 11 oder 12 Viehwaggon mit je 40 Gefangenen, ein Küchenwaggon, auch ein Viehwaggon, ein Viehwaggon mit den Küchenprodukten, ein Personenwaggon mit dem russischen Begleitpersonal, mit Wachpersonal. Die Kloanlagen in den Viehwaggons waren denkbar bilig. Am Waggonboden ein Loch, und da hock' dich hin. Nachher tust du den Holzdeckel wieder drauf und fertig. Man brauchte das Loch oft nur alle 3-4 Tage, denn das Essen war so wenig, daß man das Loch eben nicht öfter brauchte, es sei denn, es hatte einer Durchfall oder Ruhr. Die waren wirklich arme Teufel. Es war kein Stroh oder sonst etwas am Boden, aber wenigstens ein Ofen, daß wir einheizen konnten.

Es gab jeden Tag zweimal Suppe und 20 dag Brot. Das war alles. So rumpelte der Zug immer weiter nach Süden.

Nach einigen Tagen wurde ich wieder in die Küche geholt, arbeiten helfen. Einen Bekannten in der Küche zu haben war halt immer ein Glück. Diesmal war es der Gassner Franz aus Grein an der Donau. Ich weiß es nicht mehr, wie ich mit ihm befreundet wurde. Ich brauchte nur immer umrühren im Suppenkessel und nachlegen, daß das Feuer nicht ausgeht. Da sind oft Russenposten von Station zu Station bei mir neben dem Kessel gestanden. Ich mußte ihnen erzählen über mein Zuhause, über den Vormarsch, hauptsächlich über Stalingrad. Das war das Interessanteste für sie.

Im Bahnhof Pensa blieb der Zug mehrere Stunden stehen. Es wurde Suppe und Brot ausgeteilt. Die Waggontüren waren alle offen, was eigentlich vorher nie war. Es wurden immer nur eine nach der anderen aufgemacht und die Suppe mit Eimern in den Waggon gereicht. Da sah man von weitem eine Unmenge Leute stehen. Das war der Basar, der Wochenmarkt. Da fängt der Botluzki Erwin zur Waggontür hinaus zum Jodeln an. Die ganze Menschenmenge bewegte sich herbei zu uns. Sie erkannten, daß wir Woena Bleni sind: "Kriegsgefangene". Sie boten uns verschiedenes an, aber wir konnten nichts kaufen, weil wir kein Geld hatten. Einige von uns sind sogar aus den Waggons gesprungen und haben mit den Russen etwas geschachert. Die Posten haben dann die Waggontüren zugemacht und der Zug mußte wegfahren. Ein Stück außer dem Bahnhof mußte der Zug wieder anhalten, weil einer beim Schacherln zurückgeblieben ist. Den mußten die Posten zu Fuß nachholen. Es ging wieder weiter Richtung Saratow, Sensewka, Alikow Katschalinskaja, Richtung Stalingrad. Als wir in der Nähe von Stalingrad waren, fiel ein Schuß. Der Zug blieb stehen, die Posten liefen um den Zug herum. Sie stiegen wieder in ihren Waggon ein und einer stieg bei mir ein. Er sagte zu mir: "Jetzt schau hinaus. Da draußen ist Stalingrad." Dann schrie er hinaus: "Mauschna bojechale!". "Geht, weiterfahren." Er erlaubte sich wegen mir diesen Jux, aber ich konnte nichts sehen, es war finstere Nacht. Es ging in dieser Nacht noch ostwärts über die Wolga nach Nishn Baskuntschak. Dann immer südlich Richtung Astrachan. In Astrachan fuhren wir wieder bei Nacht über eine 14 km lange Brücke, im Schritttempo. Man sah von weitem die schön beleuchtete Stadt Astrachan. Es ging nochmals über eine sehr lange Brücke. Die beiden Brücken gingen westwärts über die Wolga, dann gings westlich vom Kaspischen Meer Richtung Baku. Auf dieser Strecke hielt der Zug einmal in einem größeren Bahnhof wieder einige Stunden. Die Waggontüren wurden wieder alle geöffnet. Es war ja schon sehr warm, da war schon Frühling. Es wurde wieder Suppe und Brot ausgeteilt. Nach dem Essen schaute man halt ein bisserl in der Gegend herum. Aussteigen durfte niemand. Von weitem sah man ein großes Denkmal mit einem 3-4 Meter hohen Josef Stalin. Wie er die Hand ausstreckt und mit dem Zeigefinger auf irgend etwas zeigt. Ich nahm mein Kochgeschirr, hielt es zur Waggontür hinaus, Richtung Denkmal und schrie: "Vergelt's Gott, Sepp, für die guate Suppn!". Dann kamen die Posten alle zu mir und fragten was ich da hinausgeschrien hab. Ich hab es ihnen erklärt, daß ich mich für die gute Suppe bedankt habe. Sie haben eine Weile beraten, was sie machen sollten. Sie vermuteten wohl, daß es mehr Spott war, aber weil die meisten von ihnen immer wieder in den Küchenwagon kamen, um zu schnorren, haben sie halt nur die Waggontür zugemacht und es ging wieder weiter.

In der Nähe von Astrachan in einem Bahnhof sahen wir wie die Gleise direkt ins Meer gelegt waren. Da standen Waggons die von einem Kranbagger mit fast ganz weißem angeschwemmten Salz beladen wurden.

Als wir in die Nähe von Baku kamen, sahen wir von weitem einen Wald von hohen Bäumen ohne Äste, glaubte man. Als wir näher kamen, sah man, daß das lauter Bohrtürme waren. Als wir im Bahnhof Baku einfuhren, sah man, daß die Gleise teilweise unter Öl waren, soviel Öl stand am Boden. Wenn man aufs Meer hinaussah, sah man, daß einige Kilometer hinaus ein Ölfilm auf dem Wasser schwimmt. Na,da werden wir gute Fische kriegen, dachten wir.

Es wurde aber nicht lange gehalten, da der Bahnhof nicht groß war. Wir mußten weiter in einen anderen Bahnhof, wo es wieder Suppe und Brot gab.

Nochmal zurück in den Bahnhof in Astrachan. Es wurde uns gesagt, es sind da an die 300 Gleise und das Stellwerk ist am höchsten Punkt. Beiderseits geht es bergab. Die Züge, die einfahren, bleiben einige 100 Meter vor dem Bahnhof stehen, die Waggon, die in ein anderes Gleis rangiert werden, werden abgehängt und der Transport wird von hinten über die Höhe geschoben, und jeder Waggon läuft von allein weg in das Gleis hinein, wohin er eben bestimmt ist. Unser Transport bestand aus 15 Waggons, die rollten in einem immer schneller werdenden Tempo über die Gleise. Dann sah man das Gleis, auf dem wir wahrscheinlich bleiben, aber man sah von weitem, auf dem Gleis steht schon ein Güterzug. Da werden wir aufprallen. Aber bevor der Transport auf den anderen aufprallte, hörte man schon ganz deutlich das Pfeifen und Zischen von der automatischen Abbremsung von unten. Das war ein wahres Wunderwerk. Es war nur schade, daß man im Viehwaggon war, denn es müßte die Fahrt jetzt wunderschön gewesen sein, denn auf der einen Seite das Meer, auf der anderen Seite das Kaukasusgebirge. Die Waggontüren waren, Gott sei Dank, jetzt immer offen auf einer Seite, auf der anderen Seite konnte man nur beim kleinen Fenster hinausschauen.

Am 20. März kamen wir in Kirowabad an. Es wurde nochmals Suppe und Brot ausgeteilt, dann hieß es: "Alles mitnehmen, aussteigen und antreten!". Es wurde wieder gezählt. Wir wurden einem anderen Wachkommando übergeben. Es standen eine Kolonne Lastwagen bereit, die wir dann besteigen mußten. Es mußten auf jeden Lastwagen 40-50 Mann hinauf. Es wurde eine höllische Fahrt durch das kaukasische Gebirge. So schön es war, weil man das ganze Gebirge beobachten konnte, aber so gefährlich, denn es waren wirklich alte, ausgediente Lastwagen. Die Bordwände wackelig. Wenn es in eine Kurve ging, hatte man Angst, sich an der Bordwand festzuhalten, denn die würde bald aufbrechen. Man merkte, daß die Chaffeure rücksichtslos gegenüber den Fahrgästen und noch mehr gegenüber den Fahrzeugen waren. Es ist ja alles Staatseigentum, da gibt es eben keine Rücksicht.

Wir kamen immer höher hinauf. Man merkte es schon an den Ohren. Es war als höre man schlecht. In der Nähe von Tiflis, so zwischen 30 und 40 km südlich vom Elbrus sahen wir schon das aus Granit gemauerte Barackenlager. Wir waren froh, daß wir die Fahrt ohne Unfall überstanden hatten. Es hieß wieder absteigen und antreten. Es wurde wieder gezählt, dann nationenweise in die Baracken. Es kamen wieder schöne 21 Tage Quarantäne. Es wurden inzwischen die Brigaden je nach Gesundheitszustand sehr unterschiedlichen Arbeiten zugeteilt. Es gab da sehr gefährliche und auch sehr schöne Arbeiten. Die gefährlichste war der Granitbruch. Die schönste Arbeit war die Maurerarbeit. Die Norm war da bei den Steinmauern sehr leicht zu erfüllen. Die Straßenbauer hatten es schon ein bisserl schwerer. Es gab auch eine Tischlerbrigade, die hatten es auch sehr schön. Es wurden da einige Baracken aufgestellt. 40 Meter lang und 12 Meter breit, und alles in Holz, Fertigbauweise, die Wände innen und außen an einem 10 cm starken Holzgerüst vernagelt, innen mit Glaswolle gefüllt. Das wurden sehr schöne, moderne Baracken. Die wurden für je 3 Familien bestimmt. Die wurden alle mit Wellen-Eternit gedeckt.

Eine sehr schlechte Arbeit hatten die Straßenbauer, die die großen Löcher bohren mußten für die Sprengungen. Es wurden da entlang eines Hanges senkrecht die Löcher für die Sprengung gebohrt. Alle 2 Meter ein Loch, das seichteste war 2 Meter tief, das tiefste war 17 Meter tief. Da bohrten bei jedem Loch 2 Mann. Einer hielt und drehte den Meißel, der andere haute mit einem schweren Hammer drauf. Die beiden wechselten sich ab. Die Löcher waren 80 cm x 60 cm. Die bohrten immer mehrere 30 - 40 cm tiefe Löcher mit einem 30 oder 40 mm Bohrer und wurde wieder gesprengt, so bohrten sie sich und sprengten sie sich mit kleineren Sprengungen in die gewünschte Tiefe. Es wurden da an die 200 Löcher, wie schon gesagt, von 2 bis 17 Meter Tiefe gebohrt. Die wurden alle mit der genau berechneten Menge Amonal geladen und alle aufeinmal elektrisch gezündet. Diese ausgesprengte Trasse wurde mit einem Catapillar angeebnet und schon fuhren von der anderen Seite Lastwagen herauf, die kippten einen etwas feineren Schotter ab. Der Catapillar machte das wieder gleichmäßig eben und da hab ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Lastwagen gesehen, der sich selbst entladet, also einen Kipper.

Ich mußte in die Pronbloschatga. Das war der Steinbruch. Das war die gefährlichste Arbeit. Der Steinbruch war schätzungsweise 200 Meter breit und 20 m hoch. Man mußte die Blöcke von der Wand mit Brecheisen in der Hand herunterbrechen. Unten mußten sie auf so kleine Blöcke geklopft oder gespalten werden, daß man sie händisch auf einen Lastwagen verladen konnte. Die Norm war da pro Mann 1,2 rm. Wer einigermaßen Glück hatte, hatte die Norm oft in ein paar Stunden fertig. Aber wenn einer einen Klotz erwischte, der sich nicht leicht spalten ließ, der hat oft den ganzen Tag hingehauen wie ein blöder. Der Stein wurde rund, dann brachte er überhaupt nichts mehr herunter. Die Klötze mußte man dann entweder liegenlassen oder über die Straße hinaus in die Tiefe verschicken. Es wurde aber doch jeden Tag soviel gemacht, daß für alle die Norm geschrieben werden konnte. Ich hatte da wieder ein großes Glück. Der Mann mit dem ich zusammenarbeiten mußte, war von Beruf Steinmetz. Der hat den großen Klotz eine halbe Stunde rundherum angeschaut, dann hat er auf der richtigen Stelle draufgehauen und der Stein fiel auseinander. Der hieß Peter Petersen, ein Norddeutscher. Ein prima Kamerad. Er hat es auch den anderen gezeigt, wie man es richtig macht. Es war da so, daß sich nicht alle an die Wand hinauf trauten zum Herabbrechen. Jetzt haben wir zu dritt heruntergebrochen. Die anderen haben unten gespalten und neben der Straße aufgestapelt zum Messen. Da sind einige schwere Unfälle passiert. Wenn gerade nichts zum Stapeln war oder zum Verladen auf die Lastwagen, haben sich die, die das Stapeln und Verladen machen mußten, unten auf einen Stein gesetzt und haben gewartet, bis wieder etwas zum Stapeln oder Verladen war. Wie halt alle Gefangenen schon interessenlos wurden, was in einem solchen Steinbruch passieren könnte, hat niemand geschaut, wenn ein Stein von oben herunter saust. Die meisten waren ja plattenförmig. Die rutschten hinunter, aber wenn einer rund war, der rannte oft bis auf die Straße. Und so mußte es eben passieren. Die Verlader und Stapler saßen unten am Rand des Schutthaufens. Der Schutthaufen war um einen Meter höher als die Straße. Ein runder, großer Stein kam von oben herab, rollte über den Schutthaufen, wo die Steine alle gespalten werden hinaus und erwischte einen genau hinten am Rücken, stieß ihn hinunter auf die Straße, zerquetschte ihm den ganzen Kopf, Brust und Bauch. Ich weiß aber den Namen des Verunglückten nicht mehr. Ein anderes Mal saß der Ohrlinger Lois auch unten und wartete auf Lastwagen. Aufeinmal kam ein kleiner Stein von oben, in der Große wie ein großer Eisstock, ziemlich rund, mit einem schnellen Tempo. Er erwischte den Ohrlinger Lois am Ohr und an der Schulter. Der hatte da wirklich ein riesiges Glück.

Auch ich hatte einmal großes Glück beim Herunterbrechen. Die Wand war ca. 20 Meter hoch. Ich stand ziemlich weit oben und arbeitete mit meiner Brechstange an den Klüften. Aufeinmal geht ein riesiger Block auf mich zu. Ich drehte mich um und sprang hinunter in den Schutthaufen. Der Block zerteilte sich, rutschte beiderseits von mir vorbei. Wie ich da aufatmete, brauche ich wohl nicht näher erläutern.

Einige Tage später hatte ich ein anderes Erlebnis. In der Gegend liefen mehrere Tiere umher. Es waren Ziegen, eine eigene Rasse. Sie sahen fleischiger aus als unsere. Einige von ihnen stiegen immer am oberen Rand des Steinbruches umher. Ich bin auch ganz hinaufgeklettert und hab mir gedacht, hoffentlich kommt eines von den Viechern so nahe, daß ich es erreichen kann. Und es gelang mir. Ich erreichte eine, zog sie sofort unter meinen Bauch, würgte sie ab. Ich schickte den Peter Petersen hinunter zum Brigadier Lamer Heinz um ein Messer zum Nachmachen von Schaufelstielen, sagte ich ihm. Er wußte nicht, wofür ich das Messer brauche. Ich habe die Ziege schnell gehäutet, die Innereien in die Haut gewickelt und schnell im Schutthaufen vergraben und das ganze eine halbe Stunde vor dem Heimmarschieren; vor 2 Posten oben außerhalb des Steinbruches, 2 Posten beiderseits des Steinbruches. Sie haben nichts bemerkt. Zum Glück hatte ich den Paschtlik mit, daß ich den größten Teil einpacken konnte. Ein Stück gab ich Schmid Sepp und Peter Petersen. So gingen wir ins Lager. Ich schlich mich nach der Essensausgabe in die Küche und der Koch Gassner Franz, für den ich immer Socken waschen mußte, hat uns das Fleisch gekocht. Wir haben unser mehrere, wo wir sicher waren, daß sie den Mund halten werden, in der Nacht das Fleisch noch verzehrt. Heimlich lachte unser Herz, wenn oft einer sagte, so eine Goaß fang ma uns noch. Da dachten wir uns: "Ihr Deppn, wir haben schon längst eine gefressen!".

Und noch etwas ist vom Steinbruch nennenswert. In der ersten Juliwoche hatte es 71°C Hitze. Das war im Steinbruch innen. Das war ein halbrunder Kessel, Südabhang, kein Wind konnte hinein. Die Steine waren so heiß, daß sie durch die Schuhsohle, die war aus Gummi, durchbrannten. Wir bekamen dann Schuhe mit Holzsohle.

Diese Temperatur war in der Sonne. Ich schätze im Schatten waren es dann vielleicht 45 oder 50°C gewesen Diese Hitze hielt eine ganze Woche an. Die freilaufenden Tiere kamen auch von den Bergen herab, die haben oben auch nichts mehr zum Fressen gefunden.

Es war schon Ende April, da haben Russen eine Dreschmaschine zum Getreidedreschen mit 6 Paar Ochsen als Vorspann und 2 Paar hinten dran zum Zurückhalten bei unserer Baustelle vorbeigefahren. Wie man auch sehen konnte, haben die Russen mit einem dicken Holzprügel gebremst. Die haben den Prügel übers Rad, unter den Dreschkasten gesteckt und fest niedergedrückt. Das war die Sicherheitsbremse, falls es die vier hinteren Ochsen nicht halten hätten können. Die vorderen Ochsen hingen alle an einer Kette, die ging mitten durch die Paare und jedes Paar hatte einen Holzprügel in den Nacken gebunden, der wiederum an der Kette gebunden war. Das war wie bei uns auch früher vor 80 100 Jahren das Joch. Schade, daß man sowas nicht fotografieren konnte. Wir waren da auf einer Straßenbaustelle ziemlich weit weg vom Lager. Wir wurden da mit den Lastwägen hin und zurück gefahren. Es ist da einmal etwas Schreckliches passiert. Bei einem Lastwagen haben wahrscheinlich die Bremsen versagt. Der Lastwagen ist mitsamt den Gefangenen hinausgesaust und sicher an die 200 Meter abgestürzt. Ich weiß nicht, wer die Toten waren und wer die Unglückstelle räumte, wenn sie überhaupt geräumt wurde. Ein anderes Mal ist in einer Kurve die Bordwand aufgebrochen. Zum Glück an der Bergseite. Die Gefangenen, die da von der Ladefläche hinausgeflogen sind, sind an eine Felswand geflogen. Es gab einige Knochenbrüche, ziemlich viele Verletzte, aber, Gott sei Dank, keinen Toten. Es war wirklich eine Sauerei, was man mit den Kriegsgefangenen alles machte. Es sah aus, als hätten einige Russen Wohlgefallen, wenn viele Menschen und Material zugrunde gehen.

Jetzt muß ich ein bißchen über die Erntearbeiten schreiben, die man da bei den Russen sehen konnte. Es war ziemlich hoch oben im Gebirge ein ebener Platz, vermutlich eine richtige Natursteinplatte, schätzungsweise 20 x 20 Meter. Das Getreide wurde zu Feld in Bündeln gebunden und mit Eseln am Rücken zur Dreschstelle getragen und schön rund im Kreis aufgeschlichtet. Mehrere Esel, meistens sechs oder sieben Stück, waren an einem Strick nebeneinander gebunden. In der Mitte stand ein Russe, der hielt in einer Hand den Strick und in der anderen Hand eine lange Peitsche. So mußten die Esel solange im Kreis herumgehen oder laufen bis das Getreide ausgedroschen war. Dann kamen Frauen, die haben dann das Getreide samt dem Stroh mit Holzschaufeln in die Höhe geschmissen. Der Wind blies das Stroh in die Seite und das Getreide blieb schön auf der Steinplatte liegen. Heute könnte man sagen: umweltfreundlich!. Wo der Dreschwagen, den wir da einmal gesehen haben, eingesetzt und mit was er angetrieben wurde, haben wir nie gesehen.

Mehrmals wurden wir auf eine Baustelle Richtung Kirowabad gebracht, auch mit Lastwagen. Das war ziemlich weit unten. Da sah man größere Felder. Da sahen wir, was man sich fast nicht zu erzählen, noch weniger schreiben getraut. Es wurde da mit 6 Paar Ochsen ein Pflug, ein Einscharerpflug gezogen. Der Pflug war ein ca. 15 cm dicker Baumstamm. Die Schare war die Wurzel. Wenn es von meinen Kameraden nicht auch gesehen worden wäre, getraute ich mir es nicht zu erzählen. Hinten ging ein Mann nach, der den Pflug hielt, mit beiden Händen, wie es bei uns früher auch war. Bei den ersten beiden Ochsen saß ein Russe auf den Hörnern mit einer langen Peitsche. In der Mitte ging die Kette, an der der Pflug hing. Die Joch waren alle an die Kette gebunden. Es kann sich niemand vorstellen, wer es nicht selber gesehen hat, was die 6 Paar Ochsen für einen großen Raum brauchten zum Umkehren.

Ein bißchen anders ging es bei einem anderen Ackersmann zu. Der hat mit einem kleinen Caterpillar, oder war es ein Traktor mit Laufketten statt Räder? einen echten Zwei-Scharenpflug, keinen Wendepflug, mit einer ungefähr 2 Meter langen Kette gezogen. Der fuhr immer im Kreis rundherum, wo die Kurve ein bißchen enger war, machte der wieder einen Peham. So sagte man bei uns früher. Wie es dann in der Mitte aussah, kann man sich vorstellen.

Zu dem allem jetzt etwas Kurioses! Wie in jedem Lager kamen russische Kommissare und haben uns politische Vorträge gehalten und es paßte genau: Nachdem wir das alles mit eigenen Augen gesehen hatten, erklärte uns ein Kommissar, die Russen seien in der Technik, in der Industrie und in der Landwirtschaft um 50 Jahre voraus in der Welt. Also wenn man sowas hörte, konnte man sich nur seinen Teil denken. Wer's glaubt, wird selig.

Nachdem ich in diesem Lager mehrere Arbeiten ausgekostet hatte, kam ich die letzten 2 Monate in die Tischlerbrigade. Das war dann eine schöne Arbeit. Es wurden da mehrere Baracken von den Gefangenen aufgestellt. Wie ich vorher schon berichtet habe,

sind das alles Fertigbauteile. Jedes Brett hat seinen Platz und seine Bestimmung und wie es halt bei den Gefangenen ist, kamen immer wieder Zivilisten, um etwas zu schachern. Und in diesem Fall waren es halt hauptsächlich Brettln und wenn sie noch so klein waren, die haben jedes Brettl brauchen können und wir waren um jedes Stück Essen froh. Es war für uns ein wahres Glück, daß wi, bevor die letzte Baracke fertig sein sollte, heimfuhren, denn es fehlten eine sehr große Menge Bretter. Die dann die Baracke fertig machen mußten, werden uns bestimmt nachgeflucht haben.

Es kam nun die Zeit, wo die Parolen immer häufiger wurden. Die Parolen vom heimfahren. Man hörte immer wieder was anderes, aber man glaubte bald nichts mehr, denn wenn der Krieg schon mehr als 2 Jahre aus ist und wir sind noch immer Kriegsgefangene, die um ihr nacktes Leben schwerste, gefährliche Arbeit leisten müssen. Man war am Rande der Verzweiflung. Es war im letzten Lager, als ich in der Tischlerbrigade arbeitete. Das war erstens eine schöne Arbeit, zweitens bekamen wir erstmals Geld für die Arbeit. Es waren für 10 Tage immer 7 Rubel. Man mußte da bei den Russen Natschallnik unterschreiben. Der Russe hielt auf die Zahl, die im Buch stand, die Rubel die wir kriegen sollten, die Hand drauf. So hat man uns zuletzt noch ums Ohr gehauen. Man konnte sich dort auch was kaufen. Ein Bündel taubeneiergroße Zwiebel. 5 Stück kosteten 5 Rubel. Es durften aber nur Antifaschisten, die eine eigene Armbinde hatten, einkaufen gehen. Man konnte Milch, Brot, Kartoffel, Weintrauben, und verschiedene Gemüse kaufen.

Es ist auch einige Male passiert, daß einfach Posten kamen und haben Barackenrazzia gemacht und haben uns die paar Rubel wieder abgenommen. Ich mußte einmal mit einem Korb von der Küche in ein nahe liegendes Dorf Brennesselsuchen gehen. Da hab ich so zwischen den Häusern Brennessel gepflückt. Da kam eine Frau heraus und unterhielt sich mit mir. Eine fesche, schwarze Armenierin. Sie sagte, daß sie es anfangs nicht glaubten, daß wir deutsche Kriegsgefangene sind, denn ihnen sei einmal gesagt worden, daß Deutsche Hörner haben. Außerdem sprachen wir fast besser Russisch als sie. Ich hab von ihr eine "Kariatsche Blinse", einen heißen Lebzelten gekriegt. Ach, war das was Gutes.

Diese Brennessel wurden im Lager gedünstet und als Vitamin verteilt. Genauso, wie in den Lagern im Keiskireion das rohe Kraut. Ein roher Brotteig etwas verdünnt, Schildkrötenfleisch, als Medikamente verabreicht wurden für schuppige Haut, für Nachtblindheit, für Zahnausfall usw.

Das Lagerleben war wahrhaft noch schlechter als im Norden. Erstens die große Hitze, zweitens die vielen Flöhe. Man mußte oft nachts von der Pritsche herunter, hinaus ins Freie, auf freien Boden. Wenn man Glück hatte und noch auf einem grünen Rasen Platz fand, sonst mußte man auf nacktem Boden mit einer Decke schlafen. Da es aber bei Nacht auch immer schön warm war, konnte man im Freien gut schlafen. Es wurden da noch einige Baracken neu von unseren Gefangenen dazugemauert und zwischen den Baracken mußten grüne Rasen angelegt werden. Das wurde wieder eine Feiertagsbeschäftigung.

Jeden arbeitsfreien Tag mußten alle hinaus Rasen holen. Dieser Rasen war auch braun durch die Hitze. Ein kleines Kommando ging voraus mit Schaufeln. Die stachen den Rasen von einer ca. 1,5 km entfernten Wiese in ungefähr 30 x 30 cm große Stücke und jeder mußte 2 solche Stücke ins Lager tragen. Dort waren 2 oder 3 Mann, die legten den Rasen schön an, da mußte jeder 2 oft 3 Mal gehen.

Unterwegs mußte man an einem abgeernteten Kartoffelfeld vorbeigehen und das lockte mich halt wieder, ein bißchen zu stöbern. Ich suchte mir ein Stück Holz, das war wie ein großer Spann. Den nahm ich mit und ging ein wenig in das Kartoffelfeld hinein und bohrte mit dem Spann in der Erde herum, um eventuell übersehene Kartoffel zu finden. Aufeinmal bekam ich mit einem dicken, schweren Prügel eine übers Kreuz gehauen, daß es mich so richtig zusammenbog. Es war ein Russe, ein Zivilist. Das war für mich momentan als wäre mein Kreuz ab. Aber es hieß halt wieder einmal die Zähne zusammenbeißen, wenn sie auch schon wackeln, und weiterdienen. Das war mein erster Schlag und auch mein letzter Schlag, den ich von Russen bekommen habe.

Ein sehr trauriger Fall ereignete sich einige Wochen vorm Heimfahren in der Prombloschatka, im Steinbruch. Es war drüber der Straße eine abgesteckte Zone "Sabretna Zonna", "Verbotene Zone". Es durfte niemand über diese Zone hinübergehen. Einige Meter drüben waren schöne Beeren. Es dürften schwarze Ribisel gewesen sein. Einer von uns konnte oder wollte es nicht glauben, daß die Russen jetzt noch so kaltblütig sind. Er ging in der Mittagspause einige Meter hinüber, pflückte an den Beeren. Ein ganz junger Wachposten hat ohne zu schreien sofort geschossen. Der Mann brach zusammen und war sofort tot. Den Namen weiß ich leider nicht mehr. Aber es ist und bleibt uns der Fall unvergeßlich. Denn fast 5 Jahre um sein nacktes Leben schwer arbeiten und dann wegen ein paar Beeren das Leben einbüßen müssen!

Nun bevor ich über die Heimfahrt berichte, möchte ich nochmals über die Verpflegung im allgemeinen berichten. Im ersten Lager Beketowka wußte man sowieso nicht, was uns als Gefangene zustehen würde. Da sind in den ersten dreieinhalb Monaten 45.000 bis 48.000 verhungert und erfroren. Wir waren alle so schwach, man hat die wahre Situation nicht mehr erkannt. Aber in den nächstfolgenden Lagern wußten wir schon, daß uns pro Tag 600 Gramm Brot, zweimal 600 Gramm Suppe, einmal 200 Gramm Kascha, Butter oder so kleine fingerlange Fische, schätzungsweise so um 20 bis 50 Gramm zustünden. Die gab es nur hin und wieder. Wer in einer Arbeitsbrigade war und 100 %-ig war, konnte sich bis zu einen Kilo Brot verdienen. Nun zum Brot. Das schmeckte immer wie zuhause der beste Kuchen. Wenn es auch oft ohne Salz war, aber dafür Stroh oder Spreu noch dabei waren und oft zuwenig ausgebacken war. Die Hauptsache war, es gab eines.

Zur Suppe gab es mehr Abwechslung. Aber nur alle 10 Tage. Öfters nur monatlich, da gab es am häufigsten Hirsesuppe. Die wäre an sich sehr gut gewesen, wenn sie etwas dicker, mehr Salz und mehr Fett drin gewesen wäre. Bei der Kraut- oder Rübensuppe, wenn man sie langsam ausgelöffelt oder ausgetrunken hat, ist oft ein kleiner Löffel voll Sand im Kochgeschirr zurückgeblieben. Die Gerstengrützesuppe war immer sehr gut, etwas sämig, meistens etwas Fleisch mitgekocht. Nur das Salz war wenig. Der Kascha war immer aus demselben Produkt wie die Suppe. Es war entweder ein Hirsekascha oder Gerstengrützekascha. Zu den Krautsuppen gab es oft Grießkascha. Die Kascha waren oft sehr gut, wenn sie schön fettig waren, aber das war halt eine Seltenheit. Den Kascha gab es fast immer am Abend zum Abendessen für die Arbeitsbrigaden, die im Lager waren mittags. Man brauchte ein zweites kleines Kochgeschirr, bei den meisten war es eine Konservendose. Die Produkte an sich wären nicht schlecht gewesen, wenn es nicht so wenig gewesen wäre. Die Suppen wurden nach dem Kriegsende immer dünner, das Brot auch immer schlechter. Im Lager 101 wäre einmal ein Waggon Reis für das Gefangenenlager eingetroffen. Nach ein paar Tagen stand ein Waggon Kraut da und der Reis war verschoben. Und immer 10 Tage, oft Monate, jeden Tag dieselbe Suppe, wenn es wenigstens genug gewesen wäre.

Als Esszeug brauchte man nur den Löffel, Messer wäre immer verboten gewesen. Man hat sich aus einem abgebrochenen Sägeblatt öfters eins gemacht. Kamerad Gruber Anton aus Ungenach hat mehrere gemacht und hat sie an die Kameraden verkauft. Oft wurden diese Messer bei der Barackenrazzia wieder abgenommen. Dann machte man sich wieder aus Holz ein Messer. Man wäre ja ohne Messer auch ausgekommen. Man hatte ja sowieso die meiste Zeit keines. Man mußte halt beim Brot abbeißen. Eine Gabel hätten wir die gesamte Gefangenschaft nicht ein einziges Mal gebraucht. Dasselbe gilt für einen Tisch. Man setzte sich in der Baracke auf die untere Pritsche. In einer Hand das Kochgeschirr. In der zweiten Hand den Löffel. Das bitterste war immer, wenn von der oberen Pritsche eine Wanze in das Kochgeschirr fiel. Die zerbiß man dann im Mund. Das war immer ein miserabler Geschmack.

Das Waschen der Eßgeschirre war immer denkbar einfach. Man hat den Suppen- oder Kascharest einfach mit den Fingern herausgewischt und abgeschleckt, wie eine Katze ihre Pfoten. Da schleckte man solange bis das Geschirr sauber war. Das Kochgeschirr wurde meistens gewaschen, wenn man sich Wasser holte zum Gesicht- und Händewaschen. Man nahm einen mundvoll nach dem anderen, spuckte in feinen Strahlen in die Hände. So wusch man in kürzester Zeit Gesicht, Hände und Zähne. Seife oder Schmierseife gab es nur alle 10 Tage im Bad und das auch nicht immer. Das war in allen Lagern dasselbe.

(Tabak) Machorka sollte es alle 10 Tage eine Handvoll geben. Aber der blieb auch oft Monate aus. Den hab ich immer verschenkt, der war brutal stark zum Rauchen.

Etwas peinlicher war immer, wenn man bei Nacht auf die Latrine gehen mußte. Die war meistens und Gott sei Dank immer im äußeren Eck des Lagers. Daß wenigstens diese Lüfte nicht in die Baracken gingen. Aber wenn man da bei Nacht, ohne Licht, bei der größten Kälte oft hunderte Meter gehen mußte, das war immer ein Martyrium. Auch das Stehen oder Hockerln auf den Balken.

Nun war der Monat August gekommen. Wir Österreicher haben fast alle in der Tischlerbrigade beim Barackenbau gearbeitet. Da haben uns Russen gesagt, daß schon Österreicher heimfahren. Wir dachten hoffentlich ist in dieser Parole einmal was Wahres dran. Und wirklich, es wurde Wirklichkeit.

Anfangs September wurden wir in einem Sammellager, es hieß das 2-er Lager, zusammengezogen, aus mehreren Lagern. Da blieben wir nur einige Tage. Da holte wieder ein Russe einige Mann hinaus, auf ein Arbeitskommando. Wie es mich halt überall erwischte, hat es mich auch hier erwischt. Wir mußten so 5 oder 6 Mann mit Schaufeln irgend etwas umgraben. Ich weiß es nicht mehr, was es überhaupt war. Da kam ich mit dem Antifaschisten Wiesinger in Konflikt. Warum weiß ich auch nicht mehr. Es wurde ein heftiger Streit. Ich wollte ihm die Schaufel auf den Schädel hauen, da sprang der Russe inzwischen. Er führte uns beide ab und sperrte uns in einen Bunker. Ich wartete nur darauf: Wenn er nochmals zu streiten anfängt, dann hätte ich ihn kurz und klein geschlagen, den Schweinehund. Als es zurück ins Sammellager ging, holte uns der Russe wieder aus dem Bunker und wir marschierten mit den anderen ins Lager.

Den nächsten Tag wurden wir alle neu eingekleidet. Jeder bekam eine neue Unterwäsche und einen neuen Schlosseranzug, neue Schuhe, die waren aus Stoff und die Sohle aus Autoreifengummi. Als wir die letzte Nacht mit Otto schliefen, sagte er zu mir, wenn ich nicht eingekleidet worden wäre, hätte ich nichts mehr gegessen.

Der russische Militärmantel wurde mir nicht mehr gestohlen, der war auf einer Seite um 20 cm kürzer. Wahrscheinlich war an der Front ein Fußfetzten heruntergerissen worden. Den Mantel hatte ich die ganzen Jahre hindurch und brachte ihn mit nach Hause.

Diesen Pichler aus Niederthalheim fragte ich nochmals, ob ich seine Angehörigen benachrichtigen soll. Er sagte nochmals: "Nein, brauchst du nicht." Bevor wir zur Abfahrt nach dem Alphabet hinausgerufen wurden, rief ein Bayer noch, ob jemand Ampflwang kennt. Ich meldete mich. Er bat mich, der Familie Meir die Todesnachricht zu überbringen von ihem Sohn August.

Als wir so nach dem Alphabet hinausgerufen wurden und dem Otto sein Name nicht aufgerufen wurde, sank er vor mir zusammen. Es trat das ein, was er innerlich immer befürchtet hat. Er wurde ins Wachthäusl hineingebracht. Als wir alle auf dem Lastwagen waren, sagten wir zu den Posten, daß der Bruckmüller noch fehle. Sie sagten, der bleibt vorläufig noch hier. Wir sagten, ohne Bruckmüller fahren wir nicht weg. Sie sagten: "Jawohl, Ihr könnt alle hierbleiben. Ihr könnt sofort vom Lastwagen heruntersteigen und zurück ins Lager gehen. Wir können Euch alle sehr gut brauchen." Das tat verständlicherweise doch keiner von uns.

Es ging weiter mit wackeligen Lastwagen hinunter nach Kirowabad. Dort bestiegen wir wieder Viehwaggons. Los ging's Richtung Baku. Es war in uns eine sehr gedrückte Stimmung, denn es mußten nicht nur Otto, sondern auch Hans Kemetmüller und 130 Mann hinten bleiben. Das Reisen in den Viehwaggons kannten wir schon. Das konnte uns nicht mehr aufregen. Der Unterschied war diesmal der, daß wir immer noch nicht sicher waren, ob wir nicht nocheinmal angelogen werden, denn bei den Russen mußte man immer mit dem Schlimmsten rechnen. Aber es ging doch immer nordwestwärts, Richtung Machasch Kaja, Piatigorsk, Amawir. Da stiegen einige Österreicher zu, wie Platzer Frankenmarkt, Eckstein aus Ampflwang. Rostow a. Don, Taganrok, Makejewka, Dnjepro-Petrowsk, Kirowograd, Maramaros Sziget. Das war für die meisten eine langwierige Reise, denn die dauerte wieder über 20 Tage. Ich hatte wieder einen schönen Zeitvertreib. Ich wurde in Baku in den Küchenwaggon geholt. Ich wollte nicht gehen, denn ich hab im letzten Lager für das Sockenwaschen vom Koch Gassner Franz aus Grein a. d. Donau öfters Nachschlag bekommen. Jetzt war der Hunger nicht so groß, aber ich ging doch. Es wurde die Arbeit in dem Küchenwaggon äußerst interessant. Es blieben öfters von Station zu Station einige Antifaschisten im Küchenwaggon und während ich da an dem Suppenkessel arbeitete, standen öfters einige neben mir und unterhielten sich über verschiedenes. Und einmal hörte ich ganz genau, wie der Freitag Hans zum Zeichmann Hans gesagt hat: "Der Bruckmüller hätte es halt auch so machen müssen wie der Wiesinger, dann wäre ihm das nicht passiert." Und so hab ich gewußte, daß die Antifaschisten über Bruckmüllers Schicksal schon ein wenig Bescheid wußten und das hab ich mir ganz genau ins Gedächtnis geschrieben.

Bevor wir Maramaros-Sziget erreichten, hielt auf freier Strecke der Transportzug. Es standen mehrere russische Offiziere und Mannschaften draußen. Sie schrien: "Alles von den Waggons, alles mitnehmen und zu zweit antreten und ausziehen und Hände hoch." Das war momentan ein arger Schock für uns alle, denn es sah aus, als würden sie uns im letzten Moment noch erschießen. Denn die waren mit Maschinenpistolen bewaffnet. Sie untersuchten jeden einzelnen in den Achselhöhlen wegen SS-Markierungen. Jeder der in den Achselhöheln einen Kratzer, eventuell von der Läuseabwehr oder Verwundung, oder vielleicht das SS-Blutgruppezeichen noch sichtbar hatte, wurde sofort herausgenommen und mußte an der hinteren Seite des Zuges wieder antreten. Es waren, wenn ich mich noch recht erinnere, 18 Mann. Wir mußten alle wieder in die Waggons einsteigen. Ich stieg wieder in den Küchenwaggon und auch der Kamerad Schmid Sepp, er war der Essensträger und Dolmetscher für den Waggon, wo das russische Begleitpersonal war. Ich sagte zu ihm: "Wenn du jetzt schlau bist, bringen wir den Wiesinger an! Frag' den russischen Oberst, ob das gerecht ist. Er schickt welche zurück wegen SS. Das können wir beweisen, daß einige nicht bei der SS waren und er hat einen übersehen, der war bei der SS. Wenn er dich um den Namen fragt, dann sag' ihm den Wiesinger. Vielleicht holt er ihn heraus!". Und sofort fragte der Oberst: "Wo ist der Wiesinger?!". Er holte ihn sofort aus dem Viehwaggon und stellte ihn zu den anderen. Wir fuhren weiter Richtung Maramaros-Szigot. Dort gab es für alle nochmals Suppe und ein Stück Brot. Dann hieß es, alles mitnehmen, aussteigen, in 4-er Reihen antreten. Wir mußten einige Kilometer gehen und wurden in einer Schule, wahrscheinlich war es ein Turnsaal, einquartiert. Wir wurden dort 4 Tage festgehalten. Man wußte immer noch nicht, ob es doch einmal Richtung Heimat weitergehen wird.

Wir hörten dort auch zum ersten Mal wieder Kirchenglocken. Das war auch ein Gefühl, das man nie vergißt. Aber von den Zivilisten sah man niemanden. Nach 4 Tagen mußten wir wieder zum Bahnhof marschieren. Da standen jetzt Personenwaggons, und es war die schmälere Schienenspur. Und das war dann ein sicheres Zeichen, daß es nicht mehr nach Rußland, sondern doch Richtung Heimat gehen wird. Und das noch dazu in Personenwaggons, was war das für ein Gefühl und eine Wohltat.

Ungefähr 50 km vor der österreichischen Grenze ist noch einer von uns gestorben, der Higl Franz. Er war ein kleiner schwarzhaariger, sehr junger Mann. Er durfte nach der Arbeit immer in die Küche gehen, mitarbeiten. Dadurch hat er immer sehr gut ausgesehen und war fast immer 100 % und mußte immer die ganze Norm machen. Als im Juni 1946 ein Transport mit Kranken heimgeschickt wurde, kam ihm der Gedanke, wenn er immer so gut aussehen wird, werde er nie nach Hause fahren dürfen. Er ging dann nicht mehr in die fKüche und er aß sogar Schmierseife, daß er schneller abmagern kann. Nach einigen Monaten war der Franz nicht mehr schwarzhaarig, sondern grauhaarig. Er wurde krank. Er wurde so krank, daß ihn die Russen für transportunfähig gehalten haben. Aber wir sagten den Russen, sie brauchen keine Angst haben und auch keine Verantwortung übernehmen. Wir passen auf Higl schon auf, und so durfte er mit uns heimfahren. Leider war er wirklich so krank, daß er, bevor er die Heimat erreicht hat, im Waggon verstarb. Wenn ich mich noch recht erinnere, war er aus Horn.

Es ging über die rumänisch-ungarische Grenze nach Szeget. Da bekamen wir ein echtes Szegediner Gulasch. Ach war das scharf. Es ging dann weiter nach Budapest. Da bekamen wir ein echtes ungarisches Weißbrot. Das war auch wieder so was herrliches, daß man es nicht vergessen kann.

Immer näher und endlich ging es über die österreichische Grenze nach Wiener Neustadt. Da hofften wir den lang ersehnten Augenblick, daß wir die Russenposten endlich los werden. Es hieß wieder heraus aus den Waggons, antreten, Zählung. Man sah schon eine große Menschenmenge am Bahnhof stehen, die auf uns warteten. Wir wurden vom österreichischen Innenminister Gruber begrüßt. Von der Begrüßungsrede hab' ich mir nur das eine gemerkt, wir sollen jetzt nicht heimfahren und sich auf die faule fHaut legen. Wir sollen mithelfen, Österreich wieder aufzubauen. Der hatte wahrscheinlich nicht die geringste Ahnung, wie schwer wir die Jahre in der Gefangenschaft arbeiten mußten und das alles für Wiedergutmachung.

Die Zivilisten überfielen uns mit Fragen über alles mögliche, über Namen von noch Vermißten, mit Fotos in der Hand. "Hast du meinen Sohn nicht gesehen? Hast du meinen Mann nicht gesehen?". Weinende Kinder: "Habt Ihr unseren Vater nicht gesehen?". Es war fürchterlich. Einige von uns wurden dort von ihren Angehörigen schon empfangen und abgeholt, wie Biglmaer Konrad von seinem Bruder.

Wir mußten wieder ein Stück gehen und mußten wieder eine Nacht in einem Turnsaal auf dem Boden übernachten. Am Abend bekam jeder einen Zettel. Da mußten wir den Namen und die genaue Adresse in Blockschrift aufschreiben. Die werden morgen früh im Radio durchgegeben, wurde uns gesagt. Und das ist auch geschehen.

Ich hab' dort noch Zivilisten gefragt, was Wiener Neustadt vom Krieg abbekommen hat. Die haben mir sofort gesagt, daß der Russe Ende des Krieges noch 42.000 Fliegerbomben geworfen hat und sehr großer Schaden war. Das gab mir zu denken,da ich wußte, daß von Kriegsgefangenen eine Zeichnung über das Messerschmittwerk den Russen übergeben wurde, wo auch Wiesinger mit dabei war.

Endlich war der Tag, an dem ich meine Lieben und meine Heimat wieder sehen werde. Es war der 4. Oktober 1947. Um ca. 7 Uhr früh durften wir einen Zug, der nach Linz fuhr, besteigen. Diesmalgab es wohl an der wirklichen Heimkehr keinen Zweifel mehr, obwohl die russischen Posten wieder mit in den Zug einstiegen. Erst auf der Ennserbrücke, als uns die Russenposten den Amerikanern übergaben, war der wahre Zweifel von uns gefallen.

Gegen Mittag fuhren wir in den Linzer Bahnhof ein. Soweit man Häuser sehen konnte, sah man, wie man uns aus den Fenstern mit weißen Tüchern oder Fähnchen winkte. Am Bahnhof, wo wir aus dem Zug stiegen, stand die fLinzer Magistratskapelle, spielte uns als Begrüßung den Marsch: Oh du mein Österreich. Nebenan standen die Geschwister Winkler, die sangen uns zwei herzzerbrechende Lieder. Es gab wohl unter uns keine trockenen Augen, obwohl wir das Weinen und auch das Lachen längst verlernt hatten. Wir wurden wieder von einem Redner begrüßt und willkommen geheißen. Ich weiß leider nicht mehr, wer der Mann in Linz war. Jedenfalls hat dieser Politiker uns echt und ehrlich ins Heimkehrerherz gesprochen. Er sagte unter anderem: "Wenn's Pfirt Gott sagen noch so weh tut, 's Griaß Gott sagen macht alles wieder gut."

Ich meine, wenn ich noch so alt werd, wenn ich auf diesen Empfang in Linz zurück denke, werden meine Augen in Tränen stehen.

Wir wurden dann in einen Raum geführt, da bekamen wir ein warmes Essen, einen Rasierapparat und eine Rasierseife und 50 Schilling Bargeld.

Und wieder standen hunderte Menschen da mit Fotos von vermißten Angehörigen, da es im Radio durchgegeben wurde, daß einige Stalingrader dabei waren, hat man uns verständlicherweise, besonders viel befragt.

Einige wurden in Linz von ihren Angehörigen abgeholt, darunter auch Ohrlinger Lois aus Steyrermühl. Nur mehr unser 4 oder 5 sind wir kurz vor 3 Uhr Nachmittag wieder in den Zug gestiegen. Kaum zu glauben, daß es mehr als 6 Jahre her ist, daß ich die entgegengesetzte Richtung fuhr. Als wir da Richtung Wels und Lambach heraufkamen, sahen wir von weitem schon das Gebirge. Der Krebezek Fredl war ein Gmundner. Als der den Traunstein erblickte, wurde er ganz wunderlich. Er sagte immer wieder: "Sepp, schau hinaus, der Traunstoan!". Am liebsten wäre er beim Fenster hinausgesprungen, so aufgeregt war er wegen dem Traunstoan.

Nun war endlich der Bahnhof Redl Zipf. Es war ca. halb sieben Uhr. Ich sah schon zwei schöne Pferde mit dem schönen Laufwagerl. Den Vater erkannte ich von weitem, den Bruder Franz erkannte ich im ersten Moment nicht, denn er ist in den 6 Jahren um einen Kopf größer geworden. Wie ich eingerückt bin, ist er um einen halben Kopf kleiner als ich gewesen. Jetzt ist er um einen halben Kopf größer als ich. Das hat mir einen kleinen Zweifel aufkommen lassen. Aber weil er so starke Staraugengläser hat, wußte ich, er muß es sein.

Der Vater hat sich fast nicht verändert. Ein stiller, harter Mann, wie er immer war, standen auch ihm Tränen in den Augen. Sie waren wohl ein bißchen geschockt als sie mich mit einem zerissenen Russenmantel sahen, aber es war wichtiger, daß ich körperlich verhältnismäßig gut beisammen war. Ich hatte nämlich während des Heimtransports noch mehr als 20 Tage in der Transportküche gearbeitet. Da hab ich mich doch noch ein bisserl erholt.

Als ich die Kutsche bestiegen hatte und dann auf der Landstraße Richtung Frankenburg fuhr, interessierte mich vorerst nicht die Gegend, sondern ich fragte den Bruder, was ist mit der Mariann. Er wollte mir nicht gleich einen Antwort geben. Was ist los? Lebt sie nicht mehr? Ja schon,, aber denk vorerst nicht dran, ich sag dir's schon. Mir lief es kalt übern Buckel und fragte nach einer langen Weile über etwas anderes weiter. Hat sich ein gewisser Hoffmann aus Vöcklabruck und ein Fellner aus Redl Zipf bei euch einmal gemeldet. Die Antwort war nein, aber ein Gruber Anton aus Ungenach und ein Haas Franz aus Münzkirchen haben uns ein Lebenszeichen von dir gebracht.

So befragten wir uns gegenseitig über verschiedenes und im nu waren wir in Frankenburg. Als wir durch den Markt fuhren, haben uns die Leut, die gerade auf der Straße waren, so sprachlos nachgeschaut, denn es war Samstag Abend und es konnte sich wohl niemand vorstellen, warum um diese Zeit noch ein Fuhrwerk unterwegs war. Die beiden Födinger Buben wollten mir ein Verserl aufsagen, sagte mir die Hilde Beker später. Aber die haben uns übersehen. Ich konnte es auch noch sehen, wie sie uns nachschauten und winkten. Es war kurz vor halb acht, fuhren wir in Seibrigen ein. In der Kurve standen die Büringer Leut, um mich zu begrüßen. Ich stieg von der Kutsche und begrüßte sie. Ich sah dann schon meine Mutter, wie sie mir entgegen ging. Die nächsten Minuten kann ich nicht schildern, noch weniger schreiben.

Der Vater fuhr mit der Kutsche in den Hof, brachte die Pferde in den Stall und dann kam die Rosi mich zu begrüßen. Sie hatte sich überhaupt nicht verändert. Die Resi, war auch um ein schönes Stück größer geworden. Aber mit ihrem schönen, hellblonden Haar hab ich sie sofort erkannt. Nachdem ich ein Bad genommen hatte, gings mit Erzählungen weiter. Wielange wir am selben Abend beieinander saßen, weiß ich nicht mehr, aber das eine weiß ich noch, daß ich vor hatte, morgen früh in die 6 Uhr Messe zu gehen, daß mich mit den kurzen Haaren und mit dem Hut niemand sieht.

Was es heißt, nach 6 Jahren nach einem Bad wieder in einem richtigen Bett zu schlafen, werden sich wohl nur die vorstellen können, die es selbst mitgemacht haben, jahrelang auf blanken Brettern, oder sogar in einem Erdloch zu schlafen. Dann momentan in einem weichen Matratzenbett mit Federntuchent! Schweißgebadet wurde ich einige Male wach.

Um 5 Uhr früh stand ich auf, nahm ein kleines Frühstück und marschierte zu Fuß mit dem ungewohnten Anzug und mit dem ganz ungewohnten Hut nach Frankenburg in die Kirche. Ich ging nicht vorne, wo wir früher immer hineingingen, wo ja unsere Kirchensitze wären, sondern ich ging hinten beim Glockhaus, bei der kleinen Kirchentür hinein.

Und da vor der kleinen Kirchentür kam der Moment, ganz und gar überraschend, auf den ich 6 Jahre gewartet habe. Die Mariann stand vor der Kirchentür und hat auf mich gewartet. Die hat genau gewußt, der Sepp geht in die erste Messe und hinten hinein, damit er nicht unter die Leut kommt. Dieses Wiedersehen kann ich nicht schildern, noch weniger schreiben.

Daß ich an der Front den Krieg überlebt habe, war ein riesiges Glück, daß ich alle Krankheiten in der Gefangenschaft überlebt habe, hab ich der Marianne zu verdanken. Wenns noch so schlimm war, dachte ich: Ich muß überleben! Ich muß zur Marianne heim. Mein ganzes Hoffen, mein großer Überlebenswille lag bei ihr. Aber leider, das harte Schicksal wollte es, daß sie nicht meine Frau wurde.

Ein weiterer großer Schock war für mich, als ich erfuhr, daß 24 Frankenburger noch in Stalingrad vermißt sind. Ich wußte, daß mehrere Frankenburger in Stalingrad waren, daß es so viele sind, war mir neu. Als ich gefangen wurde, dachte ich, ich werd mich einmal schämen müssen, wenn ich heimkomme. Ich als einziger Frankenburger muß in die Gefangenschaft gehen. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Als einziger Frankenburger hab ich die Gefangenschaft überlebt.

Etwas sehrPeinliches war für mich immer, wenn mich jemand begrüßte und ich kannte sie nicht mehr. Meistens schämte ich mich zu fragen, wer bist du denn.

Ich ging nach der Kirche wieder so unauffällig nach Haus und kramte in meinen noch übrig gebliebenen Sachen herum und gegen Mittag sagte die Mutter zu mir: "Möchtest du nicht die Resi mit den Kühen holen. Sie ist in der Brunnwiesn oben mit den Kühen auf der Weide." Da ging ich sofort los. Ich ging hinauf über den Hügel Richtung Brunnwiesn. Da sah ich vor mir den Rothauptberg, den Riegel, die Mehlgründe, und die Resi mit den Kühen. Genau auf dem ebenen Fleckerl, wo die Kühe immer standen, wenn es zum Heimtreiben war.

Da kam mir momentan der schöne, aber bittere Traum, den ich vor Jahren in der Gefangenschaft einmal hatte, ins Gedächtnis. Ich hatte genau die Strecke vor meinen Augen, die ich damals im Traum gegangen bin. Die Resi, wie sie bei den Kühen steht. Ich konnte es fast nicht glauben, daß hier und jetzt ein Traum Wirklichkeit wurde. Der Gedanke war diesmal: "Mein lieber Gott, laß' mich jetzt nicht nochmals wach werden!".

Es dauerte einige Wochen und Monate, bis ich richtig zuhause war. Man war einfach abgestumpft, wie ein Stück Vieh. Es kam mir komisch vor, daß man sich ohne Posten, ohne Aufsicht frei bewegen konnte.

Nach 2 Jahren kamen auch die Deutschen, auch die Österreicher, die als Deutsche geführt waren, heim. Der Kemetmüller Hans, der Schögl Franz aus St. Konrad bei Gmunden. Der Wegerer Karl aus St. Nikola bei Grein. Sie mußten die Weihnachten 1949 noch in Maramaros-Sziget verbringen.

Der Bruckmüller Otto war wieder nicht dabei. Aber es kam der Alt Hans aus Achen heim. Er fuhr zu mir und berichtete mir, daß Otto zu 25 Jahren Zwangsarbeit nach Sibierien verurteilt wurde. Der Wiesinger hat auf ein Zementsacklpapier geschrieben, was der Otto im Vormarsch nach Stalingrad, als Brückenbaupionier, geleistet hat. Er wurde 1948 in einem NKPD Lager bewußtlos geschlagen. Als er zu sich kam, wurde er sofort verhört. Er sagte wieder, das stimmt nicht. Wir waren dort nicht. Daraufhin wurde er wieder bewußtlos geschlagen. So dauerte es 3 Tage und 3 Nächte. Er bat um seinen Kompaniekameraden Alt Hans. Der kann es bestätigen, daß wir dort nicht waren. Und so holten sie den Alt Hans. Er sagte auch, daß wir dort nicht waren. So haben die Russen dann beide bewußtlos geschlagen. Das dauerte wieder 2 Tage und 2 Nächte. Jetzt waren es bei Otto bereits 5 Tage und Nächte. Dann sagte fOtt Bruckmüller zu Alt Hans: "Hans, ich bitte dich, unterschreib du, daß es wahr ist, daß wenigstens du heimkommst, daß wenigstens du daheim Nachricht geben kannst, was mit mir los ist. Ich unterschreib sowieso nichts." So hat Alt Hans unterschrieben und er kam 1951 im Sommer zu mir und berichtete mir über dieses unmenschliche Schicksal.

In mir brach innerlich eine gewaltige Unruhe aus. Ich überlegte hin und her, was könnte man machen, den Otto frei zu bekommen. Ich ging zur Polizei und gab alles zu Protokoll. Ich wollte den Wiesinger zwingen, daß er eine Niederschrift macht, daß er das aus Hunger gemacht hat, daß der Otto unschuldig verurteilt wurde. Aber das Schreiben ging nur bis Wien in das russische Konsulat. Die schrieben dem Postenkommandanten in Frankenburg, Herrn Rospikhofer zurück, wir sollen das unterlassen, denn wenn die Russen erfahren, daß wir um den Bruckmüller kämpfen, dann lassen sie ihn überhaupt nicht mehr weg. Es kommt sicher auch für ihn die Zeit, wo er entlassen wird.

Es kam das Jahr 1955. Da ich die Eltern und Geschwister vom Otto schon kannte, sie waren bei mir, sich zu erkundigen über Ottos Schicksal, hab ich sie benachrichtigt, daß ich am Montag, dem 6.Juni heirate. Und wie es sein wollte, am Samstag, dem 4. Juni 1955 in der Früh meldete der Radio, daß Otto Bruckmüller entlassen wurde, daß er bereits in Österreich ist, daß er unterwegs ist nach Haslach.

Es war eine große Freude für mich zu meinem Hochzeitstag, denn ich hatte 3 Kameraden zur Hochzeit geladen. Die waren auch da, als wir am Abend von der Hochzeitsreise zurück kamen. Um nur für die Nachbarn und für meine Zechkameraden eine kleine Hochzeitsfeier zu feiern, ging mir der Nachbar Schranecker, der mir die Pferde fütterte, entgegen und sagte zu mir: "Du Sepp, der Otto ist da!" Das war wohl mein schönstes Hochzeitsgeschenk. Da hab ich an meinem Hochzeitstag auf 2 Stunden vergessen, daß es mein Hochzeitstag ist. 13 Jahre russische Gefangenschaft! Was das heißt und was da einer für eine Gesundheit und Überlebenswillen haben muß, kann wahrscheinlich nur der ermessen, der selbst in russischer Gefangenschaft war. Otto hat mit seinem Bruder Sepp, der ihn auch mit seinem Motorrad nach Frankenburg brachte, bei uns übernachtet. Am anderen Tag gings mit den Erzählungen wieder weiter. Wir kamen aus dem Staunen über seine Erlebnisse in den 13 Jahren russischer Gefangenschaft nicht heraus. Und heute nach einem halben Jahrhundert muß ich sagen, es kam das, was ich bei meiner Heimkehr gesagt habe über den Kommunismus. Es kommt noch eine Strafe, und diese Strafe ist jetzt da. Jetzt müssen sie selbst betteln gehen. Ich hoffe und wünsche, daß die, die ihr Vaterland und ihre Kameraden verkauft und verraten haben, auch noch zur Rechenschaft gezogen werden.

Wenn ich heute noch zurückdenke, wie meine Eltern mit den gefangenen Franzosen brüderlich , man kann fast sagen familiär, umgegangen sind, und wenn ich daran denke, wie dankbar er war, dann denk ich auch noch daran, wie menschlich ich, mit den gefangenen Russen umging, die mir auch sicher sehr dankbar waren, denn einen Leitspruch oder Begleitspruch hatte ich immer bei mir: Bleib menschlich, du wirst auch selbst immer wieder als Mensch empfangen. Diesen Leitspruch möchte ich allen Jugendlichen ins Herz legen, die diesen Bericht gelesen haben.

Wenn ich jetzt nochmals zurück denke, wie groß mein Glück war, daß ich zur Flak und noch dazu in die Stabsbatterie kam, denn ich bin doch das meiste gefahren. Wir hatten echte Geländefahrzeuge, außerdem hatte die Flak und die Luftwaffe im allgemeinen bessere Verpflegung als die Infanterie. Bei der Infanterie sind ja in den Schützengräben schon abertausend verhungert und erfroren.

Es mag sein, daß in meinen Berichten über unsere Fronteinsätze das Datum manchmal nicht ganz stimmt. Es sind halt schon 50 Jahre inzwischen, da ist es wohl verständlich, daß ich dieses Geschreibsel um 40 Jahre früher machen hätte sollen. Ich kann auch verstehen, daß Leute hauptsächlich jüngere, die den Krieg und die Gefangenschaft nicht miterlebt haben, etwas Langeweile haben beim Lesen von so einem Bericht.

Nun kann ich zum Abschluß nur meinem Herrgott und die für mich soviel gebetet haben von Herzen Danke sagen, daß ich das alles überleben konnte!

Ach wie oft war es nur ein dünner Faden, an dem mein Leben hing, wie oft denk ich an meine Kameraden, die nicht das Glück hatten, die Heimat wieder zu sehen. Wenn ich an sie denke, dann denke ich auch immer noch an den Spruch, den mir Schwester Rosi beim Einrücken mitgab: Brauchst koa Angst ham, für Soldaten ist der Himmel offen.

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